Rüdiger Stobbe / 14.07.2020 / 10:00 / Foto: Doenertier82 / 5 / Seite ausdrucken

Woher kommt der Strom? 27. Woche – Stundenrekord

Am Samstag der 27. Woche (4.7.2020) war es fast soweit. Um 14:00 Uhr erreichte die Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energieträger mit 60.344 Gigawatt (GW) fast den Bedarf Deutschlands. Dieser lag bei besagten 14:00 Uhr bei 62,057 GW. Wind-, Sonnen- und Wasserkraft plus Biomasse steuerten in dieser Stunde 97,22 Prozent zur Stromversorgung in Deutschland bei. Das ist meines Wissens tatsächlich ein Rekord, zumindest ein Stundenrekord der Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energieträger.

Nur gut 2 GW fehlten an den 100 Prozent. Das scheint nicht sonderlich viel zu sein. Also rechnen wir mal. Die installierte Leistung Windkraft gesamt liegt 2020 aktuell bei 61,67 GW. Die Windkraftwerke an Land und auf See produzierten am 4.7. 2020 um 14:00 Uhr 28,02 GW. Das sind 45,43 Prozent der installierten Leistung. Wie viele Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von 3 MW (Abbildung, bitte unbedingt anklicken. Es öffnen sich alle Abbildungen und mehr) hätten zusätzlich vorhanden sein müssen, um die 2 GW, und damit die 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen? Bei angenommen 45,43 Prozent erzeugtem Strom aus der Nennleistung sind 2,2 Windkraftanlagen notwendig, um deren Nennleistung 3 MW faktisch zu erzeugen. Es wären bei 2 GW = 2.000 MW benötigtem Strom 2.000 / 3 x 2,2 = 1.467 Windkraftanlagen à 3 MW zusätzlich nötig gewesen, um die 100 Prozent zu erreichen. Da bekommen 2 GW schon ein ganz anderes Gewicht.

Hätte man – rein theoretisch – die an den 100 Prozent fehlenden 2 GW aus gespeichertem Grünen Wasserstoff gewinnen wollen, hätte es ursprünglich überschüssigen Windstrom gebraucht, der mit Hilfe von 10.672 Windkraftanlagen à 3 MW – Stromausbeute im Gesamtdurchschnitt 25 Prozent der Nennleistung – erzeugt worden wäre (Rechenweg: Abbildung 1).

Grundrechenarten und Dreisatz reichen oft aus

Günther Wirst hat im Zusammenhang mit meinen Ausführungen zur Elektromobilität einige Leserbriefe geschrieben, die unter Abbildung 2 zusammengefasst sind. Er belegt damit, dass man nicht unbedingt Experte sein muss, um eine Technologie zumindest überschlägig auf ihren Nutzen bezogen auf ein Ziel, hier die CO2-Ersparnis, zu beurteilen. Grundrechenarten und Dreisatz reichen oft aus, um sich ein Bild zu machen.

Die 27. Woche (Abbildung 3) brachte viel Strom aus erneuerbaren Energieträgern. So viel, dass der Strom zweimal verschenkt und einmal mit Bonus abgegeben werden musste. Unsere Nachbarn freute es. Und es gab selbstverständlich Phasen, in denen der benötigte Strom nach Deutschland importiert werden musste. Das freute unsere Nachbarn ebenfalls. Es wurden verhältnismäßig hohe Preise aufgerufen. Das Preisdifferenzgeschäft blühte.

Die Tabelle mit den Werten der Energy-Charts und der daraus generierte Chart ergänzen die Charts der Agora-Energiewende. Die Im-/Exportwerte in und aus den einzelnen Ländern finden Sie für das bisher aufgelaufene Jahr hier, für die 27. Woche hier. Zusätzlich gibt es heute wieder die auf den realen Zahlen 2020 angenommene theoretische Verdoppelung der installierten Leistung Wind- und Sonnenkraft (Abbildung 4). Schauen Sie sich diese Auswertung bitte vor allem unter dem Aspekt der Größenordnungen an. Beachten Sie bitte, dass eine Terawattstunde = 1.000 Gigawattstunden = 1.000.000 Megawattstunden entspricht.

