Silvia Meixner / 24.08.2011 / 19:40 / 0 / Seite ausdrucken

Reisen im 21. Jahrhundert

Ohne Kutsche oder Privatjet ist Reisen im 21. Jahrhundert immer wieder eine Herausforderung. Ich fahre neuerdings gern per Mitfahrgelegenheit, denn erstens ist es günstiger als Bahnfahren und zweitens kann man nette Menschen kennenlernen, die man sonst niemals treffen würde. Mal klappt das Reisen mit dieser Methode besser, mal schlechter.

Berlin-Hamburg war diesmal eher schlechter, denn der Fahrer ließ uns eine halbe Stunde an einer Weddinger Tankstelle warten, das Wort „Entschuldigung“ kam ihm nicht über die Lippen, der verschrammelte Bus war ziemlich ungepflegt und es roch sehr nach nassem Hund. Als auf der Fahrt draußen ein Wolkenbruch war, machte das den Geruch nicht besser. Lichtblick war der Neuseeländer, der Musiker ist, für ein paar Monate in Berlin lebt, und bis morgens um halb fünf betrunkene Touristen (im Rahmen des Beschäftigungsprogramms für hirnlose, saufwillige Reisende auch „Pub crawling“ genannt) durch die diversen Kneipen von Mitte gezerrt hatte. Er verfiel alsbald in Tiefschlaf.

Auf den Rückruf der Frau, mit der ich den genauen Treffpunkt für die Rückfahrt vereinbaren wollte, warte ich noch. Ich nahm also spontan den Zug, und da ich herausfinden wollte, ob ich wohl ein bisschen sparen könnte, betrat ich frohgemut das Service-Center der Deutschen Bahn. Meine Laune wurde noch besser, als ich einen Mitarbeiter erblickte, der allein an seinem Schalter saß. Mein Glückstag! Keine Warteschlangen, wie machen die das neuerdings, wunderte ich mich, in Gedanken versunken. Da sah ich das schadenfrohe Gesicht des Bahnmitarbeiters, der hinter seinem Computer thronte. „Sie müssen eine Wartenummer ziehen!“, teilte er mir mit. Wartenummer? Bin ich beim Einwohnermeldeamt?

Da erblickte ich all die Menschen, die auf roten Sofas, die bahnintern vermutlich als chillig und besonders trendy gelten, Platz genommen hatten. Sie saßen da und warteten auf den Aufruf ihrer Nummer. Nur eine Frau war genauso erstaunt wie ich und schimpfte über die Bahn. Alle anderen schienen die Wartenummern-Nummer nicht schlimm zu finden, woraus ich schließen muss, dass diese Leute entweder sehr viel Zeit haben, gern auf scheußlichen roten Sofas sitzen oder schlichtweg blöd sind. Da mein Zug innerhalb der nächsten 18 Minuten fahren sollte, entschied ich mich für den Automatenkauf. Bis man sich da zu den Sonderangeboten durchgeklickt hat, ist der Zug schon in Wanne-Eickel. Also 70 Euro für die eineinhalbstündige Strecke Hamburg-Berlin. Ich finde, das ist Wucher. Kürzlich habe ich gelesen, dass die Bahn ihren sogenannten Service künftig weiterhin einschränken will. Schon gelungen!

Der Zug hatte Verspätung, ich finde die schriftliche Infotafel-Ankündigung von „einigen wenigen Minuten“ unverschämt. Möglicherweise wurde es auch per Lautsprecher mitgeteilt, leider versteht man auf deutschen Bahnhöfen die Ansagen so gut wie nie. Auch während der Fahrt gab es irgendwo offensichtlich technische Probleme, der Zug kam deshalb 15 Minuten zu spät in Berlin an, eine Frauenstimme erklärte dies so: „Leitungsklrrxxrxx“. Die Lautsprecherqualität in den Zügen ist leider ebenfalls bescheiden, auch hier ratlose Gesichter. Die Menschen können zum Mond fliegen, warum installiert man statt vermutlich teuren Wartenummernautomaten nicht einfach ein Lautsprechersystem, das funktioniert? Vermutlich, weil es guter Service wäre. Die gute Nachricht: Es gab unterwegs weder kaputte Klimaanlagen noch Glatteis.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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