Hier ein kleiner Fund aus dem “Tagebuch 1966-1971” von Max Frisch. Als im Juni 1967 der Sechstagekrieg ausbricht, notiert der schweizerische Schriftsteller:
“Krieg in Israel. Radio bestätigt. Angst um Freunde, alles Arbeiten sinnlos, Ohnmacht. Die Meldungen im Lauf des Vormittags sind vage, aber es bleibt: KRIEG. Unfähig zu einem Urteil. Die bekannten Drohungen von Nasser, dann die Sperrung des Golfs von Akaba, dann der Aufmarsch auf Sinai. Wer ist Aggressor?”
Nun muss man nicht gleich “Antisemitismus, Antisemitismus” rufen, um diese erste Reaktion zumindest merkwürdig, bedenklich, bemerkenswert zu finden. Max Frischs Kollege, der fröhliche Nihilist Dürrenmatt, sah die Sache da doch deutlich klarer, er schrieb: “Israel mag Fehler begangen haben—welcher Staat bestände unsere Zeit schuldlos—(...): Es handelte aus Notwehr. Es stand vor Sein oder Nichtsein. Wer technisch den Krieg begann, ist gleichgültig, die Araber konnten nicht mehr zurück; sie entmündigen sich selber, streiten sie jetzt ihre Politik ab.”
Doch zurück zu Max Frischs Tagebuch. Elf Tage nach dem ersten Eintrag notiert er Folgendes:
“Diskussionen. Denkt Israel jetzt an territoriale Expansion? Jubel aus der Bundesrepublik von halbrechts: Lösung durch Blitzkrieg.” Und dann: “Brief aus dem Kibbuz Hasorea. Es fragt sich, wieviele Stimmen dieser Art es gibt; immerhin gibt es sie: Wir leben, auch unser Sohn, der im Sinai ist, aber bitte denken Sie nicht, dass wir hier feiern.”
(Das wäre ja noch schöner! Juden, die feiern, weil sie ihrer Vernichtung durch Nassers Armeen entgangen sind! So geht´s aber nicht!)
Und nun der letzte Eintrag zum Thema, eine politische Reflexion:
“Metamorphose des Antisemitismus?—in der einhelligen Parteinahme für Israel; dafür versetzt man Araber in die