Von Olivier Kessler.
Medien sind generell beliebte Ziele politischer Einmischung. Wird diese Bastion erst einmal vom Staat eingenommen, wird sie in den meisten Fällen zu einer Stütze der politischen Macht umfunktioniert. Dafür gibt es genügend historisches Anschauungsmaterial.
In der Folge wollen wir uns mit den Medien im Kommunismus und im Nationalsozialismus zunächst zwei Extrembeispiele ansehen, um zu verdeutlichen, welche entscheidende Rolle für den Machterhalt die Medien spielen können. (…)
Die Rolle der Medien im sozialistischen Osten war es dem ungarischen Publizisten Paul Lendvai zufolge nicht, „eine kritische Stellung zu wichtigen [politischen] Beschlüssen zu beziehen und Gegenvorschläge zu machen“. Vielmehr sei es darum gegangen, „sich in politischer Überredungskunst zu üben und bereits gefasste Beschlüsse – gewöhnlich hinter verschlossenen Türen – zu propagieren sowie für ihre aktive Unterstützung durch die Bevölkerung zu sorgen“. (13) Damit dies sichergestellt werden konnte, wurden die Massenmedien der absoluten Kontrolle der Politik unterworfen. Lendvai beschreibt diese Tatsache wie folgt:
„Angesichts der tiefen Kluft zwischen dem, was diese kommunistisch regierten Gesellschaften in Wirklichkeit, und dem, was sie in der Darstellung ihrer Führer sind, kommt den Medien die Schlüsselfunktion zu, das allgemeine Bewusstsein so zu formen, wie es sein soll. Totale Kontrolle über den Nachrichtenstrom, Widerspiegelung jeder Wendung in Bezug auf die innenpolitischen und außenpolitischen Prioritäten und unablässige aufdringliche Wiederholung simplifizierter politischer Botschaften sind die hervorstechenden Charakteristika der kommunistischen Propagandatechnik.“ (14)
Aktiver Kämpfer für die Sache der Partei
Es ging den verstaatlichten Medien also nicht darum, sicherzustellen, dass Politik für das Volk gemacht wurde. Vielmehr halfen sie aktiv mit, die unterworfene Bevölkerung durch Lüge, Täuschung und Propaganda gefügig zu machen, so dass diese die Machtanmaßung der politischen Herrscher mehrheitlich zu akzeptieren bereit war. Es ging darum, dafür zu sorgen, dass die Staatslenker ihre eigene Agenda besser durchsetzen konnten. Sämtlicher Widerspruch sollte bereits im Keim erstickt, jeglicher Widerstand gebrochen werden, damit es sich einfacher regieren lässt. Die Parteizeitung Pravda (was zu Deutsch ironischerweise Wahrheit bedeutet) beschrieb das „journalistische Ideal“ so:
„Ein Journalist ist ein aktiver Kämpfer für die Sache der Partei. […] Er muss […] die Fähigkeit besitzen, seine Gedanken überzeugend und brillant vom leninistischen Standpunkt aus darzulegen.“ (15)
Wohlverstanden: vom „leninistischen Standpunkt aus“, nicht vom Standpunkt eines wahrheitsgetreu und redlich berichtenden Beobachters. Im Kommunismus trat Propaganda an die Stelle des kritischen Journalismus.
Lendvai betont zudem, dass es im damaligen Ostblock keinen Wettbewerb der Medien gegeben habe:
„Die Hauptaufgabe der Medien besteht in totalitären Regimes nicht darin, über Tagesereignisse zu berichten und durch Glaubwürdigkeit um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu werben, sondern darin, der Partei zu dienen. Die Herausgeber brauchen sich um die Auflagenzahlen keine Sorgen zu machen, denn es gibt keine Konkurrenz. Zeitungspapier wird ja, ebenso wie das Nachrichtenmaterial, nach politischen und propagandistischen Prioritäten bemessen und rationiert. Die Reaktion der Leser hat auf die Auflage der Zeitung nicht den geringsten Einfluss, ebenso wenig der Ruf der einzelnen Publikationen, ihrer Redakteure und Verfasser.“ (16)
Kundenfeedback ausgeschaltet
Werden Medien vom Staat finanziert, brauchen sich diese also um die Meinung des Publikums keine Sorgen mehr zu machen. Wirkungsvolles Kundenfeedback wird ausgeschaltet. Wer mit der Berichterstattung unzufrieden ist, kann beispielsweise nicht zu einem Konkurrenzanbieter wechseln und sein betroffenes Abo kündigen. Es handelt sich ja auch nicht um einen freiwillig abgeschlossenen Vertrag, sondern um ein schlimmes Übel, das der Staat den Bürgern androht, sollten sie seiner Zahlungsaufforderung nicht nachkommen.
