Ist Klimaangst wirklich bereits ein Massenphänomen? Ist es vielleicht bloß eine politmedial aufgebauschtes Randgruppenerscheinung oder eine flüchtige Begleiterin einiger junger Menschen auf ihrem Weg zur Reife?
Das hätte ich der Letzten Generation (LG) gar nicht zugetraut: einen so professionell gemachten Internet-Auftritt, ein Mix aus hübschen Photos, Agitation – „Wir haben einen Klima-Notfall“ –, Veranstaltungs- und Aktionshinweisen sowie einem Wissenschafts-Segment mit -zig Literaturangaben. In diesem Segment findet sich letztlich das, was uns seit einigen Jahren durchgehend zahllose Politiker und Klimaexperten – im engen Verbund mit den linksgrünen Mainstream-Medien – als Stand der Klimaforschung präsentieren. Die LG steht fest auf dem Boden dieser Klimaallianz, wenn auch mit einer Vorliebe für die besonders pessimistischen Prognosen und Kipppunkteszenarien, die wir bekanntlich auch den tonangebenden Akteuren des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zu verdanken haben.
Die LG ist, wie es Bettina Gruber in einem Beitrag für die Zeitschrift Tumult formulierte, eine „intime Verbindung zwischen Apokalyptik und Wissenschaftsgläubigkeit“ eingegangen, die darauf beruht, „dass nicht verstanden wird, wie Wissenschaft funktioniert, nämlich nicht über einen in Stein gemeißelten Konsens, der die wissenschaftliche Wahrheit repräsentiert, sondern, im Gegenteil, über begründeten Dissens. Der grundsätzlich vorläufige Charakter wissenschaftlichen Denkens wird völlig verkannt.“ Womit die LG sich allerdings in bester politmedialer und durchaus auch „wissenschaftlicher“ Gesellschaft befindet, wie die folgenden zwei Zitate belegen, die sich ebenfalls auf der LG-Homepage finden: „Wir haben die Wahl: Kollektives Handeln oder kollektiver Suizid“, so der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres. Immerhin, die LG hat sich für Ersteres entschieden. Das zweite Zitat stammt aus dem 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC): „Jegliche weitere Verzögerung gemeinschaftlichen globalen Handelns und wir verpassen das kleine, sich rasant schließende Zeitfenster, eine lebenswerte Zukunft zu sichern.“ Genauso sieht es die LG auch.
Beißhemmungen in Medien und Politik
Bei ihrem Handeln, derzeit vorrangig bekanntlich in Gestalt von Festkleben auf Straßen, profitiert die LG zum einen von dem wirklich bemerkenswerten Sanftmut des deutschen Autofahrers. Zum anderen von ihrer überwiegend engen geistigen Verwandtschaft mit den derzeit Mächtigen, was den Großteil der Beißhemmung erklären dürfte, mit der Medien und Politik und in deren Gefolge auch Polizei und Justiz der LG begegnen. Denn im Kern will die LG doch nur das, was auch unsere grünlinke Regierung anstrebt, nämlich nicht mehr und nicht weniger als die Kontrolle über das Klima zu erlangen, und zwar möglichst schnell. Die LG kann dabei natürlich noch etwas vollmundiger und sorgloser agieren, sie will ja schließlich nicht wieder gewählt werden.
Wird es für die LGer aber mal ein bisschen ungemütlicher, wie z.B. in einem Münchner oder Regensburger Gerichtssaal, bei Markus Lanz oder anderen Anlässen, dann kullern schnell die Tränen, und Verzweiflung macht sich bei den Aktivisten breit. Im Vergleich zu früheren Protestgenerationen, etwa den 68ern, sind sie ganz offensichtlich aus einem sehr viel weicheren Holz geschnitzt. Angst, oder besser: Klimaangst – Papa, wann geht Deutschland unter? –, scheint tatsächlich eine wesentliche Triebfeder ihrer politischen Aktivitäten zu sein, wenn auch wissenschaftlich verbrämt.
Beschäftigt man sich näher mit diesem speziellen Angstphänomen, der Klimaangst, scheint es zunächst so, als handele es sich um ein Massenphänomen. So hält etwa Google unter dem Suchbegriff Climate Anxiety beachtliche 124 Millionen Einträge bereit.
Aber ist Klimaangst wirklich bereits ein Massenphänomen oder nicht doch eher bloß ein politmedial aufgebauschtes Randgruppenphänomen oder eine flüchtige Begleiterscheinung bei einigen Jugendlichen und Jungerwachsenen auf ihrem Weg zur Reife, so dieses Ziel denn jemals erreicht wird?
