Burkhard Müller-Ullrich / 12.09.2017 / 09:48 / 10 / Seite ausdrucken

Singen für Demokratie - und die FAZ singt mit

Ein öffentlicher Mitsingabend morgen in Dresden hätte es wahrscheinlich nicht mal in die dortige Lokalpresse geschafft. Also muß ein zusätzlicher Selling Point das Marketing ankurbeln. Und was gibt es in der Musik Wichtigeres als politische Rechtschaffenheit? Da räumt sogar die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung eine Viertelseite frei, um dem Initiator einer so bedeutenden Kunstaktion ein großes, demokratisch gefestigtes Forum zu bieten. „Olaf Katzer will mit einer Singstunde die Demokratie voranbringen“, verkündet die Schlagzeile, und funktionieren soll das so: Die Sänger stellen sich „in einem oder mehreren Kreisen um das Publikum und lassen Töne durch den Kreis wandern. Das geht insgesamt über zweieinhalb Oktaven.“

Bis hierhin klingt der akustische Schabernack noch unverdächtig, aber im nächsten Absatz kommt es knüppeldick. Denn da erklärt das Dresdner Musikgenie, dank der sich bei dem Verfahren unvermeidlich einstellenden Dissonanzen würden die Zuhörer eine Vielstimmigkeit erleben, „wie sie auch in der Gesellschaft vorhanden ist“. Nun ist das Zauberwort gefallen, das Zeitungsredaktionen und Kulturpolitiker zum Schnurren bringt, wenn es um Kunst geht, das Zauberwort, das ihnen und in ihrem Verständnis deshalb allen die Bedeutung der Sache begreiflich macht. Es lautet: Gesellschaft.

Von jeher ist klar, daß der Spießer die Kunst verachtet. Der moderne Spießer aber verlangt von der Kunst Relevanz. Und relevant ist, was sich mit Masse und Gesellschaft in Verbindung bringen läßt. Noch relevanter ist, was über zweieinhalb Oktaven den Klang der Demokratie simuliert. So wird Kunst zur Gesinnungsdemo degradiert, wobei man gar nicht weiß, wer oder was da peinlicher ist: der Mann, der sich das ausgedacht hat, die Leute, die dann mitmachen, oder der Journalist, der die Phrasendreschmaschine willfährig bedient.

Ob das Ganze wohl als ein „Zeichen gegen Pegida zu verstehen sei“, fragt er genießerisch und bekommt eine Antwort in reinstem Kulturscharlatanjargon: Pegida-Slogans würden „im Rahmen einer Komposition (…) dekontextualisiert und in einen Rahmen gestellt, der sich vom üblichen unterscheidet. Statt dem Streben nach Homogenität, wie es bei Pegida der Fall ist, sollen die Slogans stattdessen in Mikrotonalitäten verschwimmen.“

So geht es tagein, tagaus in unserer bunten Republik: Während Zug um Zug jede in Form von Slogans geäußerte Befürchtung der zur Demokratie-Ausscheidung erklärten besorgten Bürger sich in mehrfachem Sinne als stich-haltig erweist, besteht das Hauptanliegen so mancher Kunstschaffenden darin, diese Befürchtungen in Mikrotonalitäten verschwimmen zu lassen. Gegen diesen politpädagogischen Dissonanz-Gesang wirkt „Schweigen für den Frieden“ und ähnlicher Blödsinn aus früheren Zeiten geradezu intelligent.

 

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Leserpost

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Wolfgang Petermann / 12.09.2017

Nicht das erste Mal, dass die FAZ “mitsingt”.  Die Zeitung ist seit ihrer Zwangs-Verehelichung mit der linken Frankfurter Rundschau ohnehin in diese Richtung gewandert. Manchmal erkennt man den Unterschied selbst zur taz gar nicht mehr (so z.B. bei den Hamburger G20-Krawallen, wo natürlich die Polizei schuld war). Aber auch in der Auto-Diesel-Hysterie war von einem einst Wirtschafts-affinen Blatt nicht mehr viel zu finden.  Hauptsache schön dem vermeintlichen Zeitgeist nachäffen. Nur: dann brauche ich keine FAZ mehr.

Manfred Löffert / 12.09.2017

Die aus öffentlichen Mitteln gepamperten Kulturschaffenden sind in dieser Hinsicht meistens besonders peinlich. Ich erinnere mich an einen schon länger zurückliegenden Fall, als der Mainzer Theaterchor eine “spontane” Übungsstunde bei geöffneten Fenstern abhielt, um eine auf dem Platz vor dem Theater stattfindende AfD-Veranstaltung zu stören. Es wurde lauthals die “Ode an die Freude” geträllert und das Bildungsbürgertum kam sich danach ja sowas von gut vor ; es war kaum auszuhalten.  Das da ein Defizit in Sachen Demokratie und politischer Kultur offenbar wurde, kam dem Chorleiter, erst gar nicht in den Sinn , obwohl, das sollte erwähnt werden. die Polizei Anzeige erstattete (Versammlungsrecht/Störung).

Nadja Schomo / 12.09.2017

Dieser Katzer sollte irgendwie dekoriert werden, Preise gibt es ja mehr als Künstler. Weil er wie kein anderer auf der Bühne zeigt, von welcher Art Demokratie unsere Kanzlerin träumt. In Zukunft wird für Parlamentarier wohl Abstimmen so etwas wie Einstimmen und Mitsingen bedeuten.

Bernd Ackermann / 12.09.2017

Schade, dass der “Schwamm gegen Rechts” (oder so) in Augsburg von Grundschul-Hooligans demoliert wurde, man könnte ihn sonst in Dresden aufstellen, auf das er alle Dissonanzen und Slogans in sich aufsauge.

Marcel Seiler / 12.09.2017

“Kunst kommt von Können”, sagte einer unserer Lehrer am Gymnasium. Inzwischen sind die Könner in der US-Unterhaltungsbranche tätig (wer dort nichts kann, ist schnell weg vom Fenster), während in Deutschland sich die Kunst aus der selbstzertifizierten guten Gesinnung speist. Ein schrecklicher Anblick.

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