Nach dem Verständnis der politischen Machthaber in der Sowjetunion war eine mediale Nachricht ausschließlich etwas, das „ausgenutzt werden kann, um die jeweilige Parteipolitik oder den wirtschaftlichen Fortschritt zu illustrieren“. Fast alles andere wurde „als unwichtig oder ohne Informationswert angesehen“. (17) So wurde etwa über Entwicklungsländer, auf welche die Sowjets Einfluss nahmen (beispielsweise mit Waffenlieferungen während des Kalten Kriegs) nur sehr selektiv berichtet: Grausame Verbrechen in diesen Ländern – etwa durch die unterstützten Diktatoren – wurden solange von den sowjetischen Medien verschwiegen, wie ein gutes Image dieser Länder in der Öffentlichkeit von Nutzen war. (18)
Vernichtende Enthüllungen über das Ausmaß der Zensur lieferte beispielsweise der 1977 vom kommunistischen Polen nach Schweden geflohene Zensor Tomasz Strzyzewski auf über 600 Seiten Dokumenten, die er mit sich führte und deren Echtheit die polnische Regierung nie dementierte. Die überwältigende Zensur sei deshalb vor den Lesern verborgen geblieben, „weil jede Zeitung über eine eiserne Reserve von vorbereitetem, nicht politischem oder völlig harmlosem Material verfügte, mit dem jeder von der Zensur gestrichene Text jederzeit ersetzt werden konnte“. (19) Die Statistiken belegen, dass alleine im Monat März des Jahres 1974 in Polen satte 1.236 Zensureingriffe stattfanden und ganze 182 Texte von den Zensoren gestrichen wurden.
Rund 3.000 Störsender im Einsatz
Die vom polnischen Zensor mitgeführten Akten enthielten auch wörtliche Zitate der Zensuranweisungen. Nachfolgende Beispiele verdeutlichen, dass wissentlich die Gefährdung der Sicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung in Kauf genommen wurde, um Fehler und Misserfolge der Politiker zu vertuschen. Auch heikle Angelegenheiten, die öffentlichen Widerspruch oder Widerstand hätten hervorrufen können, wurden unter dem Deckel gehalten: (20)
• „In der Schule Nr. 80 in Danzig wurde eine schädliche Substanz entdeckt, die aus dem Kitt austrat, mit dem die Fenster abgedichtet waren. Die Schule wurde vorübergehend geschlossen. Es darf keinerlei Information über diese Angelegenheit an die Öffentlichkeit gelangen.“
• „Mitteilungen über die Gefährdung von Leben und Gesundheit der Menschen durch Chemikalien, die in Industrie und Landwirtschaft verwendet werden, sind zu streichen.“
• „Verboten ist jegliche Information über Nahrungsmittelvergiftungen und Epidemien, die größere Menschengruppen, und vor allem in wichtigen Betrieben, betreffen.“
• „Alle Nachrufe, Anzeigen und Ankündigungen von Zusammenkünften auf Friedhöfen, vor Denkmälern und Gedenkstätten, geplant von ehemaligen Angehörigen der Heimatarmee und anderen rechtsgerichteten Organisationen, die am Warschauer Aufstand beteiligt waren, sind einzuziehen.“
• „Keinerlei Information darf über die Sonderpensionen erfolgen, die der Premierminister bestimmten Personen gewährt.“
• „Jegliche Kritik an der Einkommens- und Sozialpolitik, einschließlich Lohnforderungen, ist verboten. Das gilt auch für die sozialen Dienstleistungen wie Pensionen, Stipendien, Urlaub, Gesundheitsdienst etc.“
Nicht etwa das Auto oder die Datscha (das Ferienhaus) waren die größten Privilegien der Menschen in sozialistischen Ländern. Es war der Zugang zu wahrheitsgetreuer Berichterstattung. Rang und Einfluss entschieden über die Art der Information, die man erhielt: Je höher in der Parteienhierarchie man angesiedelt war, desto eher wusste man, was eigentlich vor sich ging. (21) Dabei kommt einem unweigerlich das Zitat von George Orwell in den Sinn, der in seinem Klassiker Farm der Tiere treffend meinte: Im Kommunismus seien alle gleich, „nur einige sind gleicher“. (22) Nicht die Wahrheit stand im Vordergrund, sondern das Wohl und die Machtabsicherung der Parteibonzen.
