Cora Stephan / 24.12.2014 / 12:49 / 12 / Seite ausdrucken

Populisten, Pöbel und Politiker

Reden wir mal nicht vom „Wutbürger“, von „Nazis in Nadelstreifen“, von kindlichen Gemütern, die Rattenfängern nachlaufen, welche dumpfe und krude Thesen verbreiten, von Ängstlichen und Verwirrten, von den Populisten und dem Pöbel. Reden wir statt dessen von pöbelnden Politikern. Vom Wutpolitiker.

Was sich da in den letzten Tagen über fast 20 000 unter der ungewöhnlichen Parole „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ demonstrierende Menschen in Dresden ergießt, Menschen, von denen man im Einzelnen gar nichts weiß, könnte man, wenn man pathetisch wäre, den Untergang politischer Gesprächskultur in diesem Lande nennen. Hier wird nämlich nicht mehr gesprochen, sondern nur noch gespuckt und gespien – was man offenbar darf, wenn es sich um Nazis handelt, weshalb es sich empfiehlt, die zu maßregelnden Bürger vorwegnehmend gleich als solche anzusprechen.

Ganz altertümlich gesagt: das gehört sich nicht. Es beendet jede Diskussion. Und wenn man sich fragt, was SPD-Genossen wie Thomas Oppermann und Ralf Jäger reitet – ganz zu schweigen von Finanzminister Schäuble, der den politischen Gegner zur „Schande für Deutschland“ erklärt – dann liegt die Antwort womöglich genau hier: man will die Diskussion gar nicht erst zulassen.

Das gilt auch für jene, die sich verständnisvoll herabbeugen wollen zum dummen Volk, dem man dieses oder jenes einfach besser erklären müsse. Denn auch sie schweigen von den eigenen Versäumnisse, über die das dumme Volk längst belehrt ist, sie sind ja nicht zu übersehen: Wenn Zuwanderung eine Bereicherung sein soll, muss das Einwanderungsland sie steuern können. Zu einem Einwanderungsgesetz aber hat man sich bislang nicht durchringen können. Dass integrationsunwillige Gemeinschaften mit zunehmender Anspruchshaltung keine Bereicherung sind, kann man schwerlich leugnen. Und dass es einheimische Gemeinden gibt, die gern Flüchtlingen in Not helfen wollen, aber nur zehn unterbringen möchten, weil fünfzig sie überfordern würden, weist ebenfalls nicht auf Ausländerfeindlichkeit verstockter Einheimischer hin, sondern womöglich nur auf eine realistische Einschätzung der Lage. Der moralische Appell an angeblich ausländerfeindliche Deutsche verdeckt im übrigen, dass wir von einer vernünftigen gesamteuropäischen Handhabung des Flüchtlingsproblems weit entfernt sind.

Auch das Argument, in Dresden gäbe es doch kaum Muslime, warum man sich also vor einer Islamisierung fürchte, unterstellt, dass der Normalbürger nicht über den Tellerrand hinausschauen kann. Hat nicht auch Angela Merkel erst durch eine Erdbebenkatastrophe im fernen Japan gelernt, sich vor Atomkraft zu ängstigen?

Wer den Vormarsch islamistischer Fanatiker zur Kenntnis nimmt, kann kaum anders als Furcht empfinden: vor Terroristen, die im Namen ihrer Religion Kinder massakrieren, Geiseln enthaupten, Frauen steinigen, und das auch noch gern vor laufender Videokamera. Und sollte nicht auch der sich fürchten dürfen, der es unerträglich findet, wenn auf deutschen Straßen muslimische Demonstranten antisemitische Parolen grölen? Ich gestehe, dass mich das weit mehr abstößt als die paar Ultrarechten, die in Dresden mitlaufen mögen.

Dass hier „Ängste“ eine Rolle spielen, gern auch diffuse, ist keine Frage: doch sind sie nicht sonst stets willkommen? Vorm Klimawandel darf man sich fürchten, ja, man muss es sogar, sonst gibt es keine Rechtfertigung für die enormen Kosten der verfehlten deutschen Energiepolitik. Auch vorm Atom, vor dem Kapitalismus, vor den Finanzmärkten darf man Angst haben - solange die Teilnehmer etwa an „Occupy“ jung sind und moralisch überlegen auftreten, gelten sie als mutige Widerständler. Was aber sind die Mittelbürger auf Dresdens Straßen? Klar: rückwärtsgewandte Dummköpfe.

Das Vertrauen in Politik und Medien ist nicht erst seit gestern erschüttert und die „Alternative für Deutschland“ ist nicht vom Himmel gefallen, ebenso wenig die Niederlage der FDP: auch hier hat die Behauptung, wer Argumente gegen den Euro vortrage, votiere gegen „Europa“, zum Ende der Diskussion geführt, jedenfalls im Bundestag. Das ist autoritäre Konsensdemokratie, die zum Widerstand geradezu herausfordert.

Und im übrigen: die ärgsten Populisten sind jene „Volksparteien“, die große Mehrheiten brauchen, also viele Wähler, bei denen sie sich populär machen müssen – mit teuren Wahlgeschenken.

Eines scheint gewiss: Der Trick hat sich verbraucht, alles unter Naziverdacht zu stellen, was vom Parteienkonsens abweicht. Der Bürger hat das Spiel durchschaut: es ist ein Ablenkungsmanöver.

