Ein sowjetischer Biologe ruinierte unter Stalin die Agrarwirtschaft seines Landes nachhaltig. Der Scharlatan im Gewand eines visionären Wissenschaftlers hat als Typus auch im Westen Fuß gefasst – und das nicht erst seit Corona.
L. stammte aus sozial bescheidenen Verhältnissen, erwies sich aber als gelehriger Schüler. Er sah in jungen Jahren gut aus und wirkte energisch, obgleich es mit seiner Karriere lange nicht recht vorangehen wollte. Dann, während einer großen Krise, kam sein Momentum. Er stieg zu einem der einflussreichsten Männer auf. Seine pseudowissenschaftlich begründeten Maßnahmen wurden erst viel später entlarvt; sie warfen das Land wirtschaftlich weit zurück.
Wenn Sie bei L. jetzt an Karl Lauterbach denken, sind Sie schief gewickelt. Nein, die Sirene aus Birkesdorf sah auch in der Jugend nicht wirklich gut aus. Sie erscheint bereits auf frühen Fotos leicht verwirrt, was aber Beobachtern des adulten Lauterbach aufgrund seiner aktuellen Auftritte womöglich nur so vorkommt.
Auch ansonsten unterscheidet Karl Lauterbach manches von dem eingangs erwähnten L. Letzterer war Russe und hieß Trofim Denissowitsch Lyssenko, geboren 1898 in Karlowka. Seine große Stunde schlug nicht während einer Pandemie, sondern während der Hungersnöte in der Sowjetunion. Dem Lebensmittelmangel, von Stalins Terror gegen die Bauern verursacht, fielen in den frühen 1930ern acht bis neun Millionen Menschen zum Opfer.
Bananenanbau in Mittelrussland
Lyssenko war bis dahin nur ein unbedeutender Agronom an einem Institut für Genetik und Saatzucht. Mit der Verheißung, neue, unerhört resistente und ertragreiche Nutzpflanzensorten zu züchten und damit alle Nahrungsprobleme zu lösen, erwarb er sich die Gunst Stalins. Er postulierte, dass Eigenschaften von Lebewesen nicht durch Gene, sondern durch Umweltbedingungen bestimmt und weitergegeben werden. Das kam bei Stalin, der einen Neuen Menschen sowjetischer Bauart erschaffen wollte, auch ideologisch gut an.
Nahezu keines der Lyssenko-Projekte war erfolgreich. Im Gegenteil, die schon damals von allen führenden internationalen Forschern verworfenen Theorien und Methoden führten nur zur Verschärfung der Hungersnöte. Das Scheitern wurde jedoch nicht Lyssenko zur Last gelegt, sondern „Saboteuren“. Neue Terrorwellen folgten, die schließlich in den Säuberungsorgien ab 1936 kulminierten.
Nun war es nicht so, dass die Sowjetunion damals keine fähigen Biologen, Vieh- und Pflanzenzüchter besessen hätte. Eine Reihe von ihnen lehnten Lyssenkos Irrlehren ab. Einige muckten sogar in den Akademien gegen den Unsinn auf, etwa gegen die Behauptung, die Grenzen des Apfelanbaus würden künftig pro Jahr um 50 Kilometer gen Nordsibirien vorrücken oder in Mittelrussland würden bald Bananen angebaut.
Weil Lyssenko jedoch seinen Wissenschaftsberitt komplett politisiert hatte, galt jede Kritik an ihm als Kritik an Stalin und der ruhmreichen Sowjetunion an sich. Wissenschaftler mit abweichenden Erkenntnissen ließ er vom Geheimdienst überwachen und politisch verfolgen. Wer nicht entlassen oder gar in Straflager kommen wollte, musste „entwürdigende Selbstkritik“ leisten, so der Spiegel anno 1961.
Auch Scharlatennen in Politik, Medien und Schnatterwissenschaften
Lyssenko, „Held der Sowjetunion“, siebenmaliger Leninpreisträger, fünfmal in den Obersten Sowjet deputiert und von der gleichgeschalteten Presse als Übergenosse gefeiert, gelang es, noch lange nach Stalins Tod Stellung und Einfluss zu halten. Erst 1962 konnte sein Hokuspokus durch russische Wissenschaftler entlarvt werden, worauf er von Chruschtschow entlassen wurde. Seit einigen Jahren allerdings bahnt sich in Russland hier und dort eine Rehabilitierung des schrägen Vogels an.
Auch die chinesischen Kommunisten praktizierten eine Zeitlang Anbaumethoden nach Lyssenko, mit ähnlich katastrophalen Folgen wie in Russland. Lyssenkoismus ist seither zum generischen Begriff für Scharlatanerie geworden, wie Uhu oder Pattex für Klebstoffe.
