Erstmals melden sich auch noch dort tätige Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Protest und Forderung nach Reformen zu Wort.
Die zunehmende Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde bisher weitgehend von außerhalb geäußert, abgesehen von einigen wenigen altgedienten Journalisten, die stets bis zur Pensionierung warten, bevor sie in der Rückschau einige der mannigfaltigen Missstände benennen. Viele Mitarbeiter der Sender mögen hinter der Linie der Intendanten stehen, andere sich indifferent verhalten und anpassen, doch gibt es auch nicht wenige, die die unselige Entwicklung mit der Faust in der Tasche verfolgen. Und solche, die nicht länger schweigen wollen.
Über 130 Mitarbeiter des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (also von ARD, ZDF und Deutschlandradio) sowie weitere Erstunterzeichner haben heute ein „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ veröffentlicht. Auf ihrer Internetseite finden sich neben dem Manifest zahlreiche Originalzitate von ÖRR-Mitarbeitern, von denen einige hier im Folgenden dokumentiert werden. Unter den Unterzeichnern finden sich einige bekannte Namen wie Luc Jochimsen, ehemalige Chefredakteurin hr-Fernsehsender, der Mathematiker Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes, ein Wegbereiter der evidenzbasierten Medizin in Deutschland, Schauspieler wie Anja Franke und Henry Hübchen, Musiker, Kameramänner, Tontechniker, Filmemacher, Moderatoren, Radiosprecher, Cutter, Autoren, Regisseure und viele mehr.
Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als solchen wollen sie – anders als viele Kritiker, die ihn am liebsten „in Grund und Boden privatisiert“ sähen – nicht abschaffen, sondern erhalten – nur eben so, wie er ursprünglich einmal (gedacht) war: unabhängig, ausgewogen, als wesentliche Säule unserer Demokratie. Aber eine, die von den Beitragszahlern auch kontrolliert wird. Sie stellen in ihrem Manifest schon eingangs fest, dass die zunehmende Diskrepanz zwischen Programmauftrag und Umsetzung seit vielen Jahren wahrgenommen wird und deshalb Vertrauen der Menschen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer stärker abnimmt.
Kritische Stimmen: „ignoriert, lächerlich gemacht oder gar ausgegrenzt“
Zu ihren Grundsätzen gehören Meinungs- und Informationsvielfalt, Ausgewogenheit und Fairness, Transparenz und Unabhängigkeit. Deshalb monieren sie die Eingrenzung des Debattenraums ebenso wie das Verschwimmen von Meinungsmache und Berichterstattung „auf eine Art und Weise, die den Prinzipien eines seriösen Journalismus widerspricht: „Nur sehr selten finden relevante inhaltliche Auseinandersetzungen mit konträren Meinungen statt. Stimmen, die einen – medial behaupteten – gesellschaftlichen Konsens hinterfragen, werden wahlweise ignoriert, lächerlich gemacht oder gar ausgegrenzt.“ Sogenannte Faktenchecks suggerierten oft „durch ihre Machart, Überschrift und Formulierungen eine vermeintlich absolute Wahrheit, die selten existiert“. In der Praxis orientierten sich die öffentlich-rechtlichen Medien „am Meinungsspektrum der politisch-parlamentarischen Mehrheit, anderslautende Stimmen aus der Zivilgesellschaft schaffen es nur selten in den Debattenraum.“
Auch seien viele Mitarbeiter nicht fest angestellt, was zu Existenzängsten führe, „die ,angepassten‘ Journalismus begünstigen.“ Die Unterzeichner des Manifests kritisieren auch, dass die Beitragszahler nicht an der Auswahl der Mitglieder der Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte, der höchsten Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, beteiligt sind. Im „öffentlich-rechtlichen Rundfunk von morgen“ soll sich das ändern, Kontrolle durch eine wirklich repräsentative Vertretung der Beitragszahler eingeführt werden. Und:
„Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk fungiert als Vierte Säule der Demokratie. Im Auftrag der Bevölkerung übernimmt er wichtige Kontrollaufgaben gegenüber den Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative. Damit er diesen Auftrag erfüllen kann, ist seine Unabhängigkeit von Staat, Wirtschaft und Lobbygruppen garantiert. (…)
Kein Framing mehr, keine abwertenden Formulierungen
Weitere wichtige Passagen aus dem Manifest:
„Die Mitarbeitenden des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks benutzen kein Framing und verwenden keine abwertenden Formulierungen.“
„Alle Ansichten und Perspektiven, die vom Grundgesetz gedeckt sind und die Menschenwürde achten, dürfen frei und ohne Vorbehalte geäußert werden. Minderheitenmeinungen und unbequeme Äußerungen werden gehört, diskutiert und dem Publikum zur freien Meinungsbildung angeboten.“
Zur Sicherung der Unabhängigkeit werden gefordert:
- Programmgestaltung erfolgt unabhängig von Einschaltquoten.
