Rüdiger Stobbe / 27.10.2020 / 10:00 / Foto: Doenertier82 / 5 / Seite ausdrucken

Woher kommt der Strom? 42. Woche

In dieser Woche haben wir es wieder mal mit einem Windbuckel zu tun, der lange und tatsächlich fast gegen Null Windstromerzeugung ausläuft (Abbildung, bitte unbedingt anklicken. Es öffnen sich alle weiteren Abbildungen & Mehr). Nicht mal 0,5 GW (Offshore und Onshore zusammen) wird um 13:00 Uhr, um 14:00 Uhr am Samstag, den 17.10.2020 erzeugt. Die Sonnenstromerzeugung ist ebenfalls gering. Um 13:00 Uhr Sommerzeit (= 12:00 Uhr Mittag in Echtzeit = Sonnenhöchststand!) werden gut 10 GW Sonnenstrom (plus 8 GW Wasserkraft/Biomasse) produziert. Das bei einem Bedarf von 61 GW um 13:00 Uhr. Da ist es ein Glück, dass es Samstag, dass es der Einstieg ins Wochenende mit wenig Bedarf ist.

Die höchste Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energieträger gab es mit gut 46 GW am Mittwoch, den 14.10.2020 um 13:00 Uhr. Da lag der Strombedarf bei etwa 79 GW. Diesmal ist es noch gutgegangen. Es ist dennoch denkbar, dass die 79 GW Bedarf und die 18 GW Strom aus erneuerbaren Energieträgern zusammentreffen. Dann müssen die fehlenden 61 GW konventionell erzeugt und zum Teil importiert werden. Eine Mammutaufgabe eingedenk der geplanten Abschalt- und Ausstiegsorgien bezüglich fossiler und kernenergetischer Stromerzeugung in der Zukunft.

Stromabschaltungen als virtuelle Speicher

Eine Aufgabe, die sich noch schwieriger gestaltet, wenn es Nacht ist. Dann sind es 71 GW, die irgendwoher kommen müssen. Als letztes Mittel bleibt den Netzbetreibern dann nur noch gezielte Abschaltung wie im Sommer 2019 in England, als 1.000.000 Stromkunden ohne Strom dastanden (Abbildung 1). Gezielte Abschaltungen finden auch regelmäßig in Deutschland statt. Hier allerdings im Bereich stromintensiver Betriebe. Natürlich immer nach Rücksprache und gegen Bezahlung. Grüne „Energieexperten“ sehen darin "virtuelle Speicher". Was Prof. Hans-Werner Sinn im November 2019 schon mal bei einem Gespräch (Abbildung 2) mit der energiepolitischen Sprecherin, Dr. Nestle, an den Rand des Wahnsinns getrieben hat.

Auch in der 42. Woche – das wird im Herbst/Winter fast immer der Fall sein – exportierte Deutschland per Saldo Strom an seine Nachbarn (Abbildung 3). Den Anteil der regenerativen Stromerzeugung dokumentiert Abbildung 4. Das Auf und Ab der konventionellen Stromerzeugung unter Abbildung 5 wird getragen vom Sockel "Kernenergie", welche bis Ende 2022 komplett wegfallen wird. Ganz gleich, wie Deutschland diesen Stromanteil ersetzen will, es wird zum größten Teil CO2-erzeugende Stromerzeugung sein. Oder eben Atomstrom aus Frankreich und der Schweiz. Hauptsache, Deutschland hat mit erheblichen Vermögensverlusten den Ausstieg aus der Kernenergie geschafft.

Tabelle und Chart der 42. Woche sind unter Abbildung 6 zu finden, die Im-/Exportzahlen unter Abbildung 7. Dort ist auch eine zusätzliche Tabelle abrufbar, welche die Strom-Im- und Exporte aufschlüsselt sowie Preise darstellt. Sehr zu empfehlen!

Zum Schluss noch der Hinweis auf den aktualisierten Chart angenommene "Verdoppelung Wind- und Sonnenstromerzeugung" (Abbildung 8). Sah es vor einer Woche noch so aus, als könnte eine solche Verdoppelung den Bedarf zumindest einigermaßen decken, sind es bis zum 17.10.2020 bereits wieder 8 Tage in Folge, wo der mittels erneuerbarer Energieträger erzeugte Strom nicht ausreichte, um den Strombedarf Deutschlands zu decken.

Die Tagesanalysen

Sonntag, 11.10.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 48,36 Prozent, davon Windstrom 27,05 Prozent, Sonnenstrom 8,2 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 13,11 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Ein ruhiger Sonntag. Bei wenig Bedarf reicht Deutschlands Stromerzeugung aus, diesen komplett zu decken. Am Vorabend werden sogar fast 50 €/MWh Exportpreis erzielt. Ansonsten liegen die Preise unter wenig auskömmlichen 40, meist sogar unter 30 €/MWh. Hier noch der Erzeugungschart der Konventionellen.

