Hannes Stein / 31.03.2009 / 23:33 / 0 / Seite ausdrucken

Max Frisch und die Arabophobie

Hier ein kleiner Fund aus dem “Tagebuch 1966-1971” von Max Frisch. Als im Juni 1967 der Sechstagekrieg ausbricht, notiert der schweizerische Schriftsteller:

“Krieg in Israel. Radio bestätigt. Angst um Freunde, alles Arbeiten sinnlos, Ohnmacht. Die Meldungen im Lauf des Vormittags sind vage, aber es bleibt: KRIEG. Unfähig zu einem Urteil. Die bekannten Drohungen von Nasser, dann die Sperrung des Golfs von Akaba, dann der Aufmarsch auf Sinai. Wer ist Aggressor?”

Nun muss man nicht gleich “Antisemitismus, Antisemitismus” rufen, um diese erste Reaktion zumindest merkwürdig, bedenklich, bemerkenswert zu finden. Max Frischs Kollege, der fröhliche Nihilist Dürrenmatt, sah die Sache da doch deutlich klarer, er schrieb: “Israel mag Fehler begangen haben—welcher Staat bestände unsere Zeit schuldlos—(...): Es handelte aus Notwehr. Es stand vor Sein oder Nichtsein. Wer technisch den Krieg begann, ist gleichgültig, die Araber konnten nicht mehr zurück; sie entmündigen sich selber, streiten sie jetzt ihre Politik ab.”

Doch zurück zu Max Frischs Tagebuch. Elf Tage nach dem ersten Eintrag notiert er Folgendes:

“Diskussionen. Denkt Israel jetzt an territoriale Expansion? Jubel aus der Bundesrepublik von halbrechts: Lösung durch Blitzkrieg.” Und dann: “Brief aus dem Kibbuz Hasorea. Es fragt sich, wieviele Stimmen dieser Art es gibt; immerhin gibt es sie: Wir leben, auch unser Sohn, der im Sinai ist, aber bitte denken Sie nicht, dass wir hier feiern.”
(Das wäre ja noch schöner! Juden, die feiern, weil sie ihrer Vernichtung durch Nassers Armeen entgangen sind! So geht´s aber nicht!)

Und nun der letzte Eintrag zum Thema, eine politische Reflexion:

“Metamorphose des Antisemitismus?—in der einhelligen Parteinahme für Israel; dafür versetzt man Araber in die Kategorie von Untermenschen.”

Im Rückblick wird deutlich, wie realitätsblind solche Überlegungen waren.
Erstens konnte man die Parteinahme für Israel ja nun keineswegs einhellig nennen. Die Sowjetunion und ihre Satrapien etwa standen eisenhart gegen den “israelischen Aggressor”, ferner fast alle radikalen Linken im Westen plus die sogenannten blockfreien Länder. Zweitens verabschiedete die UNO 1973 ihre so berühmte wie widerwärtige Resolution, dass der Zionismus eine Form des Rassismus sei. Drittens breitete sich die Legende von den Arabern als edlen Opfern (der Juden, des westlichen Imperialismus) erst nach 1967 so richtig aus. 

Die Vokabel “Islamophobie” freilich kannte Max Frisch noch nicht. Hätte er sie gekannt, er hätte geschrieben, dass sie die neue Form des Antisemitismus sei. So alt sind in Wahrheit die Debatten, die uns heute beschäftigen. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hannes Stein / 11.03.2013 / 20:55 / 0

Hannes Stein auf Tour!

Ich lese aus meinem Debutroman “Der Komet”, und zwar dann und da: 13. März 2013 Köln, Buchhandlung Ludwig im Hauptbahnhof. Beginn: 19 Uhr 14. März…/ mehr

Hannes Stein / 15.02.2013 / 05:05 / 0

Die Liebeskatastrophe

Heute passieren drei Dinge gleichzeitig, die nichts miteinander zu tun haben. a) Ich trete meine 49. Sonnenumrundung an. b) Ein Asteroid schrammt haarscharf an der…/ mehr

Hannes Stein / 13.01.2013 / 03:06 / 0

Kinski

Aus Gründen, die ich selbst nicht erklären kann, beschäftigt mich aus der Ferne der Fall Klaus Kinski. Als ich ein Teenager war, galt er als…/ mehr

Hannes Stein / 08.01.2013 / 19:14 / 0

Shylock

Aber man wird Shylock doch noch kritisieren dürfen! Schließlich ist es nicht nett, nicht wahr, dass er vom Wucher lebt. Es widerspricht den fundamentalen Prinzipien…/ mehr

Hannes Stein / 14.12.2012 / 20:02 / 0

Karl R. Popper nach zwanzig Jahren

Die umstürzende Erkenntnis von Karl R. Popper war bekanntlich, dass sich die menschliche Erkenntnis im “modus tollendo tollens” fortbewegt: Wenn P, dann Q Non Q…/ mehr

Hannes Stein / 15.11.2012 / 19:04 / 0

Tante Thea

Sie hatte einen enormen Busen, überhaupt war sie das, was man früher eine stattliche Frau genannt hätte. Ihre Stimme habe ich noch heute im Ohr:…/ mehr

Hannes Stein / 23.09.2012 / 19:11 / 0

Die Erinnerungen des Salman Rushdie

Rauchende Gebäude, brennende Fahnen. Junge Männer mit Bärten, die aufgeregtes Zeug brüllen. Weit aufgerissene Augen, noch weiter aufgerissene Münder. Fäuste, die drohend geschüttelt werden; Steine,…/ mehr

Hannes Stein / 13.08.2012 / 12:30 / 0

Warum mir Gore Vidal nichts bedeutet

Ein Mann, der in seiner Jugend zur “America-First”-Bewegung gehört hat (Charles Lindbergh und so); der einen schlechten Roman über Amerikas größten Präsidenten verfasst hat, in…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com