Silvia Meixner / 08.08.2016 / 11:23 / Foto: Agencia Brasil / 3 / Seite ausdrucken

Silvi, die Wahlkampf-Waitress - live aus Berlin! (2)

Ich darf in Berlin als EU-Bürgerin zwar nicht wählen, aber es gibt ja den Wahl-O-Mat. Mein Wahl-Ersatz. Ich habe beschlossen, politisch mainstream zu sein. Die Fragen, mit deren Hilfe ich meine Partei herausfinden soll, sind bunt wie das Leben. Sollen Spätis sonntags öffnen? Die haben doch eh alle Tag & Nacht geöffnet, oder? Soll der Flughafen Tegel in Betrieb bleiben? Bleibt er sowieso, weil er frühestens 2030 eröffnet wird, aber ich glaube, die Frage ist anders gemeint. Ich antworte mit „neutral“.

Freier Eintritt in alle staatlichen Museen? Neutral. Soll die Berliner Polizei den Einsatz von Bodycams testen? Von mir aus. Bin ich für Moscheen mit Minaretten? Angesichts der Terrorgefahr  finde ich die Frage beinahe schon niedlich. Neutral. Ich klicke mich durch die Berliner Fragen. Richtige Aufreger sind nicht darunter. Ich hätte erwartet, dass die Hauptstädter andere Dinge interessieren, aber sei’s drum. Eigentlich vermisse ich Fragen wie zum Beispiel, ob ich lieber rechts- oder linksdrehenden Joghurt esse und ob ich meine Goldbarren bei der AfD oder doch lieber wo anders bestelle.

Ich bleibe neutral. Damit sprenge ich die Kapazität der Online-Wahlhilfe. Der Wahl-O-Mat teilt mir mit, dass „kein individuelles und zuverlässiges Ergebnis berechnet werden kann.“ Frechheit.

Ein Wahl-O-Mat ist ein Entscheidungshilfegerät für all jene, die ihr Gehirn irgendwann irgendwo an der Garderobe abgegeben haben. Sie vermissen es nicht; man braucht im Alltag eigentlich kein Gehirn, so lange man Google bei sich hat. Aber wenn Wahlen sind, wollen auch die Gehirnlosen keinen Fehler machen. Also mal besser schnell online nachfragen. Der Wahl-O-Mat ist die Kapitulation des Menschen vor der eigenen Dummheit. Das Gute ist, dass die meisten es nicht merken.

Dass hinter der Aktion Wahl-O-Mat die Bundeszentrale für politische Bildung und die Berliner Landeszentrale für politische Bildung stehen, habe ich zuerst für einen Scherz gehalten. Ich dachte immer, das wäre auch verkappte Wahlwerbung oder die sensationelle Marketing- Idee eines Getränkeherstellers.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von www.good-stories.de
 

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Leserpost

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LpB Freiburg / 09.08.2016

Liebe Silvi, den Verstand und damit einhergehend gleichzeitig auch noch seine Meinung sollte man natürlich nicht (auch nicht beim Getränkehersteller seines Vertrauens) liegen lassen. Denn dann ist der Wahl-O-Mat in der Tat keine hinreichende Hilfe für die Entscheidung zur Wahl. Wer allem neutral gegenüber steht und zu nichts Stellung bezieht, der wird auch durch das Onlinetool keine Erleuchtung bekommen. Der Wahl-O-Mat ist vielmehr als zusätzliche Orientierungshilfe für diejenigen gedacht, die sich zumindest ein wenig für aktuelle Probleme und politische Themen interessieren. Selbstverständlich muss man, um einen Mehrwert aus dem Wahl-O-Mat zu ziehen, sowohl beim Beantworten der Fragen als auch über das vorgeschlagene Ergebnis nachdenken und sich und anderen weitere Fragen stellen. Ob der Frühstücksjoghurt links- oder rechtsdrehend ist, das ist sicher spannend. Für uns, die versuchen politische Bildung zu vermitteln, ist es allerdings noch deutlich wichtiger, auch über den Tellerrand hinaus zu blicken :-) Deine LpB Freiburg

Stefan O. W. Weiß / 08.08.2016

Der Wahl-O-Mat ist so schlecht nicht. Er ermöglicht einem, eine Entscheidung frei von Emotionen zu treffen. Oft schieben sich ja persönliche Sympathien und Antipathien vor ein Wahlverhalten, das sich strikt nach den eigenen Überzeugungen richtet. Man wählt die Partei, die einem eigentlich am nächsten steht, nicht, weil man den Spitzenkandidaten nicht mag. Ich verstehe das, aber im Grunde handelt man gegen seine Interessen. Man muss die Politiker ja nicht mögen, es reicht doch, wenn sie das tun, was man möchte.

Arno Besendonk / 08.08.2016

Sehen sie es doch mal anders - wann setzte der Sinkflug der SPD ein? Seit die Leute per Wahl - O - Mat wissen, was sie da wählen und das Kreuz nicht mehr dort setzen, wo Oppa (Das zweite P bleibt!), der Bergmann oder Stahlschmelzer war, es schon gesetzt hat. Es hat auch Vorteile, sich nicht durch -zig Parteiprogramme quälen und sie einem eigenen Realitätscheck unterziehen zu müssen. Nur um dann feststellen zu dürfen was ma eh schon ahnte, dass die Eigensicht einer Partei nur wenig mit ihrer aktuellen Politik zu tun hat. Wahl - O - Mat ja bitte!!

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