Wolfgang Röhl / 20.06.2010 / 18:44 / 0 / Seite ausdrucken

Platz da. Politik mit Handicap

Zum Glück gibt es nicht mehr viele Leute, die Vorurteile gegen Behinderte haben. Die noch immer welche hegen, hängen sie meist nicht an die große Glocke. Es gibt aber ein zuverlässiges Mittel, nicht behinderte gegen behinderte Menschen aufzubringen. Das ist die wundersame Mehrung der Behindertenparkplätze.

Dabei geht es nicht um jene Stellplätze, die manchen Behinderten vor ihren Wohnungen zur Verfügung stehen und auf denen nur sie ihr Auto mit einem nummerierten Parkausweis parken dürfen. Solche Plätze werden intensiv genutzt, und zwar nicht oft von Unberechtigten. Es hat sich herum gesprochen, dass illegal auf Behindertenplätzen parkende Autos ruckzuck abgeschleppt werden können. Worauf man sie für ein Heidengeld aus dem Autoknast freikaufen muss. Was sehr in Ordnung ist…

Nicht in Ordnung finden viele Autofahrer, dass unspezifizierte Behindertenparkplätze, zumal in den Großstädten, wie Pilze aus dem Boden schießen. Plötzlich sieht man überall neue. Und nie sah man so viele, die den lieben langen Tag frei bleiben. In der Hamburger Innenstadt radele ich an einigen Plätzen regelmäßig vorbei. Und finde sie ebenso regelmäßig unbesetzt. Wo ist ihre Klientel? Will die etwa gar nicht in den teuren City-Läden shoppen? Vor öffentlichen Gebäuden, etwa Behörden oder Büchereien, sind ganze Reihen für behinderte Autofahrer reserviert. Kaum je sind mal alle Plätze besetzt. Öfter verhält es sich so, das höchstens ein oder gar kein Auto darauf steht. Warum? Haben Behinderte nichts auf Behörden zu tun? Lesen Sie keine Bücher? Einzig vor Ärztepraxen oder Krankenhäusern scheinen Plätze mit dem Rolli-Piktogramm einigermaßen ausgelastet.

Offenbar besteht da eine kräftige Überversorgung. Ein Parkplatzbeschaffungsprogramm auf Teufel-komm-raus. Vielleicht gut gemeint, sicher schlecht durchdacht. In vielen Behörden, zum Beispiel, gibt es inzwischen dank Internet weit weniger Publikumsverkehr als früher. Welcher Schwerbehinderte – und nur er bekommt einen blauen Parkausweis – hat Lust, sich über Amtskorridore zu quälen, wenn er seine Angelegenheiten auch online erledigen kann?  Logischerweise nimmt auch der Bedarf an Behindertenparkplätzen vor Behörden ständig ab. Aber die Anzahl der Sonder-Parkplätze, die nimmt zu.

Möglicherweise hat die Manie, immer mehr öffentlichen Parkraum für den Normalverkehr zu sperren, gar nichts mit Fürsorge für Behinderte zu tun. In Hamburg etwa, wo die Grünen ideell mitregieren, selbst wenn sie mal gar nicht im Rathaus sitzen, werden schon seit Jahrzehnten alle Register gezogen, um Autofahrer zu piesacken. Da werden massenhaft hässliche Betonpoller gesetzt, Bäume weiträumig umsperrt, Parkzonen zu Fahrradstellflächen umfunktioniert, welche die Hälfte des Jahres leer stehen. Dies alles, um die Bürger partout in Bahnen und in Busse zu zwingen.

Parkraum für Behinderte zu schaffen, den diese so gar nicht benötigen, scheint als zusätzliches administratives Mittel zu dienen, den Individualverkehr aus der Stadt zu vergraulen. Letzteres kann man politisch vertreten, muss es dann aber offen sagen. Und nicht angebliche Bedürfnisse behinderter Menschen vortäuschen, um künstlich Parkraum zu verknappen.

Parkplätze sind zumal in den Städten ein rares Gut geworden. Mit einer Fläche von 7,50 m x 2,50 m nehmen Behindertenplätze, die für Aus- und Einsteigen unter mühsamen Umständen angelegt sind, reichlich Raum ein. Wenn ein Privileg, das einer gesellschaftlichen Gruppe eingeräumt wird und welches notwendig zu Lasten anderer geht, weder gebraucht noch genutzt wird, so macht das böses Blut zu Lasten von Behinderten. Denen Akzeptanz zu verschaffen, ist das behauptete Ziel von Sozialverbänden und Politikern. Gar nicht so schwer, es zu torpedieren. Man muss bloß des Guten entschieden zu viel tun.

Längst sind auch für andere, nur vermeintlich Bedürftige, Sonderzonen im Verkehrsgeschehen eingerichtet worden. Frauenplätze in Parkhäusern gehören dazu, eine zweifelhafte Errungenschaft. Selten überwacht, stellen sie für Triebtäter einen idealen Punkt dar, um furchtsame Opfer auszuspähen. Andererseits, Statistiken aus Hessen besagen, dass Belästigungen und Überfälle, denen Frauen zum Opfer fielen, in Parkhäusern ohnehin nicht häufiger vorkamen als anderswo. Wie man die Dinge auch dreht, Frauenparkplätze sind ziemlicher Blödsinn.

Übrigens, Schwangere dürfen leider nicht auf Behindertenparkplätzen stehen! Auch dann nicht, wenn sie ihren Mutterpass auf dem Armaturenbrett auslegen. Das hat der bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden (AZ: 10 ZB 09.1052). Nach der Entbindung ist dann aber für unsere Mütter gesorgt, stellplatzmäßig. „Mutter und Kind“ steht auf blauen Schildern vor den eingangsnahen Parkplätzen vieler Supermärkte.

Eine prima Sache. Bloß sollten diese Reservate, finde ich, so weit wie irgend möglich vom Eingang entfernt liegen. Damit die vielen dicken Muttis und ihre kugelrunden Sprösslinge, die zum Beispiel durch meinen Rewe-Markt watscheln, sich wenigstens einmal am Tag ein Stück weit bewegen.

 

 

 

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