Richard Wagner / 17.04.2011 / 08:57 / 0 / Seite ausdrucken

Schattenmacher Westerwelle

Dass die NATO auch ohne Deutschland auskommt, muss man leider nicht erst beweisen. Die Sache ist um so bedenkenswerter, weil man daraus schließen könnte, dass Deutschlands Beitrag zum Bestand des Westens weiterhin als unerheblich gelte, dass man also behaupten könnte, Deutschland spiele keine Rolle in der westlichen Welt.

Hat sich der Sonderweg noch immer nicht erledigt? Glaubt denn wirklich jemand noch, man könnte sich eine Nische außerhalb der westlichen Welt einrichten, ohne dem Rest des Planeten und seinen Unwägbarkeiten ausgesetzt zu sein? Warum denkt, wer dies glaubt, nicht an die tatsächlichen Folgen von Sonderweg und Drittem Weg und all dem hilflosen Kram der Nachkriegszeit, also von gestern und vorgestern?

Zumindest sorgt das Thema immer noch für Popularität, und das Wissen darüber für eine populistische Haltung. Kann es aber sein, dass es mittlerweile einen Populismus gibt, der ohne Gefolgschaft auskommt? Kann es sein, dass die Politik sich soweit von der Realität entfernt hat, und der Bürger ebenso weit von sich selbst, dass ein solcher Populismus in der medienbestimmten Öffentlichkeit allein durch das Ritual und seine Rhetorik zu funktionieren vermag?

Solche Fragen stellen sich einem angesichts der libyschen Tänze unseres Außenministers Westerwelle, der um ein Haar die Bundeswehr zum Roten Kreuz erklärt hat, und die Bundesrepublik insgesamt zum Samariter, zuständig für die Wunden der Welt, die dieser von den NATO-Partnern eventuell zugefügt werden. Ist Westerwelle tatsächlich Außenpolitiker, oder ist er bloß ein Genie?

Er ist vor allem anderen ein Meister des politischen Überlebens. Zum einen ist seine Karriere eine der banalsten in der deutschen Parteienlandschaft, zum anderen ist er der Urheber und Protagonist einiger besonders spektakulären Peinlichkeiten der Staatsbühne.

Wenn man die Sache genauer betrachtet, muss man sagen, Westerwelles Erfolgsstrategie besteht darin, alle Prinzipien seiner Partei ad absurdum zu führen. Er hat die Grundsätze der FDP zu Themen der Spaßgesellschaft gemacht. Zugute kommt ihm dabei, dass die Partei mehr von ihrer Vergangenheit lebt, als von der Gegenwart. Dass alles, wofür sie steht, nur noch Währung ist, und nicht zuletzt, dass die drei divergierenden historischen Strömungen der Partei im Paket erscheinen. Die FDP ist nationalliberal, wirtschaftsliberal und linksliberal, zumindest ist sie das alles einmal gewesen.

Westerwelle hat dem zwar keine vierte Strömung hinzugefügt, aber er hat dem Vorhandenen jeweils die Form des Events gegeben. So wurde das Linksliberale zum Coming-out, das Wirtschaftsliberale zum Vergleich von Hartz IV mit der spätrömischen Dekadenz. Das Nationalliberale wiederum gab den Anlass zu diversen Sprüchen über die NATO und den Krieg, zur pazifistischen Geste. 2009 verlangte er sogar den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland.

Das eigentlich Kuriose an der Sache ist, dass die Öffentlichkeit in Deutschland ihn für einen erfolgreichen Politiker hält. Man bescheinigt dem Mann einen rauschenden Wahlsieg, wenn er kaum mehr als 1% plus einfährt, und dass er mal 18% anvisierte, hält ihm kein Mensch vor, es stand ja bloß auf seiner Schuhsohle. Hat die FDP ihren Parteiführer als Vorsitzenden vorerst los, so muss die Außenpolitik weiterhin mit seiner Zuwendung leben.

Wahr ist aber auch, dass die schon traditionell totgesagte FDP keineswegs verschwinden wird und Westerwelle wird sich auch wieder an ihrer Spitze robben. Warum das so ist, und warum es zwangsläufig so ist? Die FDP ist gar keine Partei, sie ist bloß ein politischer Faktor. Sie lebt von der sogenannten Zweitstimme. In Deutschland wählt man nicht die Regierung sondern die Regierungskoalition. Der Machtfaktor FDP repräsentiert zwar nichts, er sorgt aber dafür dass seine Klientel angemessen vertreten ist.

Könnte es aber sein, dass es diese Klientel vielleicht gar nicht mehr gibt, dass sie nur virtuell noch existiert? Hat nicht im der deutschen Öffentlichkeit das Virtuelle längst über das Reale triumphiert? Uns regieren längst nicht mehr politische Parteien, uns regiert eine politische Religion. Es ist die politische Religion des Pazifismus und der Ökologie, des Wohlgefühls und des Gesundbetens. Dabei reiten uns zwar nicht mehr die Prinzipien, aber ihre Schatten.

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