Der Mensch hat eine gewisse Lust daran, als Masse aufzutreten und sich als Element von ihr zu fühlen. Bei Großveranstaltungen jeder Art, egal ob Sport oder Politik, spielt dieser Lust-Kitzel des Masse-Seins mit, den Elias Canetti einst so präzise beschrieb und analysierte. Canetti ging aber davon aus, daß der Mensch bei seiner Massewerdung irgendwie willentlich handelt, daß irgendein Beitritt, eine Teilnahme stattfindet. So ist es aber nicht.
Wir sind auch ganz absichtslos und sogar gegen unsere Absicht Masse. Wir können es gar nicht vermeiden. Auch eine Ansammlung von entschiedenen Individualisten bildet eine Masse. Massenansammlungen gibt es überall: an Bahnhöfen und Flughäfen, an Meeresstränden und auf Autobahnen. Die Massenhaftigkeit ist eine Conditio des modernen Lebens, und vor diesem Hintergrund wird die grandiose Abwegigkeit von amtlichen Empfehlungen wie der, man solle Menschenmassen möglichst meiden, vollkommen deutlich.
Derlei Empfehlungen hört man zur Zeit besonders häufig. Sie gehören nicht nur zum Standardrepertoire der staatlichen Schweinegrippen-Show, sondern sind auch unserem Außenministerium nicht zu billig, um nach dem jüngsten ETA-Anschlag auf Mallorca, dem Massentourismusort par excellence, veröffentlicht zu werden. Nochmal zum Mitschreiben: Das Außenministerium rät Mallorca-Urlaubern, Menschenansammlungen zu meiden. Man fragt sich, ob der Verfasser dieses Ratschlags schon mal auf Mallorca war und was er sonst noch von der Welt weiß. Man fragt sich auch, wie unser Außenministerium überhaupt auf diesem Erkenntnisniveau funktioniert.
Man könnte Mallorca-Reisenden genauso gut empfehlen, das Meer zu meiden, oder sie auffordern, sich nicht der Sonne auszusetzen. Aus anderen Gründen sollen sie ja auch niemandem mehr die Hand und schon gar keine Begrüßungsküßchen mehr geben – lauter amtliche Hinweise und Belehrungen, bei denen bloß nicht klar ist, ob sie mehr auf rührender Ahnungslosigkeit oder mehr auf blankem Zynismus beruhen.