Wolfgang Röhl / 29.05.2011 / 21:39 / 0 / Seite ausdrucken

Schuss im Dunkeln. Neues von der Qualitätsreportage

Am 11. Dezember 2010 wurde im niedersächsischen Oldendorf das Ehepaar H. in seinem Haus überfallen. Zwei Weißrussen fesselten und knebelten die beiden, erpressten den PIN-Code und räumten Geld von ihrem Konto ab. Der Mann, 50, Zaunbauer, erstickte bei dem Überfall, seine Frau konnte sich befreien. Monate später wurden die Täter – inzwischen in ihr Heimatland abgetaucht - ermittelt, ein Komplize wurde in Stade festgenommen. Die Tat sorgte regional für einiges Aufsehen, wurde aber von den überregionalen Medien kaum beachtet.

Ganz anders liegt die Sache bei einem Überfall, der zwei Tage später in Sittensen stattfand, unweit von Oldendorf. Die Täter, jung und durchweg bereits vorbestraft: zwei türkischstämmige Deutsche, ein Iraker, ein Kongolese und ein Deutscher aus einer Familie albanisch-kosovarischer Herkunft. Ihr Opfer: der 77jährige wohlhabende Rentner Ernst B., der künftig hauptsächlich unter seinem ersten Vornamen „Millionär“ in der Presse auftauchte. Dass er kurz vor der Tat die Fernsehsendung „Wer wird Millionär“ gesehen hatte, machte ihn irgendwie noch millionäriger.

Und was heißt hier Opfer? Dass die maskierten Bandenmitglieder, aus Neumünster angereist, den auf Krücken gehenden Mann zu Boden geschlagen hatten, bis er vor Schmerzen schrie, ihm eine Waffe an den Kopf hielten und ihn in Todesangst versetzten, spielt für Teile der Medien die geringste Rolle. Dass er, als die Alarmanlage losging und die Täter sich vom Hof machen wollten, zu seiner Waffe griff – hatte er in der Zeitung von dem Fall aus Oldendorf gelesen? – und in dem Durcheinander schoss, allein das zählt für Teile der Presse. Denn eine Kugel aus seiner Pistole traf den flüchtenden 16jährigen Labinot S. tödlich in den Rücken. Ob der Überfallene wegen Totschlags angeklagt wird oder ob er straffrei ausgeht, wenn ihm zugebilligt wird, in der Aufregung nur sein Notwehrrecht überschritten zu haben, steht noch nicht fest. Ebenso wenig, ob ein Schuss, den er vor dem Gebrauch seiner eigenen Pistole gehört haben will, tatsächlich fiel oder ob das nur eine Selbsttäuschung beziehungsweise eine Schutzbehauptung ist.

Zeit also für den „Spiegel“, die Dinge schon mal in die richtige Ordnung zu bringen.

Dessen Reporter Bruno Sch., ein klarer Anwärter für den nächsten Henri-Nannen-Reportagepreis, hat in Heft 21 die todtraurige Geschichte von Labinot (fürderhin hauptsächlich mit dem niedlichen Kürzel Lab bezeichnet) auf vier Seiten aufgeschrieben (Titel: „Hey Hase, lebst du noch?“). Er nimmt das Schicksal des einst hoffnungsvollen jungen Menschen zum Exempel, „wie schnell das scheinbar unproblematische Zusammenleben mit Menschen, die längst als integriert galten, umschlagen kann in ein Klima von Zorn, Misstrauen und überwunden geglaubten Vorurteilen.“ Denn dass die 60köpfige Familie aus dem Kosovo unproblematisch in Deutschland wohnte, dass die Mitglieder „sich von Anfang an bemühten, hier Fuß zu fassen“, „sich Jobs suchten“, mithalten wollten mit den Einheimischen, „die so viel Wert legten auf Tugenden wie Fleiß und Tüchtigkeit“, steht für den Spiegel fest.

Grund: die Familie hat das dem Spiegel-Reporter erzählt („Keiner lebt von Hartz IV“). Danach machen alle Familienmitglieder irgendetwas Wichtiges „für die Allgemeinheit“, sind Arzthelfer, Koch, Elektriker, machen das Wirtschaftsabi, besuchen die Realschule. „Sieht so eine Familie aus, die einen Verbrecher großzieht?“ fragt die Migrantengemeinschaft. Die den Rentner mit der Knarre als „Mörder“ betrachtet, sich aber laut Spiegel „nur mit unendlicher Mühe“ vorzustellen vermag, dass ihr Lab „an seinem frühen Ende durchaus Mitschuld trägt.“

Bei ihren Einlassungen war dem Spiegel-Reporter möglicherweise nicht immer ganz wohl. Jedenfalls setzt er ihre Angaben zum Stand der Integration konsequent in den Konjunktiv. Nun wäre es für den Spiegel, der in der selben Ausgabe noch die lächerlichsten Marginalien im Falle Strauss-Kahn auftischt („Strauss-Kahns Frühstück bestand aus einer Minibox Cornflakes, Milch, zwei Scheiben Toast, Onst, Kaffee oder Tee. Mittags gab es auf Rikers Island Gemüsechili mit Reis und Bohnen, zum Abendessen um 17 Uhr wurden Truthahnburger mit Kartoffelstampf gebracht“), natürlich ein Klacks gewesen, die tatsächlichen Lebensumstände des Clans mal ein bisschen zu erhellen. Doch das Magazin hat wie es scheint nicht bei einer einzigen Behörde oder Nachbarsfamilie wirklich nachgehakt, oder es teilt die Ergebnisse solcher Recherchen seinen Lesern zumindest nicht mit - weder im Positiven noch im Negativen. Die Beschreibung der Vita der Großfamilie speist sich offenkundig allein aus der Sicht der Letzteren. Man muss nicht aus der Branche sein, um dieses Vorgehen für schwer journalistenpreisverdächtig zu halten, besonders im Lichte des jüngsten Skandals um den Artikel eines anderen Spiegel-Reporters.

