Rainer Bonhorst / 13.02.2014 / 21:32 / 2 / Seite ausdrucken

Schweizer Röschti mit Beilage

Hier nochmal ein paar Binsenweisheiten zum Schweizer Schock.

Zuerst die Frage: Ist die Angst der Schweizer vor zuviel Einwanderung aus Südosteuropa eigentlich gerechtfertigt? Antwort: Was weiß ich denn. Das müssen die Schweizer schon selber entscheiden. Sind wir etwa ihre Lehrmeister? Demokratie können die schon ein bisschen länger als wir.

Was mich persönlich angeht, so stören mich höchstens die neuen, hochdramatischen Bettelformen, die von wer weiß woher auf unseren Straßen Einzug gehalten haben. Aber auch das ist auszuhalten. Im übrigen freue ich mich seit Jahrzehnten darüber, dass Mitteleuropa nicht mehr so blass und langweilig ist, wie es mal war.

Aber was soll’s. Bin ich das Volk? Wer ist überhaupt das Volk? Die Regierungen? Die Parteiführungen? Die Parlamentarier? Die EU-Kommissare? Sie sind, wenn sie Glück haben, allenfalls vom Volk beauftragt. Das Volk sind sie genauso wenig wie ich: ein Tropfen am Eimer, um es biblisch zu sagen.

Als Beauftragte können sie dem Volk ruhig ein Stück vorangehen. Es schadet nicht, es ist wahrscheinlich sogar gut, wenn sie etwas multikultureller gesonnen sind als die meisten. Aber wie weit sollen sie vorangehen? Ja, wie weit wohl: So weit, dass man sie noch sehen und verstehen kann.

Das sollte gar nicht so schwer sein. Eine ganze Umfrageindustrie wacht darüber, dass die Repräsentanten des Volkes wissen, ob sie sich noch in Sichtweite und Hörweite ihrer Auftraggeber aufhalten. Aber irgendwie ist diese Industrie nicht so zuverlässig wie erhofft. Es muss da irgendwo eine selektive Wahrnehmung geben. Denn aus scheinbar heiterem Himmel merken die Beauftragten zu ihrer Verblüffung auf einmal, dass sie offenbar doch zu weit gegangen sind. Sie merken es daran, dass ihnen das Volk davonläuft.

In Ländern mit plebiszitären Sitten, wie jetzt in der Schweiz, sagt dann eine Mehrheit des Volkes höchstpersönlich: „Stopp! Ihr geht zu weit! Schluss damit!“ In Ländern, in denen (fast) nur repräsentiert wird, tun die Wähler es indirekt, indem sie sich anderen, „populistischen“ Vereinen zuwenden.

„Populistisch“ ist ein merkwürdiges Schimpfwort. Es ist eigentlich eine Volksbeschimpfung. Nun sind Publikumsbeschimpfungen seit Peter Handke erlaubt und üblich. Die Frage ist nur, ob so eine Publikumsbeschimpfung ein kluger Schachzug für einen Repräsentanten ist, der dann vom Publikum gewählt werden möchte. Ich bezweifle es. Das Volk hat nun mal eine unausrottbare Neigung populistisch zu sein. Schon aus sprachlichen Gründen. Und vielleicht sollte man auch noch erwähnen, dass Demokratie und Volk von Hause aus nicht als Widerspruch gedacht sind.

Nein, es nützt nichts, sich über die volkstümlichen Populisten zu empören. Weg ist weg. Und ein Häuptling ohne Indianer ist eine traurige Figur, auch wenn er es gut meint.

Was also tun? Früher hat man gesagt: Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind. Das klingt zwar etwas von oben herab, ist aber nicht verkehrt. Und abholen heißt: Im Zweifel reumütig ein paar Schritte zurückgehen. Abholen heißt nicht, die Leute unter Verwünschungen in die Richtung treiben, die man gerne hätte. Gut zureden ist erlaubt. Gut zuhören ist besser.

Mit dem Zuhören ist das aber so eine Sache. Vor allem in Brüssel gibt es wichtige Amtsinhaber, die nicht gewählt sondern ernannt sind. Sie haben einfach nicht gelernt, irgendjemandem gut zuzuhören. Sie befinden sich im Besitz einer höheren Überzeugung, die sie dank ihres Amtes ihren Mitbürgern aufbrummen können. Da gibt es zum Beispiel die Überzeugung, dass wir mit giftigen Sparbirnen zu unserem Glück gezwungen werden müssen. Oder die Überzeugung, dass alle Zuwanderer nach Deutschland Anspruch auf Hartz IV haben.

Wie bitte? So ist nun mal das EU-Recht? Nun gut, es gab auch mal ein Gesetz, das Homosexuelle ins Gefängnis steckte. Irgendwann hat man gemerkt, dass das vielleicht doch nicht der wahre Jakob ist und man hat es geändert. Es wäre vielleicht keine ganz schlechte Idee, dafür zu sorgen, dass Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien von Hartz IV nicht gleich mehr als das bekommen, was sie zu Hause mit Arbeit verdienen können. Ich jedenfalls finde den Gedanken nicht abwegig.

Wenn das halbe Volk anfängt, den Kopf zu schütteln, sollte man auch in den Führungsetagen, diesen Horten des besseren Wissens, darüber nachdenken, ob man alles richtig gemacht hat. Auch um der eigenen Überzeugung Willen. Das schlimmste wäre ja, wenn Leute das Sagen bekämen, die Europas Staaten wieder einmauern wollen. Sollte das geschehen, dann tragen diejenigen, die dem Volk hochmütig ihr Ohr verweigern, den größeren Teil der Schuld.

Ja, Europas Türen müssen offen bleiben. Aber wie weit man sie von Fall zu Fall öffnet, ist auch eine Frage der praktischen, vielleicht sogar der volkstümlichen Vernunft.

Die volkstümliche Schweiz ist nun dabei, Türen wieder zuzumachen. Das hat dem Rest Europas einen schönen Schock versetzt. Wellen der Empörung über die Fremdenfeinde ergießen sich in die Schweizer Täler. Da kann ich den Empörern nur zurufen: Viel Glück und viel Vergnügen damit!

Ich empfehle statt dessen, ruhig mal einen Besuch an einem Stammtisch zu wagen, dieser Hölle populistischen Banausentums. Man muss ja nicht alles schlucken, was dort verzapft wird. Aber vielleicht kann man doch das eine oder andere Wissenswerte aufschnappen. Womöglich genauso viel wie auf den Cocktail-Partys, auf denen die Leute links plaudern, um dann daheim rechts zu leben.

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Leserpost

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Markus Freuler / 14.02.2014

Lieber Herr Bonhorst, ich bin mit Ihnen in vielen Punkten einverstanden, ein Bild das Sie gebrauchen, ist aber definitiv falsch. Wir haben mit unserer Abstimmung nicht “Türen geschlossen”, wir haben lediglich wieder Türen gebaut, die WIR öffnen oder schliessen können, je nach Bedarf.

Axel Wahlder / 13.02.2014

Die Eidgenossen haben ihre Selbstbestimmung buchstäblich teuer erkauft - 1946, für 250 Mio Chf - und dürfen sie weiterhin genießen. Zu Recht.

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