Es wird dunkler in Deutschland, auch in meteorologischer Hinsicht. Zeit, auf Vorrat ein paar spannende Filme aus dem Fernsehen abzuspeichern. Das Angebot ist groß. Aber was lohnt sich, was ist Schrott? Kleine Handreichung für Couchkartoffeln.
„Gegen den Gebrauch der Waffe ist nichts zu sagen“, erklärt Chefinspektor Harry Callahan von der Polizei in San Francisco einem jungen Kollegen, „wenn die richtigen Leute getroffen werden.“ Mit der Figur des treffsicheren „Dirty Harry“ wurde Clint Eastwood in Amerika zum Superstar. Seine frühen Meriten in Sergio Leones Dollar-Trilogie kannte dort kaum jemand. In Westdeutschland wurde Dirty Harry nicht nur berühmt, sondern auch noch berüchtigt.
Beim deutschen Filmstart 1974 hagelte es harsche Kritik an der, Zitat, „fragwürdigen Ideologie: Gewalt wird fast unkaschiert propagiert, im Kampf gegen Verbrecher scheint jedes Mittel recht. (…) Der Film sieht solche Vergeltungsschläge offenbar nicht ganz ungern – seine moralische Wendung am Schluss (…) ist ohne Überzeugungskraft“.
So steht es bis heute ins Lexikon des internationalen Films gemeißelt. Auf das werden wir noch zurückkommen.
Im selben Jahr wie „Dirty Harry 2“ wurde ein anderer, ebenso wenig zartbesaiteter Streifen zum Kassenschlager. „Ein Mann sieht rot“ mit Charles Bronson handelt von einem eigentlich friedfertigen New Yorker Architekten, den ein mörderischer Anschlag auf seine Familie dazu treibt, unter den Schlimmfingern seiner Stadt etwas aufzuräumen. Der Film traf einen Nerv in Big Apple, dessen Bewohner damals unter einer enormen Verbrechenswelle ächzten.
In Deutschland bombte zwar die RAF, doch ansonsten hielt sich das Mord- und Raubgeschehen noch in engen Grenzen. Eine woke Blase, schon zu dieser Zeit in der deutschen Kulturkritik dominant, schäumte über das auch hierzulande sehr populäre Rachedrama. „Ein zynischer Film, der suggestiv und kalkuliert alle Mittel einsetzt, um Selbstjustiz zu rechtfertigen“, schalt etwa der Filmdienst.
Auch auf den kommen wir noch.
Glotzenbegleitmaterial en masse
Zwei ältere Beispiele von Etiketten, die Filmen angehängt werden und manchmal jahrzehntelang kleben bleiben. Sind solche Verdikte denn relevant? Ja, denn sie stehen bis heute in Kurzbewertungen und Rezensionen von Programmzeitschriften oder scheinen bei Wikipedia auf. Wer wissen möchte, ob ein Streifen sich anzuschauen lohnt, ist auf solche Medien angewiesen.
Zum Beispiel die „Programmies“. Noch immer, trotz starkem Auflagenschwund, verkauft sich am Kiosk nichts besser als das Segment der TV-Zeitschriften. Dazu kommen Supplements bei etlichen Zeitungen und Magazinen. Allein rtv, das unter anderem dem Stern beiliegt (und für manche den letztverbliebenen Grund darstellt, das Abo nicht zu kündigen), erreicht ungefähr fünf Millionen Leser. Kein Land produziert so viel Glotzenbegleitmaterial wie Deutschland.
Von Spielfilmen verstehen die allermeisten Programmiemacher, hart schuftende Zweitverwerter der Fernsehindustrie, leider nicht sonderlich viel. Entsprechend unterkomplex fallen ihre Bewertungen aus. Altbekannten Branchenikonen wird selbstredend automatisch das Daumen-hoch-Prädikat verliehen. Streifen wie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, „Große Freiheit Nr. 7“, „Lohn der Angst“, „Zeugin der Anklage“, „Rio Bravo“, „Papillon“, „Der Pate“, „Die drei Tage des Condor“, „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Apocalypse Now“, „Shining“.
Vorsicht, moralingeladene kirchliche Filmkritik!