Leute, die Naturgesetze auf den Kopf stellen wollten, gab es natürlich zu allen Zeiten, in unaufgeklärten ebenso wie in aufgeklärten. Quacksalber und Alchemisten, Homöopathen und Mondscheingärtner, jede Meise drehte schon ihre Runden. Eugenik, Genderforschung oder „Klimagerechtigkeit“ – es gibt keine Verstiegenheit, die nicht ihre Fans fände. Wer an Flugtaxis glaubt, wird es womöglich auch mit veganem Hundefutter versuchen.
Doch was genau unterscheidet den Scharlatan, laut Duden eine „männliche Person, die bestimmte Fähigkeiten vortäuscht und andere damit hinters Licht führt“, vom Trickbetrüger, Illusionisten, Aufschneider, Hochstapler, Blender, Nichtskönner? Abgesehen davon, liebe Duden-Redaktion, dass es mittlerweile auch von Scharlatennen in Politik, Medien und Schnatterwissenschaften nur so wimmelt, heißt es, in der Rosstäuscher-Szene zu differenzieren.
Propagandatröte der verteuerbaren Energien
Ist eine Claudia Kemfert zum Beispiel nur eine normale, wenn auch medial omnipräsente, Propagandatröte der verteuerbaren Energien oder schon eine Scharlatenne? Mojib Latif, ist der bloß ein kleiner Pfaffe aus der Church of Global Warming oder bereits ein ausgewachsener Scharlatan? Figuren wie Peter Altmaier oder Andreas Scheuer, kann man die getrost unter Vollpfosten abheften oder wohnt ihrer verblüffenden Unfähigkeit, irgendetwas gebacken zu kriegen, ein scharlatinöses, nachgerade lyssenkoistisches Element inne?
Ein der amerikanischen Uniszene entsprungenes Geschöpf namens Judith Butler, Mutter des Gedankens, es gebe keine biologischen Geschlechter, sondern nur soziokulturelle Konstrukte derselben – als was wäre dieses Wesen zu bezeichnen?
Der „Klimaexperte“ Hans Joachim Schellnhuber, ein Mann mit der Gabe, so prophetisch aus der schwarzen Wäsche zu gucken, dass Moses grün vor Neid würde – wo packt man den hin?
Keine einfache Sache. Vielleicht hilft eine Definition des Lyssenkoismus aus Wikipedia?
„Heute bezeichnet man mit dem Begriff ‚Lyssenkoismus‘ in einem breiteren Sinn auch allgemein die politische Förderung pseudo- oder unwissenschaftlicher Thesen und die Behinderung der freien Wissenschaftsentfaltung durch die Politik.“
Stromversorgung einer Industrienation mittels Windrädern und Solarpanels durch Schwarze Magie
Nehmen wir zunächst den letzten Teil des Satzes. Damit sind wir mittenmang der Coronapolitik. Andersdenkende Forscher zu diskreditieren, war ja seit Beginn der Viruswelle ein Anliegen nicht weniger Politiker. Wer der Wahrheitsbehörde RKI auch nur milde widersprach, kriegte sofort was mit der Latte auf die Platte. Nahezu alle Medien und ein Teil der Forscherkollegen taten beherzt mit.
Was den ersten Teil der Definition betrifft, so wirkt er wie maßgeschneidert auf den Hype um die Erderwärmung und die politische Förderung von Voodoo. Denn, wie wäre die Stromversorgung einer Industrienation mittels Windrädern und Solarpanels anders möglich als durch Schwarze Magie?
Same same, not different: Maos berüchtigter Großer Sprung nach vorn und die Große Energiewende der vom Schmeichel- und Speichelfunk gern als „Physikerin“ apostrophierten Merkel. Beides lief und läuft auf dasselbe hinaus, auf den ökonomischen GAU.
Aber lassen wir das Merkel-Bashing. Dass die Ex-Kanzlerin nicht sehr viel von Physik – schon gar nicht von Geophysik – versteht, hatte sie spätestens mit ihrer Rückwärtsrolle nach Fukushima am 14. November 2011 bewiesen. Die Ausstiegsvolte hat sie, denke ich, allein deshalb hingelegt, um grüne Stimmen abzugreifen. Nicht, um das Land von Putins Gas anhängig zu machen, wie manche Verdächtiger glauben. Natürlich war der Atomausstieg kurzsichtig und verheerend. Aber unter Scharlatanerie fällt die Chose nicht.
Der Lyssenko der jüngeren Vergangenheit
Ein echter Scharlatan lyssenkoistischer Prägung muss es verstehen, anhaltenden Blödsinn zu stiften, kapitalen Schaden anzurichten. Zu seinem eigenen Nutzen, aber auch aus Haltung, aus innerer Überzeugung. Insofern ist der Zarenflüsterer Rasputin, von Schriftstellern, Journos und Filmemachern zum Prototyp des Scharlatans modelliert, streng genommen gar keiner. Sein Treiben am Hof hatte, soviel man weiß, keinen intrinsischen Antrieb, kein übergeordnetes Motiv.
