In Sewastopol haben statistisch 123% der Einwohner für die Abtrennung der Krim gestimmt. Laut dem Vorsitzenden der Wahlkommission der Werchowna Rada der Krim, Mychajlo Malyschew, beteiligten sich in Sewastopol 474.137 Personen an dem Referendum. Nach Angaben der statistischen Webseite Sewastopols zählte die Stadt Ende letzten Jahres 385 462 Einwohner, Kinder eingeschlossen. Danach haben 123 % der Sewastopoler für den Anschluss an Russland gestimmt – Babys, Schüler und wahrscheinlich auch Tote. Das nennt man vorbildliche Planerfüllung! Aber viele Medien sind sich nicht zu blöde, von einem “überwältigenden Votum” der Krimbevölkerung zu sprechen. Dass auch die vierzig Prozent ukrainischer oder tatarischer Herkunft für ihre Ausbürgerung gestimmt haben sollen, stört keinen großen Geist: offenbar besteht die Krim nur noch aus großrussischen Nationalisten.
Putin hat Angst vor dem Volk. Doch die westlichen Staaten haben diese Angst möglicherweise noch in viel höherem Maße. Die Regierungen haben vor den echten Willensbekundungen der Menschen eine Riesenangst. Sie wissen selbst am besten, welche Fehlentscheidungen sie jeden Tag treffen, und sie wissen, daß das Volk die meisten nicht billigt. Kohl sagte, wenn er über den Euro hätte abstimmen lassen, wäre das Ergebnis eindeutig dagegen gewesen. Cameron kennt das Ergebnis einer eventuellen Abstimmung über einen Ausstieg aus der EU. Deswegen gab es bisher keine und wird es vielleicht auch keine. Die Abstimmung der Schotten macht Angst, die Abstimmung in Venedig und Venetien, die bis zum Donnerstag stattfindet, über den Verbleib in Italien, Nato und EU macht soviel Angst, daß in keiner deutschen Zeitung darüber berichtet wurde. Die Abstimmung auf der Krim läßt die Demokratie- und Freiheit-Lippenbekenner schäumen vor Wut. Das Völkerrecht wird vorgekramt, wenn es zu verhindern gilt, daß Völker über ihr Schicksal entscheiden. Bei den souveränen Entscheidungen der Schweizer über Minarette und kannte das imperialistische Gegeifere der EU und Deutschlands kein Maß. Putin gab zu, daß er eine gelenkte Demokratie betreibt. Er ist damit ehrlicher als die westliche Propaganda. Das einstimmige, einseitige und hemmungslose Eindreschen der angemaßten Deutungshoheiten auf die Menschen hat sicher viele mehr zum Nachdenken gebracht, wie unsere sogenannte Demokratie funktioniert. Und vielleicht hat Schröder auf seine seltsame Weise doch Recht gehabt. Putin ist ein lupenreiner Demokrat wie die anderen auch. Er muß nur noch an seiner Werbebotschaft und seinen Propagandamethoden arbeiten. Aber ich glaube, er macht dabei bereits Fortschritte.
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