Ich stelle mir das so vor: Das so genannte Fachpersonal der Kirchen bucht umgehend ein Fachseminar beim Hamburger Chabad Lubawitsch-Zentrum. Dort lernen die Experten für Messen und Beten (die Buddhisten sind vom Nachhilfeunterricht befreit, die wissen zu feiern), wie man Menschen begeistert, egal, welcher Religion sie sind. Wie man sie zum Tanzen, Lachen und Singen bringt. Bei katholischen Feiern (ich bin erzkatholisch erzogen, ich weiß, wovon ich spreche und warum ich sofort nach Erreichung der Volljährigkeit aus der Kirche ausgetreten bin!) hat man ja immer den Eindruck, dass der Papst oder zumindest des Nachbarn Katze verblichen ist - egal, ob Taufe, Firmung, Sonntagsgottesdienst oder tatsächliche Totenmesse; es ist immer irgendwie traurig. Und man fühlt sich immer irgendwie schuldig, weshalb ich katholische Kirchen seit 20 Jahren meide, außer sie besitzen musealen Wert.
Und wer mir als Ausländerin noch einmal erzählt, die Nordlichter wären zurückhaltend, den nehme ich mit, zum nächsten “Freudenfest”. Das stand nämlich auf der Einladung zur Einweihung der neuen Tora-Rolle in Hamburg und machte schon beim Lesen gute Laune. Die Flaneure trauten ihren Augen nicht: Rund 300 Menschen zogen, die Kinder (alle herrlich herausgeputzt im Sonntagsstaat) voran mit Fackeln, durch das Grindelviertel. Vom Joseph-Carlebach-Platz, jenem Ort, an dem einst eine wunderbare Synagoge stand (sie brannte am 10. Novemer 1939, einen Tag nach der Reichskristallnacht, ab), von der heute nur noch der Grundriss im Straßenpflaster eingelassen ist, zum Chabad-Zentrum, das gleichzeitig seinen 7. Geburtstag feierte. Rabbis aus ganz Deutschland und Israel zogen in einer Prozession durchs Viertel, alle tanzten und sangen, aus großen Lautsprechern wummerte fröhliche Musik, die Straßen waren polizeilich abgesperrt und die Autofahrer rieben sich verwundert die Augen. Eine Tora unterm blauen Samtbaldachin hatten die meisten noch nie gesehen. Tanzende Rabbis darunter, die sich freundschafltich um die Tora-Rolle stritten, als wär’s eine schöne Frau, mit der alle einmal tanzen wollen. Keine Filmdreharbeiten, alles garantiert echt!
Während die einen statt stumm zu googeln, laut fragten, was eigentlich eine Tora sei (die Auswirkungen von Pisa?), fielen die anderen vor Erstaunen fast aus ihren Fenstern. Und die Kellner eines italienischen Restaurants standen verwundert Spalier. Das muss man den Italienern lassen: Sie wissen, was freundlicher Respekt und elegante Wertschätzung ist. Vorbei ging’s an indischen Imbissen, Thai-Massage-Studios, Tankstellen und italienischen Eisdielen zum Gemeindezentrum in einem schlichten Haus. Davor ein Zelt mit Buffet für alle, es gab zum Freudenfest erstaunlicherweis nur Süßes. Koschere Kekse, koschere Nusskuchen, koschere Nutella-Croissants (und Obst, aber das blieb irgendwie übrig).
Von einem Balkon winkten Hamburger mit kleinen israelischen Flaggen, die von unten winkten lachend und dankend zurück. Jüdisches Leben in Deutschland. Die Botschaft war: Wir sind wieder da. Laut. Fröhlich. Und nichts und niemand wird uns je wieder vertreiben. Eine Hamburgerin erzählte, sie sei eigentlich nur zufällig da. Aber die süßen Sachen wären super-lecker und dass Juden in Deutschland so ausgelassen feiern, fände sie einfach nur schön. Ich stelle mir das so vor: Künftig einmal im Monat ein Freudenfest in allen deutschen Orten über 10.000 Einwohner. Keine Jammertäler mehr, nirgends.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de