Wer nach Großbritannien zieht, der wird unwillkürlich merken, dass das Englisch, das man seinerzeit einmal in der Schule gelernt hatte, zum Verständnis dieses Landes nicht ausreicht. Wir mussten noch Macbeth und Shakespeares Sonette lesen und interpretieren, aber mal im Ernst: Vergesst Shakespeare! Von niemandem in England wird heute noch erwartet, die Verse des “Swan of Avon” zu verstehen, nicht einmal mehr von englischen Schülern. Denen werden seit neuestem an Shakespeares Werke angelehnte Comics vorgelegt, in denen eine zeitgemäße Jugendsprache gepflegt wird.
Nein, was deutschen Schülern im Englischunterricht wirklich vermittelt werden sollte, sind die Worte, ohne die man das heutige England einfach nicht begreifen kann. “Bovvered” zum Beispiel, das Wort des Jahres 2006, das man eigentlich nur in den Ausdrücken “Am I bovvered?” und “I am not bovvered!” hört, wo es für vollkommene Gleichgültigkeit steht. Es ist wahrscheinlich auch die Antwort auf die Frage, warum englische Schüler keine Shakespeare-Stücke mehr lesen wollen.
Aber es gibt auch jenseits der Jugendsprache Wörter, die man niemals im Englischunterricht gelernt hat und die trotzdem unverzichtbar sind. Im Sunday Telegraph kann man etwa heute die Schlagzeile finden: “Boom in quangos costs Britain £170bn a year”. Wer oder was kostet hier also 170 Milliarden Pfund (oder 250 Milliarden Euro) im Jahr?
Quangos: Das ist kein Juntachef eines zentralamerikanischen Landes, keine neue Limonadenmarke und auch kein aktueller Modetanz. Quangos ist eine sehr englische Sprachschöpfung, die für Quasi-Autonomous Non-Governmental Organisations steht. Auch das muss man wahrscheinlich erst einmal übersetzen. Es handelt sich also um Einrichtungen, die beinahe unabhängig und nicht staatlich sind oder zumindest sein sollten. Aber leider trifft das den Kern der Sache nicht ganz, denn drei Viertel der Budgets dieser Quangos stammen unmittelbar aus dem Staatshaushalt, der Rest aus Abgaben (oder Quasi-Steuern?). Von regierungsfernen Organisationen kann daher eigentlich keine Rede sein.
Aber das Praktische an Quangos ist eben, dass die jeweilige Regierung, die sich irgend eines Problems annehmen möchte, einfach einen Quango dafür gründet und damit offiziell die Verantwortung dafür los wird. Geld kostet das natürlich auch, viel Geld sogar, aber es taucht in den Haushaltsplänen kaum mehr direkt auf. Schließlich sind die neu eingerichteten Institutionen ja angeblich quasi-autonom.
An Zahlen über das britische Quango-Wesen zu gelangen, ist daher doppelt schwierig. Es gibt eben keinen Haushaltsplan eines zentralen Quango-Ministeriums, den man sichten könnte, und allein die Zahl der Quangos macht es schon schwierig genug, den Überblick nicht zu verlieren. Nach letzten Zählungen gab es in Großbritannien nicht weniger als 883 verschiedene Quangos.
Die Kollegen vom Economic Research Council haben sich die Mühe gemacht, aus verstreuten Regierungsinformationen einen Bericht über das britische Quangoland anzufertigen, und darauf bezog sich dann auch die Schlagzeile des Sunday Telegraph. Die Daten sind erstaunlich. Noch vor neun Jahren wurden gerade einmal 24 Milliarden Pfund für Quangos bereitgestellt, heute sind es wie gesagt an die 170 Milliarden. Allein in den letzten beiden Jahren sind von der Regierung etwa 200 neue Quangos gegründet worden. Und noch etwas: Als Quango-Bürokrat hat man im heutigen Großbritannien das große Los gezogen. Beinahe ohne öffentliche Kontrolle kann man seiner Tätigkeit nachgehen und wird dafür auch noch fürstlich entlohnt. Der Geschäftsführer der Qualifications and Curriculum Authority, einer an das Bildungsministerium angegliederten Institution, erhielt im letzten Jahr ein Gehalt von 273.000 Pfund und damit beinahe 100.000 Pfund mehr als der Premierminister. Ein Einzelfall ist er damit aber leider nicht.
Das wäre alles schon ärgerlich genug, wenn man nicht auch sonst den Eindruck gewinnen könnte, dass man sich in Quangos seine Zigarren gerne mit 50-Pfund-Noten anzündet. Journalisten (und Think Tank-Mitarbeiter) erhalten beinahe täglich Postsendungen mit Hochglanzbroschüren, Tätigkeitsberichten und Einladungen zu “Events”, die von irgendwelchen Quangos finanziert werden, von denen man zuvor nicht einmal eine Ahnung hatte, dass es so etwas überhaupt geben könnte.
Und kreativ ist man bei der Gründung von Quangos allemal: Das gibt es eine “Kommission für Medikamente auf Pflanzenbasis”, den “Britischen Kartoffelrat”, die “Stiftung für Schulspeisungen” oder auch den “Milchentwicklungsrat”. Letzterer ist öffentlich bislang nur durch eine große Werbekampagne für das Milchtrinken in Erscheinung getreten. Dafür benötigt er aber auch 44 Mitarbeiter und ein Jahresbudget von 12 Millionen Pfund - nicht viel vielleicht, aber gerade im Agrarsektor macht Kleinvieh eben auch Mist.
Dass es so mit den Quangos nicht weitergehen kann, ist angesichts der heute bekannt gewordenen Zahlen kaum zu bestreiten. Gordon Brown versprach einen radikalen Abbau der Quangos zugunsten von mehr Demokratie und Transparenz. Allerdings tat er dies noch als Oppositionspolitiker im Jahr 1995. In seiner Amtszeit als Schatzkanzler unternahm er jedoch nichts, um den Ausbau des Quangowesens zu begrenzen.
So wurde aus Großbritannien in den letzten Jahren zwar vielleicht keine Bananenrepublik, aber zumindest doch ein Quangoland - und das von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Wahrscheinlich ist man einfach nicht “bovvered” genug, um von seinen Politikern wieder mehr Rechenschaft über die Verwendung von Steuermitteln zu verlangen.