Hitchcock-Filme kriegen automatisch ein A-Rating, obwohl der Master of Suspense auch Schwaches wie „Marnie“ ablieferte. Wohingegen sein genuin englisches, zynisches, witziges, brutales Spätwerk „Frenzy“ nie genug gewürdigt wird. Kurz, durch die TV-Zeitschriften fließt der übliche, öde Mainstream. Ein origineller Gedanke verirrt sich dorthin höchstens durch Zufall.
Ist der Programmieschrubber unsicher, wie er einen Film einzuordnen hat, greift er zu Filmlexika, zu Filmdiensten oder schaut gleich auf Wikipedia nach. Dort – Überraschung! – finden sich unter der Rubrik „Kritik“ häufig Urteile aus dem bereits erwähnten Filmdienst, dem Lexikon des internationalen Films oder epd Film. Nicht ohne Weiteres ersichtlich für Wiki-Nutzer: Alle drei vielzitierten Quellen gehören Kirchen; die beiden ersten der katholischen, die dritte der evangelischen.
In der moralingeladenen Tonalität, die auf Kirchentagen herrscht, sind denn auch viele Filmbeurteilungen verfasst. Über den Actionfilm „Unhinged“ aus dem Jahre 2020 findet sich in der deutschsprachigen Wikipedia eine einzige Kritik – die des katholischen Filmlexikons. Sie wirft dem Streifen vor, dass er sich auf „Autojagden, Psychoterror und Widerstand konzentriert, ohne eine gesellschaftskritische Lesart zu befördern.“ Vielleicht sollte die katholische Kirche selber mal einen gesellschaftskritisch lesbaren Actionfilm produzieren. Der würde bestimmt ein Renner.
Perle des Rachefilmgenres vom woken Filmdienst verrissen
„Red Corner“ von 1997 mit Richard Gere – er gilt laut Zeit als „letzter großer Hollywoodfilm, der fundamentale Kritik an China enthielt“ – beschimpften die katholischen Filmrichter als „plump konstruierten Gerichtsfilm, dessen Absicht die Verunglimpfung chinesischer Lebensart und Rechtsprechung ist.“ Besser hätte es das Regime in Peking auch nicht formulieren können.
Kürzlich lief auf irgendeinem Kanal eine ziemlich frische Perle des Rachefilmgenres, Erscheinungsjahr 2019. „Hard Powder“ ist gebaut, als hätten sich Quentin Tarantino und die Coen-Brüder für einen hinreißenden Mix aus schwarzem Humor, skurrilen Nebenhandlungen, Bergen von Leichen und grandiosen Schneepanoramen verbündet. Auch wenn Hauptdarsteller Liam Neeson meist grimmig aus der Thermowäsche guckt, wie es nun mal seine Art ist: So ein Feuerwerk von abgedrehten Figuren, kuriosen Dialogen und politischen Unkorrektheiten war lange nicht.
Wie der – damit natürlich überforderte – Neeson einem entführten Jungen Gute-Nacht-Geschichten erzählen soll und dem faszinierten Bürschlein stattdessen Daten aus dem Prospekt seines gewaltigen Schneepflugs vorliest – zum Niederknien. Und allein für den Einfall, nach jedem Mord in Stummfilm-Manier Tafeln mit Sterbeanzeigen einzublenden, verdient „Hard Powder“ zwei aufwärts gereckte Daumen.
Und was kriegt dieses rundum gelungene Remake eines ähnlichen Streifens vom Filmdienst zu hören? „Dass die als Albaner beschimpften Serben des Originals nun zu Indianern mutieren, unterstreicht die Perfidität des Konzepts: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind durchaus hoffähig im Unterhaltungskino.“
Die kinematografische Spreu von Weizen trennen
Tatsächlich handelt es sich bei den in „Hard Powder“ auftretenden Indianern nicht um edle Wilde. Sondern um knallharte Geschäftemacher, die ihren weißen Mitbewerbern in keiner Gemeinheit nachstehen. Ein Filmdiensthabender, dem dazu nichts anderes als das Buzzword Rassismus durch die Birne rauscht, gehört an den Marterpfahl. Howgh.
