Rainer Bonhorst / 15.04.2015 / 21:47 / 1 / Seite ausdrucken

Micky-Mouse-Häuser mit Ausblick auf den Harlem-River

Der Plan war nicht so kühn wie er auf den ersten Blick erscheint: „Komm, wir machen einen Spaziergang in der Bronx.“

Der New Yorker Stadtteil Bronx ist besonders gefürchtet, seit Tom Wolfe dem Ort in seinem „Fegefeuer der Eitelkeiten“ eine schaurige Hauptrolle gegeben hat. Nicht ohne Grund: In der South Bronx findet man die wildesten Slums der Stadt. Harlem, einst auch ein Furcht einflößender Name, ist inzwischen streckenweise geradezu schick geworden. Um in „unsere“ Bronx zu gelangen, nimmt man allerdings nicht den berühmten „A Train“, der nach und durch Harlem führt, sondern die U-Bahn Nummer eins.

Auch für die Bronx gilt eben, was für ganz Amerika gilt: Bronx ist nicht gleich Bronx. In Riverdale, im Nordwesten des einzigen New Yorker Festland-Stadtteils, fühlen sich sogar Millionäre wohl und sicher und genießen von ihren Villen aus feine Ausblicke auf den Hudson River.

Marble Hill, südlich von Riverdale, wo wir unseren Spaziergang wagten, gehörte früher zu Manhattan und tut es politisch auch heute noch, liegt aber seit hundert Jahren auf dem Gebiet der Bronx. Der Harlem River, der beide Stadtteile trennt, wurde damals so umgeleitet, dass Marble Hill abgetrennt wurde und nun, über eine Brücke von Manhattan aus zu Fuß erreichbar, auf dem Festland liegt. Das Viertel bietet neben schlichten Sozialwohnungsbauten am Broadway auch schicke viktorianische Micky-Maus-Häuser wie in einer neuenglischen Kleinstadt und oben auf dem Hügel sehr gepflegtes Wohnen in Apartment-Hochhäusern mit Ausblicken auf den Harlem River und den Inwood Hill Park von Manhattan, in dessen Nähe wir regelmäßig für ein paar Wochen wohnen.

Inwood, der nördlichste Zipfel von Manhattan, ist ein Geheimtipp für Leute, die die Insel nicht verlassen und trotzdem reichlich Natur haben wollen. Da sammeln sich Kreative, junge Familien, Singles und alte Hasen. Man wohnt in sechsstöckigen Apartmenthäusern aus den Zwanziger und Dreißiger Jahren: ein ganzes Viertel in verhaltenem, aber attraktivem Backstein-Art-Deco-Stil. Gleich nebenan sind die Cloisters mit dem Fort Tryon Park. Die Cloisters sind als ein nach Amerika versetzter Klosterbau samt mittelalterlicher Kunst sehenswert. Der Inwood Hill Park ist wilder und waldiger als der durchgestaltete Tryon Park, aber ein Oase, in der man vergessen kann, in Manhattan zu sein.

Dort oben soll auch der berühmt-berüchtigte Handel stattgefunden haben, bei dem der Deutsch-Holländer Peter Minnewit oder Minuit einem Lenape-Häuptling die Insel Manahatta für ein paar billige Metallwerkzeuge und und etwas sonstigen Ramsch abgekauft haben soll. Die Transaktion gilt als eines der besten und unverschämtesten Geschäfte der Geschichte. Ob es wirklich so stattgefunden hat, ist fraglich.

Auch die Frage, wer das bessere Geschäft gemacht hat, ist offen. Für die Lenape, die zum Großstamm der Algonkin gehörten, waren Metallwerkzeuge sehr kostbar. Vor allem aber: Sie haben dem Bleichgesicht etwas verkauft, was ihnen gar nicht gehörte. Denn nach Indianer-Sitte gab es gar keinen Grundbesitz in unserem Sinne, allenfalls unverkäufliche Nutzungs- und Besuchsrechte. Der Indianer war also mindestens so schlau wie der eingewanderte Siedler. Dass die „Besucher“ auf Dauer blieben und den Immobilienbesitz als großes Geschäft in Amerika einführten, erwies sich für die Indianer dann doch als Tragödie.

Heute wohnen dort oben viele Einwanderer aus Lateinamerika. In Inwood sind es vor allem Leute aus der Dominikanischen Republik. Sie haben dem beliebten Reiseziel deutscher Urlauber den Rücken gekehrt, um in den USA ein besseres Leben zu finden. Die millionenfache „spanische“ Einwanderung vor allem aus Mexiko hat etwas durchaus Charmantes: Da entdecken und besiedeln spanisch sprechende Menschen mit starken uramerikanischen Wurzeln das Land neu und machen die Bleichgesichter, die einst das Land übernahmen, nach und nach zu einer Minderheit, die eine merkwürdige Inselsprache namens Englisch spricht.

Die Geschichte hat, so scheint es, ihren ganz eigenen Humor.

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Jochen Kramer / 16.04.2015

Lieber Herr Bonhorst, könnte es sein, daß “die Bleichgesichter, die einst das Land übernahmen” es zu jenem Land gemacht haben, in das Leute aus der Dominikanischen Republik einwandern, um in den USA ein besseres Leben zu finden? Und könnte es sein, dass auch die eingewanderten Mexikaner eine merkwürdige Inselsprache namens Spanisch sprechen?

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