- Auf Werbeeinnahmen wird verzichtet.
- Kein Outsourcing von Produktionen und Abteilungen.
- Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk kontrolliert die Politik und nicht umgekehrt.
- Drehtür-Effekte zwischen Politik und neuem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind dank mehrjähriger Karenzzeiten ausgeschlossen.
- Festanstellungen für alle Mitarbeitenden, die es wünschen, insbesondere für Journalistinnen und Journalisten.
- Weisungs-Ungebundenheit im Hinblick auf Themenauswahl, Themengestaltung und Mitteleinsatz.
Und zur Transparenz:
- Die Bezahlung aller Mitarbeitenden einschließlich Führungsposten bis hin zur Intendanz erfolgt strikt nach Tarifvertrag.
- Finanzflüsse jeglicher Art sind transparent und öffentlich einsehbar.
- Interessenkonflikte werden sichtbar und hörbar kommuniziert.
- Kontrollgremien des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks tagen öffentlich. Programm- und Auftragsentscheidungen werden dokumentiert und sind einsehbar.
ÖRR-Mitarbeiter packen aus
Bereits im Oktober 2021, mitten in der Corona-Zeit, schrieb Ole Skambraks in seinem Offenen Brief:
„Ich kann nicht mehr schweigen. Ich kann nicht mehr wortlos hinnehmen, was seit nunmehr anderthalb Jahren bei meinem Arbeitgeber, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk passiert.“
Auf der Website mit dem Manifest beschreiben weitere Mitarbeiter des ÖRR, warum sie mit den gegenwärtigen Zuständen in den Anstalten hadern. So meint Thomas Moser (Redakteur und seit 1989 freier Mitarbeiter für mehrere ARD-Anstalten im Bereich Hörfunk): „Man konnte [früher] auf eine Weise Themen journalistisch bearbeiten, wie ich es in privat-rechtlich verfassten Medien (Zeitungen) bisher nicht kannte. (Erst in den Alternativmedien dieser Zeiten erlebe ich diese Freiheit wieder.)“ Dennoch erlebte er intern „immer wieder Konflikte und Einmischungsversuche in die Berichterstattung von oben aus der ARD-Hierarchie heraus.“ Mit Corona seien dann „innere Redaktionsfreiheit und der Pluralismus abgeschafft“ worden: „In einer ARD-Anstalt hieß es sinngemäß: „Die Corona-Maßnahmen werden nicht angezweifelt.“:
„Das unabhängige Medium ARD verwandelte sich in ein angepasstes Propagandainstrument der Corona-Exekutive. Recherchen oder ein Hinterfragen der Corona-Politik gab es nicht mehr. Keine journalistischen Standards mehr, wie Sorgfalt, Gleichheit oder Wahrhaftigkeit. Anstelle der Unabhängigkeit machte man sich zur Partei.“
Ein anderer Mitarbeiter beobachtet:
„In unserer Redaktion wird bei Sitzungen nicht darüber geredet, wie wir die Menschen mit unserem Programm möglichst vielfältig informieren und verschiedene Ansichten präsentieren könnten. Nein, es wird darüber geredet, wie man ein Ereignis mithilfe von Experten einordnen kann. Am Ende sieht die Regierung dabei meist gut aus. Dazu werden dann in der Regel dieselben Experten von einschlägigen Stiftungen und Denkfabriken angerufen, die sich in der Vergangenheit als gute „Einordner“ bewährt haben. Das heißt, im Großen und Ganzen die Sicht der Regierung, der SPD oder der Grünen wiedergeben.“
Und noch einer:
„Ich arbeite seit vielen Jahren für den WDR als Autor. Was mich besorgt und umtreibt, ist die Wahrnehmung, dass in den Redaktionen wenig bis keine Bereitschaft besteht, andere Meinungen als den Mainstream überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn als Bereicherung anzuerkennen. Egal, ob Energiepolitik, Corona oder Migrationsfragen etc., die Leitlinien der Berichterstattung sind mehrheitlich durch politisch motivierte Redakteure so vorgegeben und eingeengt, dass eine echte Auseinandersetzung von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.“
Ein/e Mitarbeiter/in (ARD-Anstalten, Deutschlandfunk ORF), der/die sich in den Sozialen Medien kritisch über die Coroamaßnahmen geäußert hatte, hörte persönlich einen vielsagenden Satz vom ORF: „Wir können es nicht hinnehmen, dass unsere Autoren die Regierungspolitik kritisieren.“
Ein ZDF-Mitarbeiter:
„Gesendet wurde nach meiner Beobachtung überwiegend, was das Narrativ bestätigte und am Leben hielt . (…) Kritische Fragen mussten sich PolitikerInnen fast ausschließlich dahingehend gefallen lassen, ob ihre Maßnahmen ausreichend seien für den Gesundheitsschutz. Fast nie, ob sie zu weit gehen oder ihrerseits Schäden anrichten. Schäden durch die Maßnahmen (einsames Sterben, psychische Folgen für die Kinder, Geschäftspleiten, Staatsverschuldung) wurden als „Corona-Schäden“ deklariert. Ein breiter Mainstream ist entstanden, gegen den - meinem Erleben zufolge - kaum anzukommen war, wenn man als einzelner Redakteur nicht selber als „Verharmloser“ oder Schlimmeres abqualifiziert werden wollte.“
Ein ARD-Mitarbeiter schildert einen Fall von redaktionellem Eingriff, der für ihn entweder Zensur, vorauseilenden Gehorsam, Feigheit oder die weise Voraussicht, einen Kampf nicht anzuzetteln, den man sowieso nicht gewinnen kann, bedeutete.
„Seit 2020 leide ich in meiner Anstalt wie ein Hund!"
Insbesondere die fast durchweg einseitige Berichterstattung in den Corona-Jahren ließ so manchen Journalisten mit seinem Arbeitgeber fremdeln (Zitat: „Seit 2020 leide ich in meiner Anstalt wie ein Hund!). Zum Abschluss daher ein Auszug aus dem Statement einer ARD-Mitarbeiterin:
„Aber was ist das für ein Journalismus, der größtenteils nur noch eine Meinungsrichtung präsentiert und als richtig anerkennt? Was ist das für ein Journalismus, der den wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr allumfassend abbildet, sondern fast nur noch jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kommen lässt, die sich für die Maßnahmen aussprechen? Was ist das für ein Journalismus, der abertausende demonstrierende Menschen in die Ecke der Spinner und Unwissenden abtut? Was ist das für ein Journalismus, der die Regierung kaum noch kritisiert? Der im Meinungsbildungsprozess nicht mehr alle Perspektiven ausgewogen berücksichtigt?
Das ist kein Journalismus mehr, der als ,Vierte Gewalt' im Staat bezeichnet werden kann, sondern einer, der mit der Regierung eher gemeinsame Sache macht, wie mir scheint. In Artikel 5 des Grundgesetzes wird die Pressefreiheit gewährleistet und betont, dass eine Zensur nicht stattfindet. Seit Corona findet diese Zensur meiner Meinung nach statt - nur viel perfider, als ich das jemals für möglich gehalten hätte.“
Man darf gespannt sein, wie die Reaktion auf das Manifest und die Statements der ÖRR-Mitarbeiter ausfällt und ob diese zum Anlass genommen werden, die längst überfällige Reform (nicht nur) von ARD, ZDF und Deutschlandradio in Angriff zu nehmen, bevor es möglicherweise eines Tages eine andere Politik tut.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.