Die Tagesanalysen

Sonntag, 28.6.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 63,55 Prozent, davon Windstrom 28,97 Prozent, Sonnenstrom 17,76 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 16,82 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Recht gleichmäßige Stromerzeugung der erneuerbaren Energieträger mit einer starken Mittagsspitze, kombiniert mit wenig Bedarf am Sonntag lässt den Strompreis gegen null fallen. Es muss nur wenig Strom per Saldo importiert werden. Der allerdings kostet. Eine gute Gelegenheit für Preisdifferenzgeschäfte. Frankreich, die Schweiz, aber auch Österreich profitieren. Der bundesdeutsche Stromkunde eher nicht.

Montag, 29.6.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 57,94 Prozent, davon Windstrom 26,19 Prozent, Sonnenstrom 17,46 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 14,29 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

War gestern der Strompreis am Vormittag noch moderat, bildet er heute dort eine erste Preisspitze für Importstrom. Über Mittag tendiert der Exportpreis gegen 20 €/MWh. Zum Abend die gegenüber dem Morgen etwas niedrigere Preisspitze. Wer importiert, wer exportiert? Hier klicken.

Dienstag, 30.6.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 67,13 Prozentdavon Windstrom 38,46 Prozent, Sonnenstrom 16,08 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 12,59 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Starke Windstromerzeugung, befriedigende Sonnenstromerzeugung führen dazu, dass der Strom über Mittag verschenkt werden muss. Bis auf den mittlerweile fast obligaten Vorabend/Abend erzeugt Deutschland seinen benötigten Strom selbst. Sonnenstrom fällt Zug-um-Zug weg, der Bedarf steigt etwas, der Wind gleicht es nicht ganz aus, die aufgedrehten Pumpspeicher auch nicht: Der fehlende Strom wird zu Höchstpreisen importiert. Vor allem die kleine Schweiz freut sich: Verkauft doch Strom zu hohen Preisen, den sie über Mittag geschenkt bekommen hat. Natürlich nicht denselben Strom. Das Geschäft funktioniert jedenfalls.

Mittwoch, 1.7.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 54,01 Prozent, davon Windstrom 24,09 Prozent, Sonnenstrom 16,79 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 13,14 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Die Wind- und Sonnenstromerzeugung lässt etwas nach. Morgens und abends muss Strom netto importiert werden. Nichts Neues also. Auch das Preisgefüge bleibt: Morgens und abends hohe Importpreise. Über Tag relativ niedrige Exportpreise. Heute profitieren mal die Niederlande.

Donnerstag, 2.7.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 44,80 Prozent, davon Windstrom 14,40 Prozent, Sonnenstrom 16,00 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 14,40 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Wind- und Sonnenstromerzeugung lassen weiter nach. Die deutsche Stromerzeugung liegt über Tag auf Kante. Das Preisgefüge verändert sich kaum. Nur die aufgerufenen Preise verändern sich. Von 0:00 bis 05:00 sind die Strompreise generell niedrig, weil da der Bedarf am geringsten ist. Um 3:00 Uhr werden 27,20 €/MWh aufgerufen. Um 19:00 Uhr mit 52,65 €/MWh fast das Doppelte. Wer profitiert? Hier klicken.

Freitag, den 03.07.2020: Anteil erneuerbare Energieträger an der Gesamtstromerzeugung 51,20 Prozent, davon Windstrom 19,20 Prozent, Sonnenstrom 18,40 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 13,60 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Heute wird bereits um 8:00 Uhr der Tageshöchstpreis mit knapp 50 €/MWh aufgerufen. Deutschland importiert vom 0:00 bis 9:00 Uhr per Saldo Strom. Erst ab 10:00 Uhr reicht die eigene Stromerzeugung. Der Preis sinkt. Um 16:00 Uhr bekommt Deutschland nur noch 24,22 €/MWh für den Exportstrom. Ab 18:00 Uhr wird wieder importiert. 27,24 € müssen bezahlt werden. Viel mehr wird es diesen Abend nicht. Bemerkenswert: Hauptlieferanten des Stroms für Deutschland sind heute die Niederlande und Dänemark.

Samstag, 04.07.2020: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 68,49 Prozent, davon Windstrom 41,10 Prozent, Sonnenstrom 15,75 Prozent, Strom Biomasse/Wasserkraft 11,64 Prozent. Die Agora-Chartmatrix: Hier klicken.

