Wenn es gut läuft, kommt während der langen Feiertagsstrecke irgendwann die erlösende Nachricht: sie haben ihn! Vielleicht verbreitet die dpa die Meldung unter „Eil-Eil“ schon heute. Wenn es sehr gut läuft, ist der Messerstecher von Passau ein Neonazi mit klandestinen Verbindungen zur NPD, der es irgendwie geschafft hatte, trotz seiner 1,90-Meter-Gestalt und der Tätowierung im Gesicht und der auf ihn ausgesetzten Belohnung in Österreich oder Tschechien oder in einem alten Bunker in Bayern abzutauchen. Oder sich auf irgendeine Ferieninsel abzusetzen, wo ihn schließlich Touristen erkannten.
Wenn es so abläuft, können alle froh sein…
Dann kann das übliche Prozedere stattfinden. Die recherchierenden Medien und die Agenturen, die während der Feiertagsbrücke ihre Passau-Teams in Alarmbereitschaft halten, werden das Dorf des Messerstechers überrollen, beziehungsweise den Stadtteil, in dem er wohnt. Nachbarn werden sagen, dass er eigentlich ein ganz netter Kerl gewesen sei, der Täter, und dass das Ganze nichts mit ihrem Dorf beziehungsweise Stadtteil zu tun habe (wird nichts nützen, das Kaff wird trotzdem zur Brutstätte des Bösen ernannt). Sämtliche Experten für Rechtsradikalismus, die bislang noch nicht zu Wort gekommen sind, werden befragt; alle Politiker, die sich noch nicht Pro oder Contra NPD-Verbot geäußert haben, bekommen dann endlich auch Sendezeit und Interviewplätze. Einer von der SED-Nachfolgepartei, dem Flüchtlingskiller-Solidaritätsclub, wird mit ernster Miene den Klassiker der Linken vor den TV-Kameras aufsagen: „Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen.“
Wenn es nicht ganz so gut läuft, schnappt die Polizei einen Einzeltäter. Einen rechten „Autonomen“ etwa, der nicht oder nicht mehr in Verbindung zur NPD steht. An den geschilderten Abläufen ändert sich dadurch nicht viel, aber besser wäre die erste Lösung.
Wenn es nicht gut läuft, stammt der Täter/die Tätergruppe gar nicht aus rechtsradikalen Kreisen, sondern er/sie hat diesen Zusammenhang nur vorgetäuscht, um falsche Spuren zu legen. Das ist wohl nicht sehr wahrscheinlich. Aber es passiert auch nicht sehr häufig, dass ein Täter, der aussehen soll wie sein eigenes Fahndungsplakat auf Beinen, zwölf Tage nach der Tat noch frei herum läuft, obwohl ihn der gesamte Staatsapparat jagt. Jedenfalls ist in der Presse, wo an der rechtsextremen Urheberschaft der Tat lange kein Zweifel geäußert wurde, inzwischen denn doch eine leichte Verunsicherung erkennbar. Vor ein paar Tagen schrieb das „Hamburger Abendblatt“ noch von „dem von Neonazis attackierten Mannichl“. Am 24. Dezember lautete die Formulierung erstmals „vermutlich rechtsradikaler Anschlag“.
Wenn es ganz schlecht läuft, richtig verheerend, tritt der vierte Fall ein, vor dem sich inzwischen alle außer den Rechtsextremisten fürchten. Für das Worst case scenario hat sich der „Spiegel“ in seinem langen Stück über den Passauer Polizeichef und dessen erfolgreichen Kleinkrieg gegen die Braunen ein Hintertürchen eingebaut, welches man fast überliest, so beiläufig kommt es daher:
„...vielleicht gibt es ja noch ganz andere Motive für die Tat“ (Spiegel 52/08, S. 31).
Ganz andere? Welche könnten das sein? Was er für denkbar hält, verrät uns der Spiegel lieber nicht. Kein Wunder, denn darüber wuchern auf braunen Websites wüste Spekulationen.
Wenn Fall drei eintritt oder gar Fall vier, wird der politische Flurschaden immens sein. In der rechtsextremen Szene werden die Korken knallen. Die Kameraden werden an die Blamagen erinnern, in die sich der Schnellschuss-Journalismus von „Bild“ bis „SZ“ immer wieder hineingeritten hat. An die Ente von Sebnitz zum Beispiel oder den Fall des angeblich von Rassisten überfallenen Äthiopiers in Potsdam (Casus „Schweinesau“). Und es wird den Neonazi-Anführern ein Leichtes sein, ihrem „national“ vielleicht noch nicht völlig gefestigten Jungvolk zu beweisen, dass dieser Staat eben ein Schweinesystem sei; beherrscht von einer gleich geschalteten Hetzpresse.
Wie immer es laufen wird: jede Sorge um eine womöglich unerwartete Volte in Passau wäre überflüssig, ließen Medien und Politiker die Polizei zunächst ihre Arbeit machen, anstatt sofort wild drauflos zu tröten. Wenn man mit den guten, wohlfeilen Gesinnungsbekenntnissen einfach mal abwarten würde, bis alle Fakten auf dem Tisch liegen.
Für Lichterketten-Demos und Parteiverbot-Debatten ist dann immer noch Zeit.