Wolfgang Röhl / 28.09.2010 / 17:44 / 0 / Seite ausdrucken

Turismo o Muerte. Was die Castros an der Macht hält

Durch die vergammelnde Altstadt von Havanna kreuzt eine sonderbare Gestalt. Der Mann trägt ein schwarzes Barett, einen grau werdenden Bart und ein kurzärmeliges, militärisch anmutendes Hemd mit Brusttaschen. Über der linken befindet sich ein Aufnäher mit dem Konterfei von Ernesto Guevara de la Serna, genannt der Ché, erschossen 1967. Der Mann selber sieht einem alt gewordenen Ché nicht unähnlich. Für drei Dollar lässt er sich in der Pose des salutierenden Commandante Ernesto ablichten. Die Touristen finden das Ché-Double ähnlich entzückend wie die uralten verrosteten Amischlitten, welche noch immer durch das große Freiluftmuseum namens Kuba röcheln.

Dass der Mann sich zum Affen macht, scheint ihn nicht zu stören. Sein Job ist ja erträglich. Andere müssen ausländischen Besuchern die Geschlechtsteile hinhalten, um an den konvertiblen Peso (CUC) zu gelangen, mit dem allein man in Castro-Land Waren von Wert kaufen kann.

Das Regime des Máximo Líder wurde schon oft tot gesagt. Wirklich sterben konnte es bislang nicht. Was daran liegt, dass sich noch immer jemand gefunden hat, der den kompletten Konkurs Kubas aufhält - früher die Sowjetunion, heute Chavez. Was aber auch an dem unglaublich geduldigen, nonaggressiven, selbst angesichts grotesken Mangels an allem und jedem lebensfreudigen Wesen der meisten Kubaner liegt (nicht zu vergessen die jahrzehntelangen Überweisungen und Pakete der Exilkubaner). Doch allmählich häufen sich die Berichte über das ökonomische Chaos auf der Trauminsel der westlichen Linken. Und zwar in einem Maße, das an die letzten Monate der DDR denken lässt. Die angekündigte Entlassung von einer Millionen Beschäftigten aus staatlichen Diensten, in denen sie pseudobeschäftigt herumhingen, aber immerhin ein Minimaleinkommen bekamen, ist womöglich der finale Nagel zum Sarg des Socialismo tropical. 

Was die Castro-Brüder und eine gar nicht so kleine Kaste von Repressionsträgern noch am Ruder hält, sind hauptsächlich die Devisen aus dem Tourismusgeschäft. Kuba hatte schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts westliche Urlauber an seine Strände geholt, zunächst vor allem Kanadier. Anfang der Achtziger wurde das Geschäft auf Westeuropa ausgeweitet. Es entstanden – meist mit Hilfe spanischer Hotelkonzerne – enorme Ferienfabriken an den Stränden von Varadero, Holguin und anderswo, perfekt gemanagt von Europäern, versorgt mit eingeflogenen Lebensmitteln und Hummern aus lokalen Gewässern. Gesellschaften wie Condor und LTU fliegen seither Hunderttausende ein. Die Urlauber genießen ein Ambiente, das für gewöhnliche Kubaner wie aus einem Hollywood-Film erscheinen muss.

Letzteres gilt zwar auch für andere Ferndestinationen, ist aber im Fall Kuba besonders obszön. Denn die Führer von Schrottstaaten wie Kenia, Sri Lanka oder der Dominikanischen Republik tönen nicht ständig davon herum, in welchem Paradies ihre Untertanen angeblich leben. Es sind die kubanischen Kommunisten, die bei jeder Gelegenheit herausstreichen, wie gut ausgebildet und ärztlich bestens versorgt Kubaner seien. In Wahrheit sind diese, ohne moderne Lehrmittel, gute Computer und kompetente Lehrkräfte durch Schule und Uni geschleust, in den meisten Fächern notwendigerweise miserabel ausgebildet, international überhaupt nicht konkurrenzfähig und einsetzbar höchstens in den musealen Industrien des eigenen Landes. Und wer das Niveau der Krankenversorgung auf Kuba abschätzen will, der muss nur mal auf die Zähne von Juan Normalkubaner achten.

Mit dem Tourismus entwickelte sich ein florierender Sexmarkt für Urlauber beider Geschlechter, den das Regime duldete und zynisch herunterspielte. Ich erinnere mich an eine Reise nach Kuba im Oktober 1983, in der wir, Mitglieder einer westdeutschen Journalistengruppe, den unübersehbaren Bumstourismus im Gespräch mit einer damaligen Größe aus dem Wirtschaftsministerium mal anschnitten. War Kuba nicht schon wieder auf dem Weg zu jenem großen Fremden-Puff, den die Insel gemäß der kubanischen Propaganda bis zur Machtübernahme der Rebellen im Jahre 1959 gewesen war?

