Gastautor / 03.06.2015 / 07:00 / 1 / Seite ausdrucken

Wieso Bürger dem Bargeld eher vertrauen als der Obrigkeit

Von René Scheu

Grosse Banknoten erfreuen sich in der EU und in der Schweiz neuer Beliebtheit – als Wertanlage und als Schutz vor staatlichem Zugriff

Es gibt Bargeld. Und es gibt Buchgeld. Bargeld, das sind in der Schweiz Münzen und Noten der Nationalbank. Buchgeld sind die Guthaben auf den Konti aller anderen Banken. Was wenige wissen: Nur Bargeld ist gesetzliches Zahlungsmittel. Im entsprechenden Bundesgesetz heisst es: «Schweizerische Banknoten müssen von jeder Person unbeschränkt an Zahlung genommen werden.» Umgekehrt ist im Prinzip niemand gezwungen, Buchgeld zu akzeptieren. Denn letzteres ist privat geschöpft und unterliegt dem Solvenzrisiko der Banken.

Der Bundesrat ist zwar vorerst mit seinem Ansinnen gescheitert, den Gebrauch von Bargeld über 100 000 Franken zu verbieten. Dennoch bleibt die Frage: Warum ächtet der Staat auch hierzulande das Bargeld, das er zugleich als das einzig wahre Zahlungsmittel anerkennt?

Der russische Schriftsteller Dostojewski nannte Bargeld einst «geprägte Freiheit», aus dem einfachen Grund, weil es anonym, also herkunftslos ist: Bargeld ist hier und jetzt Zahlungsmittel, egal, durch welche Hände es zuvor gelaufen ist. Die staatliche Ächtung hängt mit dieser Eigenschaft zusammen. Die USA nahmen dabei eine Vorreiterrolle ein: Sie verpflichteten ihre Banken bereits 1970 per Gesetz, Bartransaktionen ab 10 000 Dollar dem US-Schatzamt zu melden. Die international verbriefte Disqualifizierung des Bargelds erfolgte 1988 durch die Uno-Konvention zur Bekämpfung des Drogenhandels und 1989 durch die Einsetzung der Groupe d’action financière auf Initiative der G-7. Es kam zur Umwertung aller Barwerte, deren Zeugen wir heute sind: Richtete sich die Kontrolle einst gegen Kriminelle, ist heute jeder Benutzer mittlerer Bargeldsummen ein potenzieller Geldwäscher, der seine Unschuld beweisen muss.

Während Staaten daran arbeiten, Steuerhinterziehung als Vortat zur Geldwäsche härter zu bestrafen, votieren politiknahe Ökonomen neuerdings für eine Abschaffung des Bargelds. Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger sprach aus, was Kollegen wie Laurence Summers (Ex-Chefökonom der Weltbank) und Kenneth Rogoff (Ex-Chefökonom des IMF) bisher nicht laut zu sagen wagen: Die Angst geht um, dass die Bürger Bargeld horten, weil sie das offizielle Zahlungsmittel gerade neu als Wertaufbewahrungsmittel entdecken.

Und in der Tat – zwar wird nachweislich immer öfter elektronisch bezahlt, doch erreicht der Bargeldbestand zugleich neue Höchststände. In der Euro-Zone übersteigt der Wert aller ausgegebenen Banknoten längst eine Billion, in der Schweiz bunkert im Schnitt jeder Bürger 8305 Franken in bar, davon mehr als die Hälfte in Tausendernoten. Die Bürger tun nicht, was die Obrigkeit von ihnen verlangt: ihr rückhaltlos zu vertrauen. Einige verfügen über einschlägige Erfahrung, die anderen über ein gutes Gedächtnis: Zwangsabgaben und Zwangsanleihen sind erprobte Mittel zur Konsolidierung des Staatshaushalts. 2013 wurden in Zypern Konti eingefroren und Guthaben per Knopfdruck amputiert; im selben Jahr phantasierte der Internationale Währungsfonds von einer Zwangsabgabe von zehn Prozent auf alle Privatvermögen; und neuerdings sollen Negativzinsen den Staaten helfen, die Schuldenlast halbwegs erträglich zu halten.

Gäbe es nur noch Buchgeld, könnte der Staat seine Bürger über Nacht still enteignen – wahlweise unter dem Titel «Solidarität» oder «Gerechtigkeit». Das schafft eine paradoxe Situation: Die Ausdehnung staatlichen Zugriffs auf privat geschöpftes Buchgeld verleitet Private zur Flucht in staatlich emittiertes Bargeld. Die Einzigen, die das freut, sind die Einbrecher. Ihre Chancen, in fremden Wohnungen auf reiche Papierbeute zu stossen, steigen täglich.

Zuerst erschienen in der NZZ am Sonntag vom 31.05.2015

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Leserpost

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Florian Gehrke / 03.06.2015

Diese Absicht, das Bargeld abzuschaffen, muß man vielleicht auch noch in einem anderen Zusammenhang sehen. Geld war bislang etwas, das man sich erarbeiten mußte; die Belohung für eine erbrachte Leistung. Mal abgesehen von dem glücklichen Umstand, daß man eine größere Menge davon geerbt oder im Lotto gewonnen hat. Doch was ist Geld eigentlich noch in Zeiten, da es durch Notenbanken und die Kreditvergabe der Geschäftsbanken quasi aus dem Nichts in beliebiger Menge produziert (“gedruckt”) und in Umlauf gesetzt wird? Geld kann dann kaum noch als erarbeiteter Wohlstand verstanden werden. Geld wäre nur noch virtueller oder vorgegaukelter Reichtum. Wer den Bürgern die Leidenschaft fürs Bargeld austreiben will, der will uns vielleicht genau an diesen Zustand gewöhnen. Die Parole lautet: Vergeßt, daß Geld irgendwie auf Leistung oder Sparsamkeit gründet! Geld wird in unbegrenzter Menge gedruckt und nicht länger nach wirtschaftlichen, sondern nur noch nach politischen Kriterien verteilt. Auch die Idee von einem leistungslosen Grundeinkommen, die seit Jahren im Schwange ist, geht in die gleiche Richtung. Welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen es hätte, wenn sich alle konventionellen Vorstellungen von Geld in Luft auflösen, steht in den Sternen. Wie sich ja auch niemand so recht ausmalen will, womit die gigantische öffentliche und private Verschuldung einmal enden soll. Auch die Wirtschaftswissenschaften haben dafür, so scheint es mir, die adäquate Geld- und Kredittheorie noch nicht geliefert. Ich wundere mich eigentlich nur noch über eins: Warum verteilt die EZB die 60 Mrd Euro, die sie derzeit Monat für Monat in Umlauf setzt, nicht gleich direkt an die Bürger der Eurozone? Vielleicht ist das nur noch eine Frage der Zeit…

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