Claudio Casula / 09.09.2016 / 08:37 / Foto: SchuminWeb / 0 / Seite ausdrucken

Ben Hur 2016 – ein Softie vor dem Herrn

„Wo sind sie?“, will der verzweifelte Judah Ben-Hur, noch immer im Unklaren über das Schicksal seiner Familie, in William Wylers Historien-Klassiker von seinem sterbenden Gegner Messala wissen. „Wo sind sie? WO SIND SIE?“ Und Messala, in seiner Agonie, röchelt mit aller ihm verbliebenen Boshaftigkeit: „Suche sie ... suche sie im Tal... der Aussätzigen, wenn du sie... noch erkennen kannst…“ (packt Judahs Kleider) „Es geht weiter... es geht weiter, Judah. Der Kampf... der Kampf ist noch nicht zu Ende...“

Und dann stirbt der Römer. Und das ist gut so, denn Messala ist der Böse und Ben Hur der Gute. Dass es so etwas gibt, ist im Jahr 1959 noch völlig normal. Messala hat seinen Jugendfreund – im Wissen um dessen Unschuld! – zur Galeerenstrafe verurteilt (für das antike Rom übrigens absolut unüblich und im Mittelmeerraum tatsächlich erst ab dem 16. Jahrhundert praktiziert) und dessen Mutter und Schwester in den Kerker werfen lassen, wo sie sich die Lepra eingefangen haben, außerdem im Hippodrom einen „griechischen Wagen“ benutzt, dessen Sporn den Konkurrenten recht unsportlich die Räder wegfräste. Am Ende des (ja doch: manchmal etwas langatmigen und manchmal etwas schwülstigen) 222-Minuten-Epos siegt jedenfalls das Gute.

Am Ende des auf 124 Minuten eingedampften aktuellen Remakes – Achtung, Spoiler! – macht der hasserfüllte Messala binnen einer Minute noch einen beachtlichen Sinneswandel durch, verträgt sich mit Judah und reitet nach seiner Spontanheilung zur scheußlichen Abspannmusik, die zum Film passt wie Ketchup auf den Grillfisch, mit dem Freund-Todfeind-jetzt-wieder-Freund johlend durch die Wüste.

Der Film atmet den Geist unserer Zeit

Das passt, denn so böse war Messala hier ja gar nicht. Im Gegensatz zum Film mit Charlton Heston und Stephen Boyd in den Hauptrollen (in dem die beiden Freunde waren und keine „Brüder“) handelt er völlig legitim, hat doch aus dem Anwesen des Adligen heraus ein jüdischer Zelot einen Anschlag auf Pontius Pilatus verübt. Gut, nach seiner Karriere in der römischen Armee ist Messala ein bisschen arrogant geworden, aber was soll’s. Irgendwie haben wir ja alle unsere Schwächen, und der Film atmet mit jeder Pore den Geist unserer Zeit: Alles hat irgendwie seine Berechtigung, Krieg und Gewalt sind scheiße, wie Hass und Rache – Versöhnung und Kooperation sind angesagt.

Auch sonst ist einiges anders: Die Geschichte des zum Galeerensklaven degradierten Ben Hur, der einen unverhofften Wiederaufstieg erlebt, indem er durch eine Fügung des Schicksals die Freiheit erlangt, schließlich adoptiert und römischer Bürger wird, lässt man kurzerhand unter den Tisch fallen, das Wagenrennen findet nicht in Antiochia statt, sondern in Jerusalem, und die Protagonisten (Jack Huston und Toby Kebbell) entbehren jeglichen Charismas. Hinzu kommt: Während man Charlton Hestons stählernem Ben Hur abnahm, Jahre auf den Galeeren zu überstehen, ist man beim sanften, gleichsam weichgespülten Huston eher geneigt anzunehmen, dass er sich in der Sauna auf der untersten Bank niederzulassen pflegt. Aber immerhin kann er sich selbst einen sehr passablen Haarschnitt verpassen.

Auch einige merkwürdige Anachronismen sorgen für verwirrende Momente. So tragen sowohl Ben Hur und Messala als auch eine weibliche Darstellerin in etlichen Szenen ungewöhnlich modern anmutende Beinkleider, und in einer Szene versichert der Titelheld, mit den „Meinungsmachern“ (!) der Stadt gesprochen zu haben. Da gilt es dann schon, das unweigerlich auftauchende Bild Claus Klebers an seinem überlangen Schreibtisch rasch zu verscheuchen.

Überhaupt: die Dialoge! Das geläufige Adjektiv für diese zu verwenden, zöge wohl einen scharfen Protest des deutschen Holzwirtschaftsrates nach sich. Aber hier stinkt das aktuelle Remake im Vergleich zum Klassiker von 1959 besonders ab. Fielen damals noch Sätze, die wirklich in Erinnerung blieben („Was für ein merkwürdiger, was für ein überheblicher Glaube zu meinen, ein Dasein wie deins habe einen Zweck!“ oder „Balthasar ist ein guter Mensch, aber solange nicht alle Menschen so gut sind, müssen wir unsere Klingen scharf halten!"), bleibt beim Kinobesucher von heute nichts haften. Null. Nada. 

Schade um die 100 Millionen Dollar

Mediokre Schauspieler, mangelnde erzählerische Tiefe, nichtssagende Dialoge – da vermögen auch die beiden set pieces, also die Seeschlacht und das Wagenrennen, die dem auf Actionfilme spezialisierten Regisseur Timur Bekmambetov wirklich eindrucksvoll gelingen, nicht mehr viel auszurichten. CGI mag spektakuläre 3-D-Bilder ermöglichen und dafür sorgen, dass man heute mit 2000 Statisten auskommt (1959 waren es noch 50.000), aber was nützt das, wenn der Inhalt so lieblos gestaltet ist. Nun wird „Ben Hur“ keine elf Oscars gewinnen, nicht mal einen, aber auch keine Goldene Himbeere. Er ist nicht „Gladiator“ und auch kein Sandalenfilm. Er ist einfach mittelmäßig. 

Schade um die 100 Millionen Dollar, denn eine Neuauflage ist ja nicht unstatthaft, nur weil eine ältere Version so enorm erfolgreich war. Schließlich werden auch Shakespeare-Stücke weiterhin auf die Bühne gebracht, obwohl Laurence Olivier den Hamlet wohl besser gab als irgendjemand vor oder nach ihm. Die Frage ist also nicht, ob man „Ben Hur“ noch einmal drehen darf. Man darf. Aber man muss nicht, wenn man es nicht hinbekommt, ihn auf andere Weise gelingen zu lassen, etwa mit einem ordentlichen, wenigstens hin und wieder originellen Drehbuch und wirklich überzeugenden Darstellern. Die müssen, notabene, nicht zwangsläufig aus Hollywoods Starriege rekrutiert werden; die HBO-Serie „Rome“ etwa war hervorragend mit eher wenig bekannten (britischen) Schauspielern besetzt. In „Ben Hur“ taucht immerhin Morgan Freeman als Scheich auf, gibt mit seinen Dreadlocks und seinem bademantelähnlichen Gewand allerdings ein eher unglückliches Bild ab. Nicht zu Unrecht fühlte sich ein Kritiker an Whoopi Goldberg erinnert.

Sagen wir es so: Fürs Auge wurde schon einiges geboten, aber „das Geistige kommt hier zu kurz“, wie es in Wolfgang Petersens „Das Boot“ heißt, insbesondere für einen Klassiker. Wir sahen den Film gestern Abend in einem großen Hamburger Kinosaal zu fünft. Zusammen mit den anderen Anwesenden waren wir nicht mal ein Dutzend.

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