Heute fange ich mal mit Schiller an, damit diese Betrachtung ein bisschen Gewicht bekommt. Ich lasse mich von seiner Rede über das Theater als moralische Anstalt (eigentlich: die Schaubühne als moralische Anstalt) zu ein paar Bemerkungen über das Fernsehen als moralische Anstalt anregen.
Mein aktueller Anlass war eine TV-Komödie namens: „Wie angelt man sich seine Chefin?“ Das Stück weckte Erinnerungen an das Jahr 1953 und den Hollywood-Film mit dem Titel: „Wie angelt man sich einen Millionär?“
Das war noch die alte Welt mit klaren, traditionellen Verhältnissen. Die Millionäre waren Männer, die Anglerinnen waren Frauen, und was für welche: Marilyn Monroe, Betty Grable und Lauren Bacall. Heutzutage zeigt uns die moralische Fernsehanstalt ein anderes Frauen- und Männerbild: Sie ist die Chefin, er ist ihr Mitarbeiter.
Und sie, die Chefin, ist längst nicht mehr allein. Inzwischen wimmelt es im Fernsehen von kommandierenden Frauen. Bleiben wir bei Schiller: Wer zählt die Kommissarinnen, nennt die Namen, die zur Mordaufklärung zusammenkamen? (In den hier anklingenden „Kranichen des Ibikus“ geht es passenderweise auch um einen Mord und seine Aufklärung. Aber das nur am Rande) Ich komme mühelos auf mehr als ein Dutzend Kommissarinnen und Hauptkommissarinnen. Und ich würde mich nicht wundern, wenn demnächst ein männlicher TV-Polizist fragte: Bin ich hier der Quotenkommissar?
Ich finde das alles ganz prima. Aber bleiben wir bei der moralischen Anstalt und fragen wir: Hat ein solches Fernseh-Frauenwunder den erhofften frauenfreundlichen Einfluss auf die berufliche Wirklichkeit? Da müssen wir uns wohl ein bisschen gedulden. Noch hätte die Kriminalpolizei große Mühe, eine solche Frauenquote zusammenzubringen. Immerhin gibt es inzwischen wenigstens Chefinnen.
Ich muss in diesem Zusammenhang aber immer daran denken, wie das amerikanische Fernsehen in den siebziger Jahren dem Rassismus den Kampf angesagt hat. Damals war die Bill-Cosby-Show das erzieherische Mittel der moralischen Fernsehanstalt. Die Show zeigte mit riesigem Erfolg eine ausgesprochen gutbürgerliche Familie mit schwarzer Haut. Heute ist unbestritten, dass diese Serie das Bild der Weißen von den Schwarzen und das der Schwarzen von sich selbst nachhaltig korrigiert hat. Vielleicht schaffen die Fernseh-Kommissarinnen etwas Ähnliches. Sie arbeiten ja hervorragend. Ihre Aufklärungsquote beträgt meines Wissens hundert Prozent.
Und Schiller? Was würde er heute tun? Würde er „Die Räuber“ fürs Fernsehen schreiben? Denkbar wäre es. Ob er aber sein Stück „Die Räuberinnen“ nennen würde, bezweifle ich.