Auch die Medienvielfalt litt unter dem staatlichen Einfluss auf die Medienlandschaft. So reagierten die kommunistischen Machthaber etwa sehr allergisch auf die Nachrichten in internationalen Medien aus dem Westen: Sie diskreditierten andersdenkende Journalisten, schleusten Agenten in westliche Medienhäuser ein und benutzten Störsender, welche die eigenen Bürger am Empfang ausländischer Medien hinderten. In der Sowjetunion waren rund 3.000 Störsender im Einsatz, die enorme Energiekosten nach sich zogen und von rund 5.000 Staatsangestellten betreut wurden. Diese Eindämmung der Medienvielfalt kostete die sowjetischen Bürger pro Jahr rund 300 Millionen Dollar. (23)
Reichsrundfunkgesellschaft
Doch nicht nur für die roten Sozialisten stellte es eine Notwendigkeit dar, die Medien zu okkupieren, um ihre verbrecherische Politik in einem guten Licht darzustellen. Auch die braunen Sozialisten setzten in ihrer Strategie der öffentlichen Beeinflussung schwerpunktmäßig auf den staatlichen Rundfunk. Sie nutzten ihn, um ihre Hass-Propaganda zu verbreiten und ihre Machtposition auszubauen. (24)
Schon am Abend der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 übertrugen die Staatsmedien den Fackelzug zu Ehren des „Führers“. Am folgenden Tag hielt Hitler seine erste Radioansprache. Hitler selbst sah die Staatsmedien als entscheidendes Vehikel zur Indoktrinierung des Volkes: „Der Rundfunk ist ein Hauptmittel der Volksaufklärung und Propaganda.“
Bei den 45 ausgestrahlten Wahlsendungen bis zur Reichstagswahl vom 5. März 1933 waren nur Regierungsparteien zu den Mikrofonen des Staatssenders zugelassen. Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky meinte begeistert: „Wir begannen im Rundfunk mit einer phantastischen Welle politischer Beeinflussung, Agitation und Propaganda in jeder Form“. Abend für Abend durfte Hitler unwidersprochen seine Reden auf dem Sender halten. Das Resultat: Zusammen mit den Deutschnationalen holte die NSDAP bei der Wahl die absolute Mehrheit.
Schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, während der Zeit der Weimarer Republik, wurde der Hörfunk verstaatlicht: Die Mehrheitsanteile hielten das Reich und die Länder. Das Innenministerium und die Landesregierungen kontrollierten das Programm. Der Staat hatte auch die Mehrheit bei der 1925 gegründeten Reichsrundfunkgesellschaft. Der Fall zeigt: Wenn eine vermeintlich freie Demokratie von ihrem Weg abkommt und Dinge verstaatlicht, die nicht verstaatlicht gehören, kann dies totalitären Regimen den Weg ebnen.