Montag, 12.10.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 25,71 Prozent, davon Windstrom 7,86 Prozent, Sonnenstrom 5,71 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 12,14 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Am ersten Werktag der Woche muss die konventionelle Stromerzeugung massiv anziehen. Geht die Stromproduktion mittels erneuerbarer Energieträger doch in die Knie. Am frühen Morgen ist das Auffüllen der Stromversorgungslücke preislich erträglich. Am Vorabend müssen um 19:00 Uhr fast 80 €/MWh gezahlt werden. Diesmal von Deutschland an diese Nachbarn.

Dienstag, 13.10.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 29,05 Prozentdavon Windstrom 10,14 Prozent, Sonnenstrom 6,76 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 12,16 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Während am Morgen des Dienstags noch Strom importiert werden muss, zieht zum Abend mit dem Untergang der Sonne die Windstromerzeugung an. Da werden um 8:00 auch schon mal gut 70 €/MWh aufgerufen. Um 19:00 Uhr erzielt Deutschland für seinen Exportstrom noch knapp 60 €/MWh. Dann fällt der Strompreis. Die Konventionellen schaffen es trotz Pumpspeichereinsatz nicht, die Lücken am Morgen zu schließen.

Mittwoch, 14.10.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 52,80 Prozentdavon Windstrom 39,13 Prozent, Sonnenstrom 3,11 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 10,56 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Der Mittwoch ist der Buckelhöhepunkt. Den ganzen Tag exportiert Deutschland so viel Strom, dass das Preisniveau mit meist unter 40 €/MWh wenig befriedigend ist. Nur von 7:00 bis 9:00 Uhr werden auskömmliche Preise erzielt. Und um 18:00, 19:00 Uhr. Diese Nachbarn kaufen den Strom.

Donnerstag, 15.10.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 40,51 Prozent, davon Windstrom 27,22 Prozent, Sonnenstrom 2,52 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 10,76 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Mit der regenerativen Stromerzeugung geht es ab Donnerstag wieder bergab. Sinkende Windstromerzeugung, wenig Sonnenstrom: Deutschland steuert unaufhaltsam auf einen Tiefpunkt der Stromerzeugung mittels Wind- und Sonnenkraft zu. Langsam, aber sicher. Die Konventionellen bullern, die Preise liegen von 7:00 bis 21:00 Uhr akzeptabel über 40 €/MWh. Es bezahlen diese Nachbarn.

Freitag, 16.10.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 25,00 Prozent, davon Windstrom 10,00 Prozent, Sonnenstrom 2,86 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 12,14 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken

Freitag: Noch ein Zwischenschritt bis zum Tiefpunkt am Samstag. Wenig Strom aus erneuerbaren Energieträgern, eine konventionelle Stromerzeugung, die keine Lücken aufkommen lässt, ab nicht weit über dem Bedarf liegt: Die Preise passen. OK, das Handelsvolumen ist recht gering. Aber immerhin. Doch glaube bitte niemand, das sei das Ergebnis zielgerichteten Handelns. Dann müsste es viel öfter passen. Nein, ein gerüttelt’ Maß "glückliches Händchen" kommt an diesem Tag hinzu. 

Samstag, 17.10.2020: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 21,55 Prozent, davon Windstrom 2,59 Prozent, Sonnenstrom 3,45 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 15,52 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Heute passt es nicht mehr. Ein Tiefpunkt der Stromerzeugung durch Wind und Sonne ist festzumachen. Zur Mittagszeit herrscht absolute Windstille in Deutschland, was praktisch keinen Windstrom bedeutet. Die Stromlücken morgens und abends müssen teuer bezahlt werden. Der Exportstrom wird wesentlich billiger abgegeben. Wer macht Preisdifferenzgeschäfte? Ich sehe nur Österreich. Die Sommerzeiten sind vorbei. 

Leser Harald Bräuniger hat mir folgende Ausführungen und Fragen geschickt: 

Jetzt habe ich etwas entdeckt, dass mich irritiert. Sie schrieben am 21.10.2020: „Deutschland wird über den Winter seinen Strom weitgehend selbst herstellen und Überschüsse exportieren. Diese Überschüsse, es sind Strom-Mix-Überschüsse, werden, das ist das Fatale, umso höher ausfallen, desto näher die Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energieträger an den faktischen Bedarf heranreicht“. Ich war viele Jahre technischer Bereichsleiter eines Stadtwerks und dachte auf Grundlage meiner fachlichen Erkenntnisse, dass sich Deutschland zu Spitzenlastzeiten und bei Dunkelflaute nicht mehr hundertprozentig selbst versorgen kann, da die alten Grundlastkraftwerke Kohle und Kernkraft kontinuierlich weniger werden. Ich hatte somit angenommen, dass es dadurch zu vermehrten Importspitzen (15 Minuten Inkrement) kommen würde. Ich hatte weiterhin angenommen, dass, falls das Ausland bei Spitzenlast und Dunkelflaute nicht liefern könnte, eine erhöhte Gefahr eines Blackouts bestände. Liege ich mit diesen Annahmen falsch? Ich würde mich freuen, wenn Sie mir die genannten Aspekte erläutern könnten.