Die Antwort darauf wiederum hängt nicht unwesentlich davon ab, wie Klimaangst definiert und gemessen wird, und ob es sich dabei bloß um eine ängstlich getönte Befindlichkeitsstörung oder aber um eine krankheitswertige Angststörung handelt. Bereits vor anderthalb Jahren beschäftigte ich mich hier mit diesem Thema und kam zu der Schlussfolgerung: Auch nur halbwegs belastbare Untersuchungen zur Häufigkeit von so etwas wie Klimaangst gibt es nicht wirklich. Was hat sich in der Zwischenzeit auf diesem Gebiet getan?
Eigenwillige Interpretation von Forschungsergebnissen
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) titelte Anfang des Jahres: „Wut, Angst, Verzweiflung: Die Klimakrise belastet junge Menschen enorm“ und behauptete, dass 42 Prozent der 12- bis 18-Jährigen in Deutschland deswegen „sehr besorgt“ und insgesamt 80 Prozent „besorgt“ seien. Als Quelle wird auf eine kürzlich durchgeführte Umfrage der Bertelsmann Stiftung verwiesen. Wirft man allerdings einen Online-Blick in eben diese Studie, stellt es sich doch etwas differenzierter dar. Befragt wurde eine (angeblich) repräsentative Stichprobe von 500 „deutschen Jugendlichen“ über das Ausmaß, in welchem ihnen bestimmte Dinge – keinesfalls nur der Klimawandel – Sorgen machen. Ganz oben bei den Sorgenbringern steht der (befürchtete) „Tod eines Familienangehörigen“ (59 Prozent). Der Klimawandel landet mit den o.g. 42 Prozent bloß auf Platz 4, dicht gefolgt mit 41 Prozent von der Sorge, „dass ich die Schule, mein Studium oder meine Arbeit nicht schaffe“. Man könnte mit Fug und Recht also auch titeln: „Freunde zu verlieren“ (Platz 3) bereitet deutschen Jugendlichen mehr Sorge als der Klimawandel (44 Prozent vs. 42 Prozent) oder auch „Klimawandel bei Sorgen der Jugendlichen nicht unter den Top 3“.
Natürlich meldet sich im Kontext des Klimawandels und seiner vielfältigen Begleiterscheinungen auch das Umweltbundesamt (UBA) zu Wort, und zwar mit einer Auftragsstudie, die den etwas reißerischen Titel trägt: „Junge Menschen in der Klimakrise“, durchgeführt von dem Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, das ansonsten sein Geld mit Bewertung und Ranking der Nachhaltigkeitsberichte von deutschen Unternehmen verdient. Von den „repräsentativen“ 1.010 befragten Jugendlichen zwischen 14 und 22 Jahren stimmten 33 Prozent „voll und ganz“ der Aussage „Vor den Folgen des Klimawandels habe ich Angst“ zu. Deutlich relativiert wird dieses Ergebnis allerdings dadurch, dass nur 5 Prozent auch der folgenden Aussage „voll und ganz“ zustimmten: „Meine Sorgen um die Umwelt erschweren es mir, Spaß am Leben zu haben“. Die Klimaangst bzw. die weiter gefassten Umweltsorgen werden also offensichtlich überwiegend bloß als ein leises und eher punktuelles Hintergrundrauschen wahrgenommen, das die Freude am Leben nicht ernsthaft und schon gar nicht dauerhaft zu stören vermag. Das ist in volksgesundheitlicher Hinsicht doch irgendwie tröstlich.
Aus wissenschaftlicher Sicht kann es nicht zielführend sein, ein doch relativ komplexes Konstrukt wie Angst vor dem Klimawandel und seinen Folgen, vulgo Klimaangst, hinsichtlich Vorhandensein und gegebenenfalls auch Schweregrad mit einer einzigen Frage erfassen zu wollen, weil Angst viele Facetten und zudem zwei Seiten hat: eine normalpsychologische und eine krankhafte, psychiatrische. Zunächst stellt Angst ein durchaus sinnvolles und überlebenswichtiges Phänomen dar, das Abwehrkräfte zu mobilisieren vermag. Zu viel Angst ist allerdings in der Regel mit erheblichen psychosozialen Beeinträchtigungen und häufig auch einer Behandlungsbedürftigkeit verbunden.