Hätte eine etwas weniger günstige Integrationsleistung der Zugereisten womöglich die These wackelig werden lassen, die der Artikel verfolgt? Die These geht so: der junge, etwas labile Lab war eigentlich ein Pfundsjunge, bis er etwa vor Jahresfrist anfing, den Seinen unerklärlicherweise aus dem Ruder zu laufen („die Mutter war oft überfordert“). Im Artikel liest sich das so: „Nachts ist Lab oft unterwegs, mit Freunden, die meist aus Einwandererfamilien stammen, sich aber nicht wie ihre Eltern widerspruchslos anpassen wollen an die deutsche Gesellschaft. Jugendliche, die sich oft ausgegrenzt und an den Rand gedrängt fühlen, die nach einer eigenen Identität suchen, eigene Rituale entwickeln, eine eigene Sprache sprechen.“ Wie sich jene Sprache konkret anhört, verrät uns der Artikelschreiber nicht. Wahrscheinlich nimmt er an, dass sie den meisten Lesern inzwischen wohlvertraut ist.

Und weiter im Text geht´s mit Labs unglücklichen Lebensumständen. Lernt in der Disco vier neue Kumpane kennen (schlechte Gesellschaft!), die wiederum von einer jungen Frau, mit welcher der rüstige Rentner verkehrt hatte, auf den Dreh mit dem Überfall gebracht wurden oder gebracht worden sein wollen. Was kann der Lab dafür, das arme Würstchen? „Er hatte die Enge satt, das kleine Zimmer, das er sich mit seinen Brüdern teilen musste, und die Provinzstadt Neumünster sowieso.“ Hätte Lab, als Mitglied einer tadellos integrierten Familie, nicht das verdammte Recht gehabt, vier Zimmer im aufregenderen Hamburger Schanzenviertel oder am quirligen Prenzlauer Berg zu bewohnen?

Ganz am Rand, als kurzer Schlenker ins Reale, erfährt der Spiegel-Leser, dass der Lab wohl doch kein völlig unbeschriebenes Bübchen war. Am Tatmorgen „müsste er eigentlich ins Tierheim zum Sozialdienst, zu dem er wegen diverser Straftaten verdonnert wurde.“ Wie viele und was für Straftaten das waren und wann er damit angefangen hatte, dieser erst 16jährige, sagt uns der Spiegel leider nicht. Dafür erfahren wir ein paar Seiten später in der Titelgeschichte zum Fall Strauss-Kahn, dass der Banker in einer Luxussuite des Sofitel-Hotels an New Yorks 44. Straße wohnte, „wo im Nachbarhaus der verrückte Koch des ´db Bistro Moderne´ schwarze Trüffel über Hamburger hobelt, die mit Entenstopfleber gefüllt sind.“ Wer detailmäßig von seinem publizistischen Sturmgeschütz derart verwöhnt wird, darf der noch nach irgendwelchen piefigen Straftaten armer Migrantensöhne fragen?

Jedenfalls hat das Opfer beziehungsweise der Täter (Spiegel: „Ernst B., seit vielen Jahren Jäger und Waffenscheinbesitzer, ist nicht so hilflos, wie es scheint“) jetzt eine Menge Ärger an der Backe. Der Spiegel ist da noch das geringste Übel. Schlimmer, ihm klebt ihm der Clan im Nacken, der die mittlerweile die geneigte Presse zum Photoshooting mobilisiert, Mahnwachen an einer improvisierten Gedenkstätte für den Lab hält und dem Rentner via Spiegel durch einen Onkel wissen lässt, er, der Onkel, „sehe schwarz“, wenn es zu keiner Verhandlung käme. Der Spiegel, sonst gern mal zu folkloristischen Erläuterungen aufgelegt, belässt es dabei, ohne auf traditionelle albanisch-kosovarische Gepflogenheiten einzugehen.

Die Familie ist schließlich tadellos integriert.

Und dann ist da noch ein Rechtsanwalt der Familie, der Druck macht. Er hat den niedersächsischen Justizminister Bernd Busemann aufgefordert, den Fall zur „Chefsache“ (Spiegel) zu machen und seine Staatsanwälte anzuweisen, Ernst B. in jedem Fall anzuklagen. Doch nicht dieses jecke Begehren eines deutschen Anwalts, der entweder die hiesigen Gesetze lernen oder sich gleich einen Job als Sozialarbeiter suchen sollte, findet der Spiegel bemerkenswert. Dafür das Gerechtigkeitsgeraune des Anwalts: „Aber auch er stellt sich die Frage: Wie würde die Justiz reagieren, wenn der Schütze Ali oder Fitim hieße und der Getötete Manfred oder Michael?“

Das kann ich beantworten, da ich regelmäßig Zeitungen lese. Also, wenn der Täter Memet oder Aleksander oder Ahmed hieße (meinetwegen auch Malte-Thorben) und hübsch jung wäre und noch nicht mehr als sagen wir 30 Straftaten auf dem Kerbholz hat, dann dürfte er, hätte er geschossen und die Dinge wären noch unklar, nach den Vernehmungen nach Hause zu seiner hervorragend integrierten Familie spazieren und auf seinen Prozess warten. Und wenn der Prozess in anderthalb Jahren oder so dann wirklich stattfände, würde Memet, Aleksander, Ahmed oder Malte-Thorben vermutlich ein Bewährungssträfchen sowie ein paar Arbeitsauflagen kriegen.

Irgendwas mit Tierheim vielleicht?

 

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