Unter Abbildung 9 habe ich ein Video eingestellt, welches mir ebenfalls ein Leser zugeschickt hat. Dieses Video geht auf die Fragen Herrn Bräunigers nicht nur ein, sondern bringt in verständlich-sympathischer Form noch zusätzliche Aspekte, die ich in dieser Kolumne Woche für Woche erarbeite. Es ist insofern eine gute Zusammenfassung zur Frage "Woher kommt der Strom?"

Ordnen Sie Deutschlands CO2-Ausstoß in den Weltmaßstab ein. Zum interaktiven CO2-Rechner: Hier klicken. Noch Fragen? Ergänzungen? Fehler entdeckt? Bitte Leserpost schreiben! Oder direkt an mich persönlich: stromwoher@mediagnose.de. Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr. 

Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.

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Leserpost

netiquette:

Peter Hager / 27.10.2020

Das Dilemma der deutschen Energie- und Klimapolitik wird immer deutlicher (vom weiter steigenden Strompreis abgesehen): Grundlastfähige und CO2-arme KKW werden abgeschaltet und bestenfalls durch Gaskraftwerke ersetzt. So nehmen beispielsweise seit Oktober die beiden Gaskraftwerke Irsching 4 (Nettoleistung 561 MW) und 5 (Nettoleistung 847 MW) wieder am regulären Strommarkt teil und lieferten bisher 0,12 TWh sowie 0,2 TWh (lt. Energy Charts). Beide Kraftwerke die 2010 sowie 2011 in Betrieb gingen gehören zu den effizientesten Gaskraftwerken (Wirkungsgrad 60,4% und 59,7%) in Europa und befanden sich seit 2013 in der Netzreserve. Die Nagelprobe wird in 2023 erfolgen (denn wetterabhängige WKA und PVA können keine sichere Stromversorgung garantieren) wenn in 2021 und 2022 die letzten sechs KKW (Nettoleistung 8200 MW) vom Netz genommen wurden und gemäß Kohleausstieg acht Kohlekraftwerke mit einer Nettoleistung von 2800 MW abgeschaltet sind.

Günter Ostermann / 27.10.2020

Ich finde es toll, dass sich jemand so intensiv und sachkundig mit diesem schwierigen Thema auseinandersetzt. Ich lese diese Analysen fast immer und möchte mich für die Arbeit bedanken! Man kann nur hoffen und wünschen, dass ein echter Entscheidungsträger sich diese Wochenberichte einmal ansieht - vielleicht werden dann erst einmal keine Kraftwerke mehr abgeschaltet, egal ob Kohle oder Nuklear. Ständig sägen die deutschen Politiker an dem Ast, auf dem Deutschland (noch) sitzt…es ist zum Haareraufen!

Helmut Driesel / 27.10.2020

  Der Link hinter “80€/MWh #Diesmal an diese Nachbarn” führt auf einen Chart, wo die 80€ auf der Export-Seite eingezeichnet sind. Das kommt mir anhand der zugehörigen Erläuterung etwas merkwürdig vor?

Jörg Themlitz / 27.10.2020

Ach Herr Stobbe mich können Sie nicht mehr verunsichern. Polen wird in den nächsten 20 Jahren 6 Atomkraftwerke errichten. Da werden doch für mich ein paar KW/h abfallen. Und wenn nicht, ist ja vormals Ostpreußen immer noch ein interessantes Auswanderungsziel. Da kann ich dann ob der vielen Freizeit, bei sauberer Luft nach dem Bernsteinzimmer suchen und nebenbei Uromas verstecktes Silber und Porzellan ausbuddeln und im Internet verticken. Also das Bernsteinzimmer, Silber und Porzellan behalte ich selbstverständlich. (zwinker, zwinker,  jaaah, Polen wird in diesen 20 Jahren diverse Kohlekraftwerke abschalten, parken oder ähnlich)

Peter Holschke / 27.10.2020

Was soll die Tirade? Der Strom kommt doch aus der Steckdose. Das war schon immer so, wird also in Zukunft so sein. Was soll des Technikergeschwätz? Und wenn mal kein Strom mehr aus der Steckdose kommt, dann nimmt man eben mal Batterien aus dem Supermarkt. Man darf nur nicht immer so bequem sein. Und wenn das nicht funktioniert, dann rufe ich Papa an, dem fällt immer was ein. Es ist nicht in Ordnung, dass wir den Planeten zerstören und so ..., früher hatten die Leute auch keinen Strom, waren dafür aber netter zueinander. Wenn wir alles C02 verbraucht haben, ist das auch keine Lösung. Man sollte nicht immer alles so pessimistisch sehen, die Regierung weiß schon was sie tut. Ich wähle jedenfalls die Grünen, die sind wenigstens für die Umwelt. //Ironie Off

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