In Berlin ist noch keine Flocke Schnee gefallen – und trotzdem schon Winter. Zumindest bei der S-Bahn. Seit Tagen fallen Züge aus, der zahlende Fahrgast erfährt es, immerhin, per Schild-Anzeige: „Zugausfall“, manchmal schiebt das Unternehmen noch eine Lautsprecheransage, möglichst ohne Nennung der Dauer der Verspätung (dies fiele ja unter Service!), nach. Manche Fahrgäste mussten in den vergangenen Tagen bis zu 50 Minuten auf ihren Zug warten, aber wir Fahrgäste zeigen uns routiniert-verständnisvoll und helfen einem Unternehmen in Schwierigkeiten gern. Umgekehrt ist das leider nicht der Fall: Ich bin seit Jahren Abonnement-Kundin und bekomme die Tickets jeweils für ein halbes Jahr im Voraus zugeschickt. Nun passierte, was passieren kann, ich habe mein Novemberticket verlegt, es ist spurlos verschwunden, ich bat das Unternehmen um ein Ersatzticket. Weil es schnell gehen sollte, per Mail.
Schon nach ein paar Tagen kam die Information, dass es kein Ersatzticket gäbe, und im übrigen – kein Service ohne Kundenbelehrung! – stünde das ja in den Geschäftsbedingungen. Mein Verständnis für die Berliner S-Bahn ist, schon vor der ersten Schneeflocke, unter Null. Nun bezahle ich im November doppelt, Strafe muss sein. Insgesamt macht das 74 Euro für das Monatsticket und – addiert zum verlorenen, bereits per Bankeinzug bezahltem Abo-Ticket – rund 130 Euro. Ich finde, das ist ein bisschen viel Geld für miesen Service. Alternativen habe ich keine, da meine pekuniäre Lage weder für einen Hubschrauber noch für einen Limousinenservice taugt.
Dafür wurde aufgeräumt! Mit Skepsis las ich in den vergangenen Wochen, dass man sich bei der BVG entschlossen habe, auf Wunsch vieler Kunden einmal besonders gründlich die Bahnsteige zu reinigen. Ich habe es für mich unter „Prä-Winter-Schleimerei“ abgelegt, denn bestimmt ahnten die S-Bahn-Experten da schon, dass es bald Ärger mit dem Fahrplan geben würde. Die Experten hätten besser in die Wintervorbereitungen investiert, schon jetzt fehlt Sand für die Bremsanlagen. Es kann doch wirklich nicht so schwer sein, ausreichend Sand zu bestellen. Denkt man sich so, am S-Bahnsteig stehend, den durchfahrenden, nicht haltenden Zügen (Sonderzüge? Nach Pankow?) nachschauend. Aber wer weiß, wo diese Leute den Sand bestellen? In der Karibik? Auf den Seychellen? Vielleicht wurde der Tanker entführt und die Geschichte wird unter Verschluss gehalten, weil man in Berlin derzeit eh schon genügend Ärger mit Piraten hat?
Für Nicht-Berliner: Kauft man in Berlin ein S-und U-Bahn-Ticket, steht BVG drauf. Gibt es Probleme mit der S-Bahn (die zum Unternehmen Bahn gehört), können Sie sicher sein, dass man Ihnen bei der BVG mitteilen wird: „Mit der S-Bahn haben wir nichts zu tun!“ Und umgekehrt. Kürzlich hielt eine S-Bahn rund zehn Minuten in einem Bahnhof, in der neunten Minute kam eine Ansage, dass es ein wenig länger dauern würde. In der Zwischenzeit waren, keiner weiß warum, auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig zwei Züge eingefahren, die in die selbe Richtung fuhren. Man hätte bequem umsteigen und schneller am Ziel angelangen können- hätte man das nur gewusst. Ein paar Leute regten sich massiv auf.
Die S-Bahn hat in Berlin erstaunliches Glück: Gemessen an den Reaktionen, die Berliner sonst auf Bahnsteigen an den Tag legen, reagieren die wartenden Passagiere erstaunlich ruhig. Schlägt der enthemmte Berliner leider gern auch ohne Grund zu, wird der um seine Würde betrogene Fahrgast meistens seltsam ruhig. Er leidet still. Die Frage ist, wie lange noch. Ich wäre ja für eine Bahnsteig-Demo oder einfach mal sitzenbleiben und nicht aussteigen – solche Aktionen hatten ja auch schon in Flugzeugen Erfolg. Dazu Live-Berichterstattung via Youtube, Twitter, das Übliche. Immerhin eine Million Fahrgäste transportiert das hilflose Unternehmen täglich. Da geht was!
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de