Der Wirtschaftsführer – ich glaube, es war sogar der Companero Minister selbst -, ein humorvoller, konzilianter, im Umgang mit Westlern erfahrener Mensch, erklärte uns von Mann zu Männern, wir dürften das nicht so verkniffen sehen. Seine Landsleute hätten zum Sex nun mal eine lockere Einstellung und ließen ungern was anbrennen. Das war sicher richtig. Für uns war aber nicht recht erkennbar, weshalb Kubaner sich ausgerechnet mit bleichen,  übergewichtigen Touris aus dem Westen hätten vergnügen wollen, wäre es nicht um bitter benötigtes, hartes Geld gegangen, nur darum.

Heute stellt der Tourismus für Kuba die wichtigste Einnahmequelle dar. Denn der Export von Nickel, Zucker, Zigarren und Rum ist nicht sonderlich lukrativ und die Weltmarktpreise schwanken beträchtlich. Nach Kanada ist Deutschland der wichtigste Quellmarkt für die Kubaner. 2009 machten rund 100 000 Deutsche Urlaub bei Castro. Ein Minus von 7,5 Prozent zum Vorjahr zwar, aber immer noch eine Menge Cash, zusammengerechnet. Man kann also sagen, ohne sehr zu übertreiben: Castro ist auch deshalb noch an der Macht, weil Deutsche gerne auf die Insel der romantisierten Rebellen reisen, um dort Sonnenbrände abzuholen, abendlicher Folklore am Pool zu lauschen und dabei einen Mojito nach dem anderen zu schlabbern. All inclusive, in der Regel.

Ich habe mich manchmal gefragt, weshalb Urlaub in einer lupenreinen Diktatur hierzulande gar nicht mehr in Frage gestellt wird. Urlaub in Franco-Spanien, in Salazar-Portugal, im Griechenland der Obristen oder im Südafrika der Rassisten war – zumindest unter Linken – zu Zeiten eine ethisch hoch umstrittene Sache. Wer nach Namibia fährt, gerät in gewissen Kreisen noch heute unter Verdacht, wahrscheinlich mit den „weißen Nazifarmern da unten“ auf Safari gehen zu wollen. Auch gibt es genug Leute, die es skandalös finden, wenn betuchte Kulturtouristen in burmesischen Luxushotels absteigen, die von politischen Gefangenen unter furchtbaren Bedingungen errichtetet wurden.

Sicher, über das Tourismus-Thema kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich selber zum Beispiel glaube, dass im Fall Spanien das massenhafte Hereinholen von Touristen wahrscheinlich sogar ein Sargnagel für das Franco-Regime war. Auch das selbst auferlegte Reiseverbot mancher Zeitgenossen ins Obristen-Griechenland der Jahre 1967 bis 1974 hielt ich für falsch – Tourismus kann subversiv wirken auf Käfiggesellschaften, die sich notwendigerweise von Informationen abschotten müssen. Oder hilft man – Gegenthese - mit jedem Retsina, jedem Glas Rum einem Unrechtsregime, dessen Agonie zu verlängern?

Merkwürdig, dass solche Fragen bei uns nicht mal diskutiert werden. Jedenfalls nicht, wenn es um Kuba geht. Und schon gar nicht von jenen Leuten, welche ständig die Menschenrechte bemühen, Grüne und linke Liberale zum Beispiel.

Im Fall Kuba ist die Sache vermutlich ganz simpel. Weite Teile der deutschen Bevölkerung (beileibe nicht nur ein paar Ewiggestrige aus der Kuba-Unterstützerszene) haben wohl nie begriffen, dass Kuba ein gescheiterter Staat ist, spätestens seit der von ihm mitprovozierten Kubakrise von 1962 nicht mehr zu retten. Haben niemals begriffen, dass in Castros Menschenversuchsanstalt nunmehr bereits die dritte Generation um ihre Zukunft betrogen wird. Dass dort die Opposition wegsperrt und die Schwulen drangsaliert werden, dass das ganze Land in eine Ruine verwandelt wird, hoffnungsloser runtergerammelt als es die DDR an ihren schlimmsten Plätzen war.

Stattdessen ist für die meisten Deutschen Kuba eine charmante Oldtimerausstellung mit endloser Mixgetränkezufuhr, wo die Menschen gerne vögeln und einem Popidol namens Ché huldigen, eine Art James Dean mit Knarre. Arm, aber glücklich sind sie, diese Kubaner. Und haben sie´s nicht das ganze Jahr über schön warm?

Insofern ist der durch Havanna vagabundierende Ché-Clown genau das, was Touris verdienen: ein billiger Gag für die Digi-Knipse. Dumm kriegt´s dumm, das ist gerecht.

 

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