Silvia Meixner / 19.06.2010 / 00:24 / 0 / Seite ausdrucken

WM 6: Fußball mit indischen Göttern

Diesmal haben wir bei einem Inder in Berlin-Schöneberg geguckt. Das kann man Fußball-Autisten nur empfehlen. Keine schwitzenden, stinkenden Leiber, keine unqualifizierten Kommentare (außer von Herrn Réthy, aber dazu kommen wir später), keine Tröt-Idioten, es ist Fernsehen im Schatten der wunderschönen indischen Beauties und Götter, die an der Wand hängen.  Über der Bar eine fröhliche Blink-Blink-Welt indischer Götter, in der Luft feiner Räucherstäbchenduft. Eine Opfergabe für die Götter, die offenbar aber leider zu den Serben hielten.

Wir waren fast unter uns: Der indische Wirt, die Kellnerin, vier beinahe stumme Fußballfans, ein schweigsames Ehepaar und ich. Die beiden waren die größten Anti-Fans, die ich je gesehen habe. Gemeinsam wogen sie, freundlich geschätzt, 250 Kilo und offenbar hatten sie nicht vor, ausgerechnet am Freitag eine Diät zu beginnen: In der größten Sommerhitze bestellten sie jeweils eine indische Riesen-Brutzel-Pfanne, die in Indien für eine mittelgroße Familie gereicht hätte. Die Inhalte der Brutzel-Pfannen wurden schweigend verzehrt.  90 Minuten lang! Rote und gelbe Karten, Elfmeter, Fouls, Schicksalssekunden- all das ging völlig spurlos an den beiden vorüber. Beeindruckend.

„Schweinsteiger wechselt die Schuhe“, kommentierte irgendwann Béla Réthy, der vermutlich langweiligste TV-Kommentator des Planeten, eine Szene. „Von Sommer auf Winter?“, fragte hämisch ein Mann am Nebentisch. Man fragt sich schon, wie man in die erste Liga der Fußballkommentatoren kommt. Réthy, so lese ich in seinem Wikipedia-Eintrag, spricht fünf Fremdsprachen. Vermutlich kennt er sich auch mit Fußball aus – allein, er kann es nicht rüberbringen. Kein Enthusiasmus, keine Leidenschaft, der Mann ist eine Schlaftablette. Es gibt in der EU für alles Vorschriften und Regeln – wer nimmt sich bitte einmal der Ausbildung von Fußballkommentatoren an? Sind Gurken zu krumm, Tomaten zu klein, Bananen zu gelb, werden sie ausgewechselt. 90 Minuten lang plus Nachspielzeit habe ich darauf gewartet, dass es kracht und der Mann rechts unten schnarchend aus dem Fernsehgerät fällt. Nichts geschah. Ich werde dennoch weiterhin an Wunder glauben. Nachdem Miroslav Klose die rote Karte sah, stellte Réthy fest: „Jetzt muss die Mannschaft noch mehr zusammenrücken.“ Ja, klar, Kuscheln und Liebhaben gehört zu den Tätigkeiten, die auf der Prioritätenliste eines Fußballprofis ganz oben stehen.  Béla Réthy weiter: „ Ein 1:1 vor der Pause lässt das alles ganz anders aussehen“ (da bestand noch Hoffnung auf einen Sieg der Deutschen). Ein 1:1 nach der Pause auch. Leider kam alles anders.

Beim Gehen fragte ich den indischen Wirt, warum eigentlich die Inder nicht bei der Fußball-WM mitspielen. Er lächelte: „Wir spielen Cricket!“, erklärte er. Vielleicht sollten die deutschen Fußballer einfach umschulen, wenn das so weiter geht.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Silvia Meixner / 25.11.2016 / 10:53 / 0

Heul doch, Airbnb!

Wenn nichts mehr geht, kann man immer noch ein paar Krokodilstränen ins Rennen werfen: „Meine Tochter lebt in der Schweiz. Ich vermiete meine Wohnung, wenn…/ mehr

Silvia Meixner / 12.09.2016 / 15:00 / 1

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin! (5)

Ich hab’s getan. Briefwahl. Mit einem flauen Gefühl im Magen habe ich mein Kuvert in einen Berliner Briefkasten geworfen. Begleitet von guten Wünschen und lieben…/ mehr

Silvia Meixner / 04.09.2016 / 12:45 / 0

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin! (4)

Wenn Wahlkampf ist, entdecken Politiker traditionell ihre Liebe zum umweltschonenden Radfahren. Getreu Ciceros Ratschlag „Versprich allen alles“ schüren sie Träume, die am Tag nach der…/ mehr

Silvia Meixner / 31.08.2016 / 18:51 / 3

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin! (3)

Kaum hängen irgendwo Wahlplakate, üben sie magnetische Faszination auf Idioten aus. Die einen malen die Augen aus, andere malen Frisuren oder ihren gedanklichen Dünnpfiff auf…/ mehr

Silvia Meixner / 08.08.2016 / 11:23 / 3

Silvi, die Wahlkampf-Waitress - live aus Berlin! (2)

Ich darf in Berlin als EU-Bürgerin zwar nicht wählen, aber es gibt ja den Wahl-O-Mat. Mein Wahl-Ersatz. Ich habe beschlossen, politisch mainstream zu sein. Die…/ mehr

Silvia Meixner / 02.08.2016 / 14:00 / 1

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin!

Hi, I’m Silvi, I’m your Wahlkampf-Waitress – und ich führe Sie durch den Berliner Wahlkampf. Heute: Die Hunde-Antiköder-Website. Eine Initiative der intelligenten Berliner Politik. In…/ mehr

Silvia Meixner / 15.12.2015 / 12:00 / 2

Warnung vor dem Keks! (Silvis Culture Club 81).

Früher hat die Großmutter im Advent die Kekse gebacken, die Kinder bekamen vom rohen Teig ein bisschen Bauchweh und alles war gut. Heutzutage lässt man…/ mehr

Silvia Meixner / 08.09.2015 / 12:00 / 1

Silvis Culture Club (80): Exquisite Dummheit über den Wolken

Air Berlin schickt mir eine sensationelle Offerte: „Machen Sie uns ein Angebot für einen freien Nebensitz“. Die Idee ist so penetrant wie sinnfrei und ich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com