Matthias Heitmann, Gastautor / 14.04.2016 / 15:00 / 0 / Seite ausdrucken

Panama-Papers – Bonzen-Bashing ist intellektuell unterfordernd

Die Diskussionen über die Panama-Papers erinnern stark an die Debatten über die globale Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren nach 2008. Ähnlich wie heute hieß es auch damals, gierige Menschen seien schuld an der Krise. Auch heute kann man den Eindruck gewinnen, als ergötze sich die halbe Welt einmal mehr an der Dekadenz der Superreichen. Doch wischt man diese fast schon gebetsmühlenartig zur Schau gestellte Empörung einmal beiseite, so bleibt in der öffentlichen Diskussion wenig Überraschendes, Konstruktives und Interessantes übrig. Superreiche schleusen ihr Geld aus dem Land und parken es in Briefkastenfirmen in Panama. Wow, und das soll der welterschütternde Skandal sein? Welche Enthüllungen beschert uns das Zeitalter der totalen Transparenz als nächstes? Dass es tatsächlich Priester gibt, die den Zölibat nicht ernstnehmen?

Eine der Hauptlehren, die die Öffentlichkeit aus den Panama-Papieren ziehen soll, besteht darin zu glauben, dass unsere Wirtschaft, ja der ganze Planet, existenziell von Betrug und Korruption bedroht werde. Diese zunehmende Dekadenz, so heißt es, sei verantwortlich für die wirtschaftliche Stagnation und fehlende Investments. Doch sollen wir tatsächlich glauben, dass die Unsicherheit auf den Finanzmärkten und die wirtschaftliche Flaute in weiten Teilen der westlichen Welt tatsächlich von habgierigen und unmoralischen reichen Westlern ausgelöst wurde, die keine Lust mehr haben, ihr Geld gewinnbringend in die reale Wirtschaft zu investieren?

Wenn Superreiche ihr Geld irgendwo im Ausland bunkern, dann sicherlich nicht wegen eines akuten Investitions-Burnout, sondern weil sie nicht wissen, was sie sonst damit tun sollen. Die Wirtschaftswelt leidet unter einem enormen Mangel an Innovationen und an Investitionen in das produktive Kapital. Ohne dieses Problem gäbe es die Panama-Papers nicht. Das Geld liegt also in den Offshore-Konten nicht aus Habgier, sondern aus Mangel an besseren Gelegenheiten und aus Angst vor Risiken. Dies deutet auf ein ganz grundsätzliches Problem hin, sowohl strukturell als auch intellektuell. Doch anstatt darüber kontrovers zu diskutieren, lenkt man lieber ab und lamentiert stattdessen über die Dekadenz bestimmter Prominenter.

Pornographie für Progressive

Es gibt größere Probleme auf unserer Welt als die kriminelle Energie einzelner Raffzähne. Da wäre zum Beispiel der Umstand, dass sich diejenigen, die sich heute „progressiv“ nennen und kapitalismuskritisch geben, mit solchen oberflächlichen und belanglosen Ritualen wie dem Bonzen-Bashing zufrieden geben. Ich finde es jedenfalls peinlich, wie etwa mit dem britischen Premierminister David Cameron umgegangen wird, weil dessen Vater früher Gelder in eine Briefkastenfirma gesteckt hat. Abgesehen davon, dass das an sich noch gar nicht strafbar ist, hat diese kindische Besessenheit schon etwas von Sippenhaft und moralischer Inquisition.

Zudem sollten wir uns nicht einbilden, dass es in der Diskussion über Korruption, Raffgier und Betrug gezielt um die Superreichen gehe. Natürlich klingt es erst einmal mächtig kritisch und progressiv, auf dekadente Kapitalisten zu schimpfen. Doch mit denselben Argumenten wird ja auch auf den kleinen Sparer von nebenan losgegangen. Und so wird im Handumdrehen aus einer pseudo-radikalen Reichenschelte eine Generalabrechnung mit dem kleinen Mann, der am Wochenende schwarz handwerkert, oder mit Menschen in ärmeren Ländern, die ebenfalls nach Wohlstand, Fleisch und Autos „gieren“.

Anstatt die in den Panama-Papers abzulesende Krise der Realwirtschaft zum Anlass für ernsthafte politische und gesellschaftliche Debatten zu nehmen, trägt das Moralisieren zur weiteren Verschleierung der tatsächlichen Probleme bei. Das ist keine unbequeme Kapitalismuskritik, sondern wohlfeile Menschenkritik.

Matthias Heitmann ist freier Publizist und Autor des Buches „Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens“ (TvR Medienverlag, Jerna 2015). Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Matthias Heitmann, Gastautor / 16.01.2024 / 12:00 / 24

Mit dem Traktor durch Frankfurt

Mittendrin statt nur dabei: Unser Reporter nahm auf einem Traktor Platz, der durch Frankfurt/Main rollte. Das Gespräch mit dem Bauern war angenehm unpolitisch, unaufgeregt, sachlich…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 11.03.2023 / 14:00 / 28

Der Mut und die Nation

Der Ukrainekrieg zeigt nicht nur, wie falsch der Westen in seiner Bewertung von Wladimir Putin lag. Es wird auch deutlich, wie viel Bedeutung die Idee…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 30.08.2022 / 14:00 / 20

Die Angst vor der Meinungsbildungsfreiheit

Der heutige Journalismus wirkt entpolitisiert und emotionalisiert. Er basiert auf der bedenklichen Vorstellung, dass Medienkonsumenten der moralischen Anleitung bedürfen. Die Corona-Krise nagt an den Nerven…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 23.02.2022 / 16:00 / 39

Aufstand gegen die Angstapostel

Längst geht es um viel mehr als die Impfpflicht: Gegenwärtig entscheidet sich, wie wir als Gesellschaft künftig mit Ängsten umgehen wollen. Die alten politischen Schubladen…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 04.09.2018 / 06:12 / 60

Organspende ja – Organabgabe nein!

Ich habe mich frei und freiwillig dazu entschieden, Organspender zu sein. Wenn die widerrufliche Organabgabe eingeführt führt, ist es gut möglich, dass ich widerspreche. Seit…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 06.01.2018 / 10:30 / 16

Der Wochen-Wahnsinn: Ein Sportverein ist keine Partei

Peter Fischer, Präsident von Eintracht Frankfurt e.V., hat die AfD als „Nazis“ und „braune Brut“ bezeichnet und angekündigt, keine Nazis im Verein zu dulden. Nun…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 30.12.2017 / 12:00 / 1

Der Wochen-Wahnsinn: 2017 – das Jahr zwischen den Jahren

Zum Jahreswechsel sprechen Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann und Antenne-Frankfurt-Moderator Tim Lauth in ihrer Radiokolumne „Der WochenWahnsinn“ über den Sinn der Redewendung „zwischen den Jahren“. Eigentlich sei…/ mehr

Matthias Heitmann, Gastautor / 08.12.2017 / 18:34 / 2

Der WochenWahnsinn: Friedhofsruhe ist nicht friedlich!

„Ich bezweifle, dass Donald Trump Lösungen für die Konflikte in der Welt und auch im Nahen Osten liefert. Ich weiß aber, dass er nicht deren…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com