Der Versuch eines Autorenkollektivs, diese diagnostische Lücke zu schließen und die Brauchbarkeit eines US-amerikanischen Klimaangst-Fragebogens – der Climate Anxiety Scale – für den deutschen Sprachraum zu ermitteln, muss aus Sicht der Autoren allerdings zu äußerst ernüchternden Ergebnissen geführt haben. Befragt wurde eine hinsichtlich Alter und Geschlecht repräsentative Stichprobe von 1.011 Personen zwischen 18 und 69 Jahren (Mittel: 43,9), in der Personen mit Hochschulabschluss nicht unerheblich überrepräsentiert waren.
Sieht man von einer irregulären „Ausreißerfrage“ der Skala ab, haben bei den verbleibenden zwölf Fragen im Mittel insgesamt jeweils nur etwa 1 Prozent den Aussagen „zugestimmt“ oder „stark zugestimmt“. Überhaupt niemand hat den für eine Diagnose erforderlichen Schwellenwert überschritten. Diese Ergebnisse weisen sehr deutlich darauf hin, dass das Konstrukt Klimaangst sich weitgehend auflöst, wenn es nicht um leichtere Befindlichkeitsstörungen, sondern relevante psychische Beeinträchtigungen geht. Interessanterweise fand sich auch keine Korrelation der Ergebnisse mit dem Alter, erwartungsgemäß aber eine mit allgemeiner Ängstlichkeit und dem Geschlecht (Frauen schätzten sich als ängstlicher ein). Klar, dass diese Studie und ihre Ergebnisse nicht den Weg in die Publikumsmedien gefunden haben.
Selbstwirksamkeit als Erfolgsprinzip
Diese Ergebnisse schließen aber natürlich nicht aus, dass im Milieu der Klimakämpfer der Anteil von Aktivisten, die auf der Kippe stehen zwischen bloßer ängstlicher Befindlichkeitsstörung einerseits und relevanter Angststörung andererseits höher ist als in der Normalbevölkerung. Für sie mag ihr Aktivismus ein Weg sein, ihren durch die vielstimmig und immer wieder gepredigten Untergangsszenarien ausgelösten und unterhaltenen Ängsten zu begegnen. Oder, wie die Psychologists for Future meinen:
„Ängste und Sorgen angesichts der Klimakrise sind normal und sie sind hilfreich, denn sie liefern die Energie für Veränderung. (…) Insbesondere Menschen, die sich starke Sorgen machen, sich angesichts der Klimakrise hilf- und hoffnungslos fühlen, können durch ihr Engagement in der Gruppe die Erfahrung machen, dass diese Gefühle abnehmen und wieder ein Selbstwirksamkeitsgefühl entsteht.“
Genau dieses auch in der professionellen Angsttherapie eingesetzte Prinzip der Selbstwirksamkeit dürfte nicht unwesentlich den Erfolg der LG erklären. Jede Woche oder im Quartalstakt auf einer Klimademo durch die Stadt zu laufen, Parolen zu schreien und Transparente zu schwingen, führt bei vielen Beteiligten rasch zu Frustration und Enttäuschung. Deshalb stellt sich die LG auch nicht mit einer Plakate schwenkenden Gruppe an die Hamburger Elbbrücken, um für ein Tempolimit auf Autobahnen zu demonstrieren, sondern legt den dortigen gesamten Verkehr durch eine Klebeblockade lahm. Das verschafft den Aktivisten dann genau dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Und dabei ist es zunächst einmal – wenngleich auch nicht auf Dauer – egal, ob und wann es tatsächlich zu einem Tempolimit auf Autobahnen kommt. Denn bis das entschieden ist, hat sich die LG-Führung längst wieder etwas anderes ausgedacht. Sollte es etwa tatsächlich zu so etwas wie dem von der LG geforderten Bürgerrat kommen, dann böten sich für die LG-Bodentruppen ideale Möglichkeiten, dessen Entscheidungen, zudem äußerst selbstwirksam, in die „richtige“ Richtung zu treiben. Sollte aber der Gegenwind zunehmen und es nicht mehr so gut für die LG laufen, dann zeigt sich womöglich, dass die Grenzen zwischen Blockade und Sabotage durchaus fließend sein können. Was kann für Klimakämpfer, nicht nur für die der LG, selbstwirksamer sein als eigenhändig und – wenn ein Sabotageakt „gut“ gemacht ist – vielleicht sogar längerfristig und massiv den CO2-Ausstoß zu drosseln? Bei solchen Unterfangen allerdings sind Ängste ausgesprochen hinderlich.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich.