Gastautor / 20.05.2013 / 22:48 / 0 / Seite ausdrucken

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Oswald Metzger

Auf Kosten anderer zu leben, gilt den meisten Menschen im privaten Lebensumfeld als verwerflich. Dass sich Anstrengung auch finanziell lohnen soll, ist allgemein akzeptiert. Wer gesund ist und im aktiven Erwerbsalter steht, hat zuerst und vor allem für sich selbst zu sorgen, ehe er staatliche Transfers zur Existenzsicherung beanspruchen kann, gilt der großen Mehrheit als selbstverständlich. Verantwortung und Haftung sind Begriffe, die in den persönlichen Werteeinstellungen der Bevölkerung verwurzelter zu sein scheinen als in den politischen Institutionen unserer Gesellschaft.

Nicht nur in Europa, auch in Amerika und Japan, verlässt sich die Politik inzwischen auf die Notenpresse der Zentralbanken. Papiergeld wird gedruckt, weil sich Regierungen und Parlamente nicht zu den notwendigen Strukturreformen aufraffen, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften sicherzustellen. Schulden werden mit weiteren Krediten bezahlt und in Wahlkämpfen werden neue Leistungen des Staates versprochen, statt die Menschen für mehr Selbstverantwortung zu sensibilisieren. Das Beispiel Frankreich erschreckt: Da wird jetzt der neue europäische Fiskalpakt gebrochen und Frankreich die gleiche Fristverlängerung zur Einhaltung der Drei-Prozent-Defizitgrenze eingeräumt wie Spanien, das harte Reformen umsetzt, während in Frankreich politischer Reformstillstand herrscht. Damit wird von der EU-Kommission eine verantwortungslose Politik der linken Regierung belohnt. Wer soll sich im Euro-Raum noch an Regeln halten, wenn der Regelbruch nicht sanktioniert wird? Die europäische Politik verdient immer mehr den Vorwurf der organisierten Verantwortungslosigkeit.

In der deutschen Verfassungsordnung trifft dieses Etikett auf das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen Bund und Ländern zu. Haftung und Verantwortung klaffen hier seit Ende der 60er Jahre, als die erste große Koalition diesen intransparenten Ausgleichsmechanismus beschlossen hat, immer weiter auseinander. Seither belohnen die Anreizsysteme im Länderfinanzausgleich die vielen wirtschaftsschwachen Bundesländer. Die noch verbliebenen drei starken Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die zusammen acht Milliarden Euro jährlich als Finanzausgleich abgeben müssen, werden in einem Ausmaß um die Früchte ihrer Wirtschaftskraft gebracht, das mehr mit gnadenlosem Abkassieren als mit Solidarität zu tun hat.

Oder wie würden Sie das nennen, wenn Sie als gut verdienender Steuerzahler nach Abzug ihrer Steuerlast im Einkommensranking plötzlich hinter den Mitbürgern liegen, für die Sie mit ihren Steuern die Sozialtransfers mitbezahlen? Doch genau so ergeht es zum Beispiel Baden-Württemberg, das in der Finanzkraft pro Einwohner vor dem Finanzausgleich unter den 16 Bundesländern auf Platz vier rangiert, nach dem Finanzausgleich aber auf Rang elf abrutscht.

In der nächsten Legislaturperiode des Bundestages steht die bundesstaatliche Finanzverfassung zur Neuordnung an. Denn im Jahr 2019 läuft der bisherige Solidarpakt aus, der den neuen Bundesländern zusätzliche Finanztransfers garantierte. Eine solche Reform muss vor allem die Selbstverantwortung der Gliedkörperschaften stärken und die heutige Übernivellierung beenden, aber auch die Altschuldenproblematik lösen.

Wie schwer das sein wird, zeigt die Pervertierung der Finanzverfassung in den letzten Monaten. Obwohl es einen Schlüssel für die prozentuale Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern (inkl. Kommunen) gibt, weigern sich die Bundesländer neuerdings bei allen steuerrelevanten Gesetzen, ihren Anteil an den daraus folgenden Steuerausfällen zu tragen. Mit der Begründung scheiterte die vom Bundestag beschlossene Entlastung der Steuerzahler bei der kalten Progression, aber auch die steuerliche Förderung von Energiesparmaßnahmen. Nur wenn der Bund die gesamten Steuerausfälle komplett allein trage, wollte der Bundesrat zustimmen. Das ist verantwortungslos gegenüber den Bürgern, aber auch gegenüber dem geltenden Verfassungsrecht in Deutschland. Und es lässt nichts Gutes hoffen für die anstehende Neuordnung des Finanzausgleichs, bei dem eine satte Verhinderungsmehrheit von 13 Nehmerländern drei Geberländern und dem Bund gegenübersteht.

Erschienen in der Fuldaer Zeitung und auf dem Ökonomen Blog (http://www.insm-oekonomenblog.de)

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 10.03.2024 / 11:00 / 2

Der Bücher-Gärtner: Das Zusammenleben täglich neu aushandeln?

Von Edgar L. Gärtner. Der zugegeben sperrige Titel „Ohne Bestand. Angriff auf die Lebenswelt“ von Michael Esders ist eine höchst anregende Lektüre, die vom Raubbau am sozialen…/ mehr

Gastautor / 03.03.2024 / 11:00 / 22

Der Bücher-Gärtner: Fossilenergie erneuerbar?

Von Edgar L. Gärtner. Unsere neue Buch-Kolumne richtet sich allein danach, ob ein Buch oder die Diskussion darüber interessant ist oder nicht. Den Anfang macht…/ mehr

Gastautor / 28.02.2024 / 12:00 / 22

In 10 Jahren keine europäischen Auto-Massenhersteller mehr

Von Matthias Weik. Der Standort Deutschland ist durch zu hohe Energiepreise, Steuern und Abgaben viel zu teuer und international nicht wettbewerbsfähig. Das Elektroauto ist nicht die Antwort, sondern…/ mehr

Gastautor / 25.12.2023 / 06:00 / 57

Musk have?

Von Rocco Burggraf. In Elon Musk hat sich der Kapitalismus, ganz im Sinne von Ayn Rand, mal wieder neu erfunden. Und zwar, indem er kantiges…/ mehr

Gastautor / 31.10.2023 / 06:15 / 62

Die Bitcoin-Reformation des Finanzwesens

Von Okko tom Brok.  An einem schicksalsträchtigen 31. Oktober, während die Welt am Rande des Chaos irrlichterte und die Mächtigen ihrer Zeit in banger Sorge…/ mehr

Gastautor / 30.10.2023 / 16:00 / 11

Euro, digitaler Euro, Bitcoin

Von Marc Friedrich.  Wenn ich auf meinen Vorträgen frage, wie Geld entsteht, bekomme ich häufig die interessantesten Antworten: Es komme aus dem Automaten, aus dem…/ mehr

Gastautor / 12.10.2023 / 14:00 / 17

Das deutsche Energie-Fiasko

Von Marc Friedrich. Jeder kann es sehen, jeder kann es spüren – vor allem im Portemonnaie. Es wird immer offensichtlicher, dass die Energiewende ein Fiasko…/ mehr

Gastautor / 02.10.2023 / 06:15 / 74

Wohnungsbau-Politik auf sozialistische Art – und was man tun könnte

Von Peter Pedersen. Um die implodierende Bauwirtschaft vor ihrem totalen Niedergang zu retten, ergreift die Bundesregierung die für sie einzig logische Konsequenz, auf die wirtschaftsschädlichen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com