NDR Info,  Die Meinung, 21. Dezember 2014

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Leserpost

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Bärbel Schmidt / 26.12.2014

Liebe Cora Stephan, als ich Ihren Kommentar noch im Bett im Radio hörte, dachte ich erst, dass ich noch träume. Nun kann ich wieder hoffen, dass der ÖR noch reformierbar ist. Danke - auch an den NDR 3 Verantwortlichen - für dieses schöne Weihnachtsgeschenk! Herzliche Glückwünsche für 2015

Justus Kling / 26.12.2014

Vielen Dank für diese ehrlichen und klären Worte! Gesegnete Weihnachten für Sie und Ihre Familie.

Florian Gehrke / 25.12.2014

Pegida ist die eine Sache, die andere ist die hysterische Reaktion der politischen Klasse auf Pegida. Meine Vermutung: Nach 30 oder mehr Jahren der politisch-korrekten Indoktrination fürchtet diese Klasse, die Deutungshoheit über die politischen Ereignisse zu verlieren. Letztendlich geht es gar nicht um die Flüchtlinge, sondern um das, was PC schon immer bezweckte: Im innerpoltischen Machtkonflikt durch sprachliche Regulierungen eine Position der “moralischen Überlegenheit” zu gewinnen und so den Gegner zu diskreditieren.  Auf Realität kommt es dabei nicht an. Die Flüchtlinge müssen in diesem grausamen Spiel nur für das herhalten, was Helmut Schelsky in den 70ern als das “geborgte Elend” bezeichnete. Man lese noch einmal Seite 84 ff in seiner herrlichen Polemik “Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen. Opladen 1975” nach. Ich wünschte, Cora Stephan würde dazu noch mehr Erhellendes beisteuern…

Rolf Krahmer / 25.12.2014

Danke, liebe Cora, jetzt kann ich wieder ein wenig mehr an ehrlichen, berichtenden Journalismus glauben. Für Ihre berufliche Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute.

Walter Schmidt / 24.12.2014

Wie immer grossartig! Danke. Leider muss man feststellen, dass der Westeuropäer (als Art) nur noch vom Konsumtrieb motiviert wird. Die Anderen (Fortpflanzungs- und Selbsterhaltungstrieb) sind degeneriert. Ideologischer Linksdruck in der Gesellschaft (Sozialismus=Niedergang) seit der 60-ger Jahren könnte die Ursache sein. Das Aufbegehren in Dresden ist eher ein Beweis dafür. MfG

Stephan Marienfeld / 24.12.2014

Das erstaunlichste an diesem Kommentar ist ja, dass er im NDR veröffentlich werden konnte. Gibt es Hoffnung auf Meinungsvielfalt oder hat da nur jemand massiv gepennt ??

Frances Johnson / 24.12.2014

Alle Achtung, Frau Dr. Stephan! Ihnen und Frau Lengsfeld gebürt Hochachtung für freie und logische Rede. Am wichtigsten erscheint mir die Passage, in der Sie darauf hinweisen, dass wir die Einzelnen aus Pegida nicht kennen, und dass die Gruppe inhomogen ist, aber pauschal verunglimpft wird. Sie haben sehr Recht, das hat keinerlei Kultur. Apropos Weihnachtslieder, auch von Frau Lengsfeld und Herrn Broder thematisiert: Es wäre durchaus eine ausgestreckte Hand gewesen, wenn Muslime auf die Straße gegangen wären und für die verjagten Christen des Irak Weihnachtslieder gesungen hätten. Es bieten sich hier genügend Lieder an, die weniger das Heilige betonen als das Fröhliche, Freundliche. Es muss ja nicht Gloria, in excelsis Deo sein. Das ist Blindheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Christen und Jesiden im Irak. Ein israelisches Lied stünde uns, der Nation, die alle Juden Europas, die nicht geflüchtet waren, getötet haben, besser an, denn Israel ist nötig als Safe Haven für weltweit Geschmähte und Verfolgte, wobei wir China, das ihnen in den schweren Jahren Zuflucht bot, und Japan ausnehmen sollten. Statt dessen aber sollen wir ein muslimisches Lied singen, nit welcher Begründung, zumal es muslimische Weihnachtslieder nicht gibt? Und wofür? Für Muslime, die auf der Straße antisemitische Sprüche skandieren, Juden selektieren, für Christen und Jesidenminoritäten im Irak kein Mitgefühl übrig haben und diese in deutschen Asylantenheimen, wo sie auf Kosten europäischer Steuerzahler wohnen, angreifen? Noch nie solche Absurditäten gehört wie in den letzten zwei Wochen. Das macht einen als mittleren, wohl konservativen, aber meist moderaten Bürger höchst ärgerlich, und das höre ich häufig. Frohe Weihnachten an Sie, Frau Lengsfeld und achgut.

Max Wedell / 24.12.2014

Die Amtseide enthalten in Deutschland auf Bundes- sowie mancher Landesebene (z.B. auch in Sachsen) die Formel: “Ich schwöre, daß ich [...] Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.” Nun hat nicht jeder Politiker diesen Amtseid geschworen, der sich zu Pegida äußerte, aber einige eben doch. Daß die auch von Frau Stephan für bedenklich gehaltenen Zuschreibungen durch diese Politiker Ergebnis einer Ausübung einer Gerechtigkeit gegen die Pegida-Demonstranten sind, mag ich irgendwie nicht glauben… denn Gerechtigkeit kann nicht mit Unterstellungen operieren, und sie sollte auch Übertreibungen und Verzerrungen dringend vermeiden. Mit anderen Worten, wenn Politiker so etwas schwören, scheint das nicht unbedingt auch Auswirkungen haben zu müssen. Kann man das dann nicht weglassen? Der Amtsantritt könnte doch beschleunigt werden, indem man ihn von überflüssigem Zierrat wie diesen offensichtlich leeren Formeln befreit!

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