Heute brummt die Stromerzeugung mittels erneuerbarer Energieträger: Um 14:00 ein Stundenrekord. Fast erreichen die Erneuerbaren den Bedarf. Natürlich nur, weil der Bedarf relativ gering ist. Schließlich ist Wochenende. Dennoch. Irgendwann werden die 100% Bedarfsdeckung erreicht werden. Das wird einen Jubel geben. Fakt aber ist auch, dass die Erneuerbaren Energieträger Wind- und Sonnenkraft niemals eine kontinuierliche, sichere und hohe Stromerzeugung hergeben werden. Auch wenn sogenannte Virtuelle Kraftwerke die Koordination der vielen tausend dezentralen Einzelanlagen vornehmen.

Die Stromerzeugung schwankt, sie ist höchst volatil. Und wird es bleiben. Hinzu kommt, dass der Strom, der mittels erneuerbarer Energieträger erzeugt wurde, die Preise in die Höhe treibt. Dieser Rekordtag ist dafür ein feines Beispiel. Praktisch verschenkt Deutschland den Strom von 9:00 bis 15:00 Uhr. Um 13:00 Uhr muss noch ein kleiner Bonus = 56.544 € mitgegeben werden. Die werden unter unseren hocherfreuten europäischen Nachbarn aufgeteilt.

Ordnen Sie Deutschlands CO2-Ausstoß in den Weltmaßstab ein. Zum interaktiven CO2-Rechner: Hier klicken. Noch Fragen? Ergänzungen? Fehler entdeckt? Bitte Leserpost schreiben! Oder direkt an mich persönlich: stromwoher@mediagnose.de. Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr. 

Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.

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Leserpost

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Günter Schmidt / 14.07.2020

Lieber Herr Stobbe, wieso können Abnehmer im Ausland überschüssigen Strom jederzeit abnehmen? Haben sie so viele ungenutzte Pumpspeicher-Kapazitäten? Was ist mit den deutschen Pumpspeicherwerken? Ich habe mal gelesen, daß sie aufgrund der schlechten Planbarkeit kaum noch wirtschaftlich arbeiten können. Aber wieso klappt das im Ausland? Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diese Fragen mal beleuchten würden.

Rüdiger Stobbe / 14.07.2020

@ Andreas Bock und andere Interessierte // Bitte lesen Sie zur Im-, Exportproblematik 2019 ... (Anm. d. Red.: Lieber Herr Stobbe, Links sind hier leider nicht zugelassen. Bitte gooogeln nach: »achgut Woher kommt der Strom? 4. Woche«) Beste Grüße Rüdiger Stobbe

Peter Hager / 14.07.2020

Erst zum Halbjahr konnte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE mit 55,8% der Nettostromerzeugung einen neuen Rekordwert für die “erneuerbaren Energien” vermelden. Vergessen wird dabei daß die Bruttostromerzeugung in D um gut 15% höher war (Eigenbedarf der Kraftwerke, Netztransportverluste, Industriekraftwerke). Aber das würde den Rekordwert der “erneuerbaren Energien” auf rund 40% reduzieren (was nicht so viel hermacht). Und durch den zunehmenden Anteil der volatilen Energieträger Wind und Sonne sowie den fehlenden Speichersystemen wird unser Stromsystem immer schwerer beherrschbar. Zusätzlich verstärken wird sich dies durch den Ausstieg aus der Kernenergie (ein planbarer Energieträger mit aktuell rund 11% Anteil an der Bruttostromerzeugung) bis Ende 2022.

Hartwig Dorner / 14.07.2020

Im Konzept des ‘Virtuellen Kraftwerkes’ sind die ‘Virtuellen’ Leitungen leider unterrepräsentiert (“eine Belastung des öffentlichen Stromnetzes findet nicht statt”. Next Kraftwerke GmbH).

Andreas Bock / 14.07.2020

Wie erklärt sich der Exportüberschuss beim Strom den das Frauenhofer Institut und das Ministerium mit 1,55 Milliarden € für 2019 angibt. Gibt es dazu eine Korrekturrechnung oder Sichtweise die fundiert nachweist dass dieser Überschuss anzuzweifeln ist?

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