Also, was kann man tun in diesen dunklen Tagen, um kinematografische Spreu von Weizen zu trennen? Ich für meinen Teil versuche das wie folgt:
Eine aktuelle Fernsehzeitschrift oder eine TV-Beilage nach möglichen Filmschätzen durchsuchen. Faustregel: keine deutschen Kino- oder gar Fernsehfilme (Ausnahmen wie „Code 7500“ bestätigen die Regel). Keine tunesisch-albanisch-aserbeidschanischen Ko-Produktionen oder Ähnliches. Keine Filme, in denen starke Frauen um irgendwas kämpfen, natürlich gegen den Widerstand alter weißer Männer.
Sodann die infrage kommenden Filme bei Wikipedia aufrufen. Dort feststellen, wie ein Film bei Rotten Tomatoes abgeschnitten hat. Diese Website veröffentlicht keine eigenen Bewertungen, listet nur die Zahl der positiven und der negativen Kritiken aus sogenannten seriösen Medien auf. Welche Medien als seriös eingestuft werden und welche nicht, bleibt freilich unklar.
Liegt die Tomaten-Zustimmungsquote unter 30 Prozent, ist der Film mutmaßlich Schrott. Die Seite selber setzt dafür sogar ein Limit von 60 Prozent. Was sich mit meinem, wahrscheinlich schlechten, Filmgeschmack schon öfters nicht deckte.
Ein Leuchtturm ex negativo
„Im Jahr des Drachen“ von Michael Cimino zum Beispiel ist einer meiner Lieblingsthriller. Erreichte im „Tomatometer“ nur 56 Prozent, war auch an der Kasse ein Flop. Aber wie der unvergleichliche Mickey Rourke die New Yorker China-Mafia herausfordert („Ich bin Polacke, mich kann man nicht kaufen“), das hat Stil. In einer Szene wirft ein Heroineinkäufer den abgeschlagenen Kopf seines Mitbieters auf den Dealer-Tisch. Das hat ein Stückchen Filmgeschichte geschrieben, Tomaten hin oder her.
Bei älteren Filmen kann man im Wiki-Eintrag nachschauen, ob und wie der 2013 verstorbene Roger Ebert den Film rezensiert hat. Ebert war der wichtigste US-Filmkritiker, erfreulich unberechenbar in seinen Urteilen. So verriss er „Blue Velvet“ ebenso wie den ersten Teil von „Stirb Langsam“. Andererseits war er mit dem Megabusenfilmer Russ Meyer befreundet und nannte Robert Mitchum und Ingrid Bergman als seine Lieblingsschauspieler. So einer konnte nicht völlig falsch liegen.
Vorsichtshalber auch checken, ob ein Film positiv von einem Georg Seeßlen besprochen wurde. Dieser fleißige Ideologe bespielt seit vielen Jahren linke bis ultralinke deutsche Kulturkommissariate, „sieht Unterhaltung politisch“ (Wikipedia). So schreibt er auch. Für einen Filmfreund wie mich ein Leuchtturm ex negativo.
Alle herumstehenden Fördertöpfe ausgekratzt
Nun das technische Prozedere. Sind ein paar womöglich lohnende Streifen aufgetan, befördere ich sie mittels Fernbedienung in den Speicher des TV-Gerätes. Gespeicherte Filme abzurufen hat den Vorteil, dass man die Werbung auf den Privatprogrammen rasch überspringen kann.
Und bei Aufnahmen aus dem Staatsfunk läuft man kein Risiko, vor oder nach dem Film noch Caren Miosga oder Karsten Schwanke begegnen zu müssen. Manche Filme stehen auch für eine Weile in den Mediatheken der Sender. Aber da kommen ältere Fernseher nicht rein.
Zum Schluss eine Warnung. War neulich in einem echten Lichtspieltheater, Hamburgs traditionsreiche Passage an der Mönckebergstraße. Einfach, um mal wieder Plüsch und große Leinwand zu erleben. Aber außer Schnatterkomödien wie „Der Nachname“ gab es da nicht viel. So landete ich bei der Verfilmung von Dörte Hansens Bestseller „Mittagsstunde“. Die Hauptrolle spielt der ungeschlachte Charly Hübner, der noch grimmiger starren kann als Liam Neeson.
Da der zu gleichen Teilen langweilige, verworrene und niederdrückende Film alle herumstehenden Fördertöpfe ausgekratzt hat, kommt er sicher bald ins Staatsfernsehen. Tun Sie ihn sich nicht an. Deutschlands Kino ist tot.