Burkhard Müller-Ullrich / 13.09.2015 / 23:13 / 1 / Seite ausdrucken

Willkommenshemdchen - Le dernier cri im Modebusiness

Wenn man auf Amazon nach „Flüchtlinge T-Shirt“ sucht, bekommt man 391 Ergebnisse angezeigt. Bei „Refugee T-Shirt“ ist das Angebot noch größer: 469 Treffer. Man kann wählen zwischen einem einfachen Baumwoll-Shirt für nur 11,90 Euro in Grau, Weiß oder Beige mit dem Aufdruck „Refugees welcome – no one is illegal“ und etwa einem mit 16,90 Euro etwas teureren schwarzen Langarm-Shirt für Frauen, auf dem eine dreiköpfige Kleinfamilie als Piktogramm prangt mit der Ergänzung: „Refugees welcome – bring your families“. Es gibt aber auch ein – wie es heißt – besonders „modisches, lässig geschnittenes T-Shirt für Frauen und Damen, auf dem Refugees zu RFGS und Welcome zu WLCM abgekürzt werden. Allerdings besteht bei dem Modell das Gewebe aus zehn Prozent Viskose.

Immerhin fünfzehn Prozent Polyester enthält ein schwarzes Rundhalsshirt für 19,99 Euro mit dem deutschen Text „Kein Mensch ist illegal“, welches wiederum preislich übertroffen wird von einem 22,99 Euro teuren, in sieben Farben erhältlichen Baumwollshirt, das die Aufschrift „I could be a refugee“ trägt. „Ein absolutes Basisteil für jede Lebenslage“, wie der Anbieter dazu philosophisch schreibt. Wer die Potentialität des Flüchtlingseins nicht selbst verkörpern, sondern anderen vorhalten möchte, zieht passenderweise die in Dunkelgrau, Hellgrau oder Schwarz erhältliche Version mit dem Aufdruck „You could be a refugee“ an.

Überflüssig zu erwähnen, daß man all diese Slogans nicht bloß auf Textilien, sondern auch auf Tassen, Mousepads, Einkaufstaschen und anderen Dingen des täglichen Gebrauchs erwerben kann. Die Nachfrage scheint groß zu sein, sonst würde auf dem Markt kein solches Gedränge herrschen. Die Flüchtlingshilfe ist offenbar ein Kleidermodethema, womöglich ist sie selber eine Mode. Wenn sie, wie das bei Moden üblich ist, einmal vorübergeht, wird man sich an den Kopf fassen, wie das im Hinblick auf vergangene Moden üblich ist.

Das merkwürdigste Kleidungsstück in dem Zusammenhang ist allerdings ein T-Shirt mit nichts als dem Wort „refugee“ darauf. Soll es wirklich der Kennzeichnung des Trägers dienen? Statt Willkommenskultur zu deklamieren, scheint es sie zu reklamieren und direkt zu testen. Der Begriff Funktionskleidung bekommt hier einen ganz neuen Sinn. Der Flüchtlingsstatus, so schrecklich er für die Betroffenen normalerweise ist, hat sich bei den Deutschen zu einer Projektionsfläche der eigenen Wohltatensehnsucht gewandelt.

Übrigens hat es auch praktische Vorteile, mit dem entsprechenden Hemd ausgestattet als Flüchtling herumzulaufen. Man darf dann jene regulären Intercityzüge benutzen, in die – wie gerade in München geschehen – gewöhnliche Fahrgäste nicht mehr einsteigen dürfen, weil sie von der Deutschen Bahn für Flüchtlinge reserviert werden.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Waldemar Undig / 13.09.2015

Also wenn man ne Bahncard 100 hat (ich bin zum Glück seit Februar auf Fernbus), dann darf man da trotzdem nicht einsteigen, es sei denn, man hat ein Refugee-T-Shirt an? Hammer!

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Burkhard Müller-Ullrich / 14.02.2016 / 20:45 / 0

Beate Uhse druckt keine Kataloge mehr

So ändern sich die Zeiten: ein Name, der vor fünfzig Jahren zum Inbegriff verruchter Lüste und heimlicher Verlockungen geworden ist, kämpft heute gegen das abtörnende…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 02.02.2016 / 16:02 / 5

Die Skandalisierung des Selbstverständlichen

„Aber der Kaiser ist ja nackt“, ruft das Kind in Hans Christian Andersens 179 Jahre altem Märchen und dadurch fällt es den Leuten wie Schuppen…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 03.01.2016 / 21:58 / 2

Achtung! Polen! Stillgestanden!

Wenn es etwas gibt, das geeignet ist, die ohnehin spärliche Zuneigung der Polen zu ihrem großen, ruppigen Nachbarn Deutschland drastisch zu verringern, dann hat der…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 16.11.2015 / 00:58 / 8

Straft ihn! Er hat instrumentalisiert, der Schuft!

Es gibt ein ganz, ganz böses Wort in unserem politischen Diskurstheater, und zwar „Instrumentalisierung“. Unter Instrumentalisierung versteht man die unzulässige Heranziehung von Tatsachen, um daraus…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 05.11.2015 / 22:53 / 0

Telekom will Telefonbuchsparte abstoßen - Ein Nachruf

In einem Buch stehen, seinen Namen gedruckt sehen: das ist für viele Menschen ein Lebenstraum. Bei den allermeisten sorgt nur das Telefonbuch dafür, daß er…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 22.10.2015 / 15:02 / 6

An einem Tag in Köln am Rhein

Der deutsche Alptraum klingt im Originaltext so: „Liebe Eltern, einige von Ihnen haben vielleicht schon durch die Kinder erfahren, dass ab der kommenden Woche in…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 19.10.2015 / 18:17 / 6

Köln ist nicht Weimar

Kaum jemand von uns Heutigen hat die Weimarer Republik bewußt erlebt. Aber ein Gefühl von Weimarer Republik haben derzeit viele. Dieses Gefühl beruht auf einer…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 14.10.2015 / 22:25 / 8

Landesgrenzen als zivilisatorische Errungenschaft

Die dramatischen Bilder von Menschen an Grenzen, die uns derzeit bis in den Schlaf verfolgen, haben etwas Irreführendes. Sie scheinen denen Recht zu geben, die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com