Peter Grimm / 18.09.2020 / 15:00 / Foto: Pressens bild / 17 / Seite ausdrucken

Planwirtschafts-Feier in der Lausitz

Als vor dreißig Jahren die DDR endgültig als Staat von der politischen Bühne verschwand, waren sich viele Zeitgenossen sicher, dass die Deutschen dank des Anschauungsmaterials aus dem gescheiterten wie gestürzten SED-Staat nun ein paar Dinge lernen würden. Beispielsweise zeigten die verfallenen Städte, die überalterten und überlasteten Industrieanlagen, die durch deren Mängel verpestete Luft, verseuchten Böden und vergifteten Flüsse sowie die völlig verrottete Infrastruktur, wohin ein ineffektives und ideologisch gesteuertes Planwirtschafts-System führt.

Inzwischen sind diese Bilder vergessen und die Planwirtschaft ist – natürlich in völlig anderer Form und unter anderen ideologischen Prämissen – offenbar wieder im Kommen. Eines ihrer Kennzeichen war und ist, dass Investitionsentscheidungen vor allem von sachfremden Erwägungen beeinflusst werden. Dieser Gedanke drängt sich auch auf, wenn man die gestrigen Jubel-Meldungen von einer neuen Milliardeninvestition des Staatsbetriebs Deutsche Bahn liest. Der Finanzminister und der Verkehrsminister – Namen, Parteizugehörigkeit und der Ruf, was die jeweilige Kompetenz anbetrifft, sind bekannt – freuten sich, den Bau von Europas modernstem Bahninstandhaltungswerk am neuen Standort zu feiern. 1.200 Arbeitsplätze werde es bieten und 400 Millionen Euro kosten, hieß es. Wo in Cottbus heute noch im alten Bahnwerk Züge instandgesetzt werden, wird eine neue ICE-Halle für die Instandsetzung der Elektrotriebzüge entstehen, und dorthin hatten die Minister zum Pressetermin geladen.

Planwirtschaftlich nachhelfen

Zum Glück reist zu solchen Anlässen in der Regel ja kaum jemand mit der Bahn an, sonst wäre es vielleicht dem einen oder anderen Berichterstatter aufgefallen, dass der Standort des künftig modernsten ICE-Instandhaltungswerks nicht einmal ans ICE-Netz angebunden ist. Wer Cottbus auf dem Bahngleis erreichen will, kann dies in der Regel nur mit Regionalzügen tun. Als Laie könnte man sich hier fragen, ob für ein solches Werk nicht ein Instandhaltungswerk an einem zentraleren Standort, den viele ICE-Züge ohnehin passieren müssen, sinnvoller wäre.

Aber der planwirtschaftlich-ministerielle Sachverstand hat das Problem der Nicht-Anbindung ans ICE-Netz ja bereits gelöst – zumindest theoretisch. Für 1,6 Milliarden Euro soll die Bahn eine neue ICE-Strecke von Berlin über Cottbus nach Görlitz bauen. Dass Cottbus dennoch am Rande des Netzes liegen wird, muss niemand einwenden, denn Erwägungen des Bahnbetriebes spielten für die Standortentscheidung erklärtermaßen keine entscheidende Rolle. Wichtig war, die vom Kohleausstieg betroffene Lausitz mit Investitionen und Arbeitsplätzen zu versorgen. Statt der alten Arbeitsplätze, die der Energiewende geopfert werden, wird es neue geben, und wenn die marktwirtschaftlich nicht entstehen wollen, muss eben planwirtschaftlich nachgeholfen werden.

„Die Wirklichkeit ist tendenziell immer parteifeindlich“

So sehr man auch an der Standortwahl und an der gegenwärtig höchstwahrscheinlich nicht gerade überbordenden Nachfrage nach einer ICE-Verbindung nach Cottbus und Görlitz herumnörgeln mag, natürlich wird eine solche Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur auch den einen oder anderen Investor in die Region locken. Diese frohe Kunde hatte der RBB bereits ausgestrahlt, als die Pläne erstmals bekannt wurden: „Wirtschaftsförderer rechnen aufgrund der künftigen ICE-Fahrzeiten von etwa 45 Minuten zwischen Berlin und Cottbus mit Unternehmensverlagerungen von Berlin in die Lausitz. Außerdem gehen die Planer vom Aufbau neuer Forschungszentren in Cottbus aus. Diese würden so mittels ICE mit dem Flughafen BER oder mit dem Wissenschaftspark Berlin-Adlershof verbunden.“

Nun ist eine Verlagerung von Unternehmen zunächst auch nur eine Verlagerung von Arbeitsplätzen. Da entsteht noch nichts neu. Aber es können natürlich auch zusätzliche Investoren in die Region kommen, beispielsweise solche, die sich eigentlich gern in Berlin angesiedelt hätten, aber vom Zustand dortigen Verwaltungshandelns abgeschreckt wurden. Die ICE-Züge könnten zudem künftig Menschen füllen, die in Berlin arbeiten müssen, aber dort nicht wohnen wollen oder können. All das ist eben nicht planbar, auch wenn es die Freunde der Planwirtschaft gerne hätten.