Der Lyssenko der jüngeren Vergangenheit ist für mich Hermann Scheer, von seinen Jüngern als „Solarpapst“ verehrt. In der breiten Öffentlichkeit kennt kaum jemand den 2010 verstorbenen SPD-Politiker. Solarzellenenthusiasten und deren Nutznießer – vom chinesischen Panelhersteller bis zum heimischen Elektroinstallateur – verdanken ihm viel.
Scheer gehörte zur Führungsriege der Jungsozialisten, als diese in den Willy-Willy-Jahren und auch noch unter Helmut Schmidt Gewicht innerhalb der Partei besaßen.
Obwohl auch die SPD ihm einiges verdankte – er gehörte dem reformistischen, nichtmarxistischen Flügel der Jusos an –, wurde er nicht viel in der Partei. Ganz im Gegensatz zu den Juso-Kadern Gerhard Schröder, Ottmar Schreiner, Rudolf Scharping, Heidemarie Wieczorek-Zeul. Selbst für den Juso-Vize Johano Strasser, der mal wegen telefonischer sexueller Belästigung festgenommen worden war, hatte die Partei mehr Verwendung als für den biederen Scheer.
Sonnenkönig in Talkshow überrascht
Irgendwann in den 1980ern bekam er als Spielwiese die Energiepolitik zugeteilt, für die andere Genossen damals kein Interesse zeigten. Scheer machte daraus sein Lebensding. Schon Ende der 1980er trommelte er für den Ausstieg sowohl aus der Atomkraft als auch aus fossilen Energieträgern. Die Morgenthauisierung und Selbstverzwergung des Industrielandes D, ursprünglich ein Traum der Grünen, hat in Wahrheit ein Soze maßgeblich angeschoben.
Scheer initiierte zahlreiche Gesetze über die Förderung „erneuerbarer“ Energien (das Adjektiv ist angeblich seine Erfindung). Saß in zahlreichen Vereinen, Foren, Gremien und Lobbyzirkeln, um unablässig auf deutscher und europäischer Ebene für Zappelstrom Stimmung zu machen. Seine Anhänger und Profiteure überhäuften ihn dafür mit Micky-Mouse-Lametta wie dem „Alternativen Nobelpreis“. Auch das Verdienstkreuz am Bande wurde ihm zuteil. Seine Aktivitäten sind bei Wikipedia getreulich aufgeführt. Der Eintrag wird offenkundig von seinen Fans bewacht. Dort findet sich nicht die kleinste Kritik am Wirken des Großlobbyisten.
Wie weitläufig das Ausmaß seiner Umtriebe war, wurde mal in der WDR-Sendung „Hart aber fair“ transparent.
Als diese Talkshow noch richtig gut war, obwohl (oder weil) sie anfangs nur im Landesfunk lief, hatte Moderator Frank Plasberg mit Bienenfleiß so gut wie sämtliche Pöstchen und Positionen des Hermann Scheer in einem Einspieler zusammengestellt. Mit der langen Liste konfrontierte er den Sonnenkönig, der sich überrascht zeigte. Solch freche Recherchen hatte er vom Rotfunk seines Vertrauens wohl nicht erwartet.
Die dickste Spinne im Agentennetz der Subventionsstrombranche
Scheer tat, so meine Erinnerung, wie ein Automat bei jedem neu angeführten Einflussposten kund, er säße dort rein ehrenhalber, ohne Entlohnung. Was er auf Plasbergs Spitze erwiderte, nach dem Ende seiner, Scheers, politischen Laufbahn würden die Jobs dann ja sicher ordentlich was abwerfen, habe ich vergessen. Auf jeden Fall führte Plasberg den Mann als das vor, was er war: die dickste Spinne im weitgespannten Agentennetz der lukrativen Subventionsstrombranche.
Scheer selber konnte die Früchte seiner Anstrengungen nicht mehr voll genießen. Der „Weltpolitiker“ (taz) wurde nur 66 Jahre alt.
Tochter Nina setzt sein Werk fort. Die SPD-Bundestagsabgeordnete rödelt in diversen Gremien und Institutionen mit, wo es um „Energiewende“, „nachhaltige Entwicklung“, „Umwelt“, „Naturschutz“ und verwandte Wieselwortbereiche geht. Anlässlich der Wahl zum SPD-Parteivorsitz bildete sie im Jahre 2019 ein Kandidaten-Duo mit – Tusch! – Karl „The Doom“ Lauterbach.
Seltsam: Sobald es um große Scharlatane geht, schleicht sich in diesen Text irgendwie der Name Lauterbach ein.