Dirk Maxeiner / 25.01.2008 / 09:50 / 0 / Seite ausdrucken

Neue deutsche Etikette

Von Maxeiner & Miersch erschienen in DIW WELT vom 25.1.2007

Ein Etikett war ursprünglich ein Zettel mit Hinweisen für das spanische Hofzeremoniell. Die Beliebtheit von feierlichen Handlungen und Ritualen hat aber keineswegs nachgelassen. Die Deutschen müssen sich aktuell sogar an ganz viele neue Etiketten gewöhnen. Das geht schon auf dem Hauptbahnhof los. Neulich warteten wir fröstelnd auf einem zugigen Bahnsteig. „Rauchfreier Bahnhof“ verriet uns ein großes Schild. Auf dem Gleis wartete mit laufendem Dieselmotor ein Regionalexpress. Sein Schadstoff-Ausstoß dürfte dem von zehntausend Kettenrauchern entsprechen. Das schien niemand zu stören. Das Rauchverbot gilt schließlich nicht für Lokomotiven. Das Etikett „rauchfreier Bahnhof“ dient wohl auch der rituellen Reinigung, siehe spanisches Hofzeremoniell.

Draußen vor der Tür geht es gleich weiter. Da beginnt nämlich die Umweltzone. Und da dürfen demnächst nur noch Autos rein, die einen entsprechenden Aufkleber an der Windschutzscheibe haben.  Auch so ein neues Etikett, hübsch rot, gelb oder grün. Der Staat hat damit dem Feinstaub den Kampf angesagt. Damit wird regierungsamtlich ein Phantom bekämpft.  Im vergangenen Jahr hat sich der Feinstaub nämlich weitgehend verflüchtigt. Schuld daran war viel Regen und Wind, denn das Feinstaubaufkommen hängt in erster Linie vom Wetter ab. Da man das nicht verbieten kann, werden ersatzweise alte Autos verboten - was die Feinstaubwerte um den sensationellen Anteil von etwa einem Prozent verringern wird.

Vielleicht fahren wir ja alle bald nur noch mit Elektroautos. Aber bitte nur mit Ökostrom! Immer mehr Menschen legen wert auf dieses Etikett. Man nehme ein idyllisches Flusstal, ziehe eine Staumauer aus Beton hindurch und flute die ganze Sache. Dabei kommt dann Ökostrom, sprich Wasserkraft heraus. Auch jeder Seeadler oder Rotmilan, der von einem Großwindrad geschreddert wird, stirbt für die gute Sache. Gar nicht geschätzt wird hingegen der Atomstrom. Der zerstört zwar weder Natur noch Landschaft. Obendrein produziert er keine Klimaabgase. Nach den Gesetzen der Logik ist Atomstrom also lupenrein „öko“. Nicht aber nach den Gesetzen der Öko-Etikette. Die fordert: „Atomstrom nein Danke!“ Das hat die Betreiber von Atomkraftwerken nicht ruhen lassen. So gibt es eine wunderbare Tauschbörse namens „Renewable Energy Certificate System“ (RECS). Ein Windradbetreiber deklariert seinen Strom dabei als konventionellen Strom. Ein Atomkraftwerksbetreiber bezahlt ihm dafür einen Aufpreis - und darf die gleiche Menge Atomstrom umgekehrt als Ökostrom etikettieren. Salopp gesagt: Das Atomkraftwerk zahlt seinen Windkraft-Tauschpartner dafür, dass er die Vogelwelt schreddert - und endlich wird aus Atomstrom Ökostrom.

Wir heben unser Glas auf die unendliche Vielfalt der neuen deutschen Etikette! Schön wäre zu diesem Zweck ein Bier mit dem Etikett „Gentechnikfrei“. Das Problem: Viele für die Lebensmittel- oder Futterherstellung notwendige Zusatzstoffe werden seit Jahren fast ausschließlich mit gentechnischen Verfahren hergestellt. Gentechnik ist längst in unser aller Munde - ohne dass jemand Schaden davon getragen hätte. Doch nichts fürchtet die Öko-Etikette mehr als diese Einsicht. Deshalb wurden Zusatzstoffe - Simsalabim - von der Deklarierungspflicht ausgenommen. „Gentechnikfrei“ ist künftig auch, wo Gentechnik längst drin ist. Die neue deutsche Öko-Etikette will es so. Willkommen beim Hofzeremoniell.

 

 

 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Dirk Maxeiner / 28.04.2024 / 06:15 / 84

Der Sonntagsfahrer: Ich sage nur China, China, China

Der chinesische Geheimdienst weiß in jedem Fall besser Bescheid über deutsche Regierungsvorlagen als der von der Berliner Falun-Gaga-Sekte informierte Wirtschaftsminister.  In Deutschland leben etwa 150.000 chinesische…/ mehr

Dirk Maxeiner / 21.04.2024 / 06:15 / 121

Der Sonntagsfahrer: Fahrverbote und Gesetze, die niemand einhalten kann

EU und Bundesregierung verabschieden immer weltfremdere Gesetze und schreiben Lösungen vor, die es schlicht nicht gibt.  Der sogenannte Klimaschutz wird dabei immer menschenfeindlicher, der Bürger willkürlich…/ mehr

Dirk Maxeiner / 14.04.2024 / 06:15 / 62

Der Sonntagsfahrer: Der Augsburger Gasballon

Augsburg ist eine Stadt von Friedensfreunden. Die schritten vergangene Woche aber zur Generalmobilmachung. Grund: Das Gasnetz soll früher oder später weg. Wenn es um Friede,…/ mehr

Dirk Maxeiner / 07.04.2024 / 06:00 / 119

Der Sonntagsfahrer: Betteln um die Pleite

Trotz der gescheiterten E-Auto-Wende betteln einflussreiche Autohersteller darum, das Verbrennerverbot nicht infrage zu stellen. Die Wünsche der Kunden sind längst egal. Wer hält länger durch? Die…/ mehr

Dirk Maxeiner / 31.03.2024 / 06:15 / 58

Der Sonntagsfahrer: Ich will nachhause telefonieren

Der erhobene Zeigefinger liegt schon länger voll im Trend. Nationalspieler Antonio Rüdiger machte den ET und auch allerhand weitere Berühmtheiten gestikulieren, bis der Arzt kommt.…/ mehr

Dirk Maxeiner / 24.03.2024 / 06:15 / 88

Der Sonntagsfahrer: UN verbietet VW-Up

Handelt es sich bei einigen Autos, darunter beliebte Volkswagenmodelle, um gemeingefährliche Cyberwaffen? Nach UN-Vorschriften ja. Deshalb dürfen sie ab Juli in Europa nicht mehr verkauft werden. Was…/ mehr

Dirk Maxeiner / 17.03.2024 / 06:15 / 72

Der Sonntagsfahrer: Glückskekse von Habeck

Die Äußerungen führender Ampelpolitiker wirken wie die Botschaften, die in chinesischen Glückskeksen enthalten sind. Der Konfuzius dieser Stilrichtung ist Robert Habeck und sein treuer Knappe…/ mehr

Dirk Maxeiner / 10.03.2024 / 06:05 / 57

Der Sonntagsfahrer: Das Verbrenner-Aus-Aus

Die EU will das Verbrenner-Aus beenden und der Bundesrechnungshof charakterisiert die Energiewende als Blindgänger. Das Aus-Aus wird zum direkten Nachfolger des Doppelwumms. Als Zweikreisbremsanlage wird…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com