Und eines haben die meisten vom Staat geplanten Bauvorhaben inzwischen ja auch mit altbekannten planwirtschaftlichen Projekten gemein: Sie verfehlen jeden Zeit- und Kostenplan. Man könnte es wissen, auch ohne 30 Jahre altes Anschauungsmaterial: Planwirtschaft ist theoretisch vielleicht eine feine Sache, doch sie funktioniert nur, wenn auch alle Pläne eingehalten werden können, und das ist einfach vollkommen lebensfremd, vor allem, wenn ihnen noch völlig sachfremde Gründe zugrunde liegen. Oder wie manch einer früher in der DDR gern formulierte: „Die Wirklichkeit ist tendenziell immer parteifeindlich.“

Sollte sich irgendwann diese Einsicht auch an den Cottbusser Bahngleisen einstellen müssen, kann man zur Unterhaltung ja in die gestrigen ministeriellen Geleitworte reinhören. Doch um nicht missverstanden zu werden: Ich wünsche mir das Scheitern dieser Pläne nicht. Wie in anderen Fällen auch, hätte ich gern Unrecht.

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Jürgen Fischer / 18.09.2020

Bei dem Defizit, das die Bahn gerade einfährt, plus den ohnehin vorhandenen und eigentlich kaum aufschiebbaren Bedarf an Reparaturen und Instandsetzungen ist es selbstverständlich eine Notwendigkeit, weitere Luftschlösser dazuzupacken. Träumt weiter, Genossen!

Wiebke Ruschewski / 18.09.2020

Da es in diesem Artikel ja auch um die Deutsche Bahn geht, würde ich gerne eine kleine Empfehlung abgeben (schon etwas älter, aber sicher noch nicht allen hier bekannt): “Deutsche Bahn” von den “Wise Guys” auf Youtube angucken. Aber die 3:43 Min. Version. Da sind noch Wutanfälle/Kommentare von äh, sagen wir mal, nicht ganz so zufriedener Bahnkundschaft dazwischen. Ansonsten halte ich es mit dem Autor. Natürlich gönne ich es allen irgendwie Beteiligten, dass das Projekt gelingt. Und ja, manchmal kann es auch schön sein, nicht Recht zu behalten.

Horst Jungsbluth / 18.09.2020

Die sogenannte Görlitzer Bahn zwischen Berlin und Cottbus wurde jahrelang saniert, wobei vollkommen unverständlich der Abschnitt zwischen Lübbenau und Cottbus eingleisig blieb und zusätzlich mit Ausnahme des Bahnhofs Vetschau die drei anderen Stationen nur mit einer einzigen Bahnsteigkante ausgestattet wurden. Das hatte zur Folge, dass die RE-Linie 2 diese drei Stationen durchfährt, da es auch zulange dauert, bis die Türen der Züge der ODEG sich öffnen. Ein Schildbürgerstreich, der Misstrauen hinsichtlich der neuen, großen Planung in Cottbus erweckt, zumal auf dieser Strecke auch der Bahnhof Königs-Wusterhausen irgendwie eine totale Fehlplanung ist.

Gerd Heinzelmann / 18.09.2020

Verrat ist nicht Ihre Sache, Herr Grimm.

Albert Pflüger / 18.09.2020

@ Rolf Lindner: Ich glaube nicht, daß die Planung in einem marktorientierten Konzern allzuviel mit der Planwirtschaft eines sozialistischen Systems zu tun hat. Ein Konzern kann sich die Mitarbeiter aussuchen, er kann die Arbeitsbedingungen und Ziele festlegen. Ganz wichtig: er kann die, die nicht mitmachen, ausbooten und muß sich danach nicht weiter um sie kümmern. Im Konzern arbeiten Ingenieure an Ingenieursaufgaben, jeder muß seinen Job können. Das ist in der Politik anders. Da managen Studienabbrecher oder Theaterwissenschaftler die Energiepolitik und Hotelfachleute die Universitäten.

Tina Kaps / 18.09.2020

Es ist zum Weinen.

Jürgen Müller / 18.09.2020

Erschreckend, daß man diesmal wohl die Substanz unwiederbringlich zerstört und es auch keine Aufbauhilfe geben wird. Es ist offensichtlich erneut die Mehrheit, die den Zerstörern bereitwillig folgt.  Unsere Lehrzeit ist weder mit zwölf, noch 40 Jahren, ausreichend bemessen.

Frank Mertes / 18.09.2020

Man muss sich doch nur mal in den Braunkohleregionen und bei den zuständigen Landesregierungen umsehen: Aus ideologischen Gründen steigt man aus der Nutzung der Braunkohle aus. Was danach kommen soll, weiß niemand. Da ist das Bahnwerk in Cottbus ja schon erstaunlich konkret und geradezu realistisch anmutend (trotz allen planwirtschaftlichen Unsinns). Vielerorts weiß man gar nicht, was werden soll. Und wird es nie wissen. Da werden Sprechblasen produziert wie “Digitalisierung”, “energetische Wende”, “Modellregion”, “Masterplan”, “integrierte Verkehrskonzepte”, bla, bla bla. Am Ende werden Milliarden in den Sand gesetzt sein und staatlich alimentierte Planungsbüros, Berater und Qualifizierungsgesellschaften werden sich eine goldene Nase verdient haben, Luftschlösser werden gebaut, aber kaum Sinnvolles entstanden sein.

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