Heiteres Programm im Staatssender
Die braunen Sozialisten nahmen die verstaatlichte Medieninfrastruktur natürlich dankend an. Schon eine Woche nach den gewonnenen Wahlen richteten die Nationalsozialisten das neue „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ ein. Joseph Goebbels wurde mit der Leitung dieses Ministeriums beauftragt, der seine Aufgabe darin sah, den Massen „die neue Gesinnung“ bekanntzumachen. In einem Rundschreiben vom 15. Juli 1933 teilte Hitler mit, das Reich müsse „die unbeschränkte Verfügungsgewalt nicht nur über das öffentliche Rundfunknetz haben, sondern auch über die Reichsrundfunkgesellschaft und die Rundfunkgesellschaften.“
Es fanden schließlich personelle Säuberungen im Rundfunk statt. Alle, welche die Ansichten der Nationalsozialisten nicht teilten, wurden entlassen. Das Publikum andererseits sollte mit einem „heiteren Programm“ an die Staatssender gebunden werden.
Eine über die Staatssender verbreitete Lüge führte letztlich auch zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Nachdem die SS einen angeblich polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz inszeniert hatte, verkündete Hitler am 1. September 1939 auf allen Reichssendern: Es „bleibt mir kein anderes Mittel, als von jetzt ab Gewalt gegen Gewalt zu setzen“. Wie auch die Kommunisten, verboten die Nationalsozialisten ab dem ersten Kriegstag den Empfang ausländischer Sender. Wer dieses Verbot missachtete, dem drohten Gefängnis oder die Todesstrafe.
Um die Soldaten bei Kriegslaune zu halten, forderte Goebbels, der Staatsfunk müsse noch unterhaltender werden: 1942 betrug der Anteil der Unterhaltung mehr als 80 Prozent am Gesamtprogramm – ein kalkuliertes Entertainment also, das von der grausamen Realität des nationalsozialistischen Alltags ablenken sollte.
Dritter Auszug aus dem Buch „Verlockung der Macht: Die Kunst, die offene Gesellschaft zu verteidigen“ hrsg. Von Olivier Kessler, Edition Liberales Institut 2022, 273 Seiten. Bestellbar hier.
Den ersten Auszug finden Sie hier.
Den zweiten Auszug finden Sie hier.
Olivier Kessler ist ein Schweizer Publizist und Campaigner.
Fußnoten:
(13) Zitiert in: Paul Lendvai (1980). Der Medien-Krieg: Wie kommunistische Regierungen mit Nachrichten Politik machen. Frankfurt/Berlin/Wien: Ullstein. S. 20.
(14) a. a. O., S. 19.
(15) Pravda (6. Mai 1979). Zitiert in: Paul Lendvai (1980). Der Medien-Krieg: Wie kommunistische Regierungen mit Nachrichten Politik machen. Frankfurt/Berlin/Wien: Ullstein. S. 18.
(16) Paul Lendvai (1980). Der Medien-Krieg: Wie kommunistische Regierungen mit Nachrichten Politik machen. Frankfurt/Berlin/Wien: Ullstein. S. 21.
(17) Gayle Durham Hollander (1972). Soviet Political Indoctrination: Developments in Mass Media and Propaganda Since Stalin. S. 37-40. New York: Praeger.
(18) Paul Lendvai (1980). Der Medien-Krieg: Wie kommunistische Regierungen mit Nachrichten Politik machen. Frankfurt/Berlin/Wien: Ullstein. S. 80 ff.
(19) a. a. O., S. 119.
(20) Siehe zu den folgenden Beispielen: a. a. O., S. 121 ff.
(21) a. a. O., S. 135.
(22) George Orwell (1946). Farm der Tiere. Zürich: Amstutz, Herdeg & Co.
(23) Paul Lendvai (1980). Der Medien-Krieg: Wie kommunistische Regierungen mit Nachrichten Politik machen. Frankfurt/Berlin/Wien: Ullstein. S. 173.
(24) Vgl. zum Folgenden: Dominik Reinle (30. Juni 2005). Hörfunk und Fernsehen in der Nazi-Zeit. WDR. Abgerufen auf: https://www1.wdr.de/archiv/rundfunkgeschichte/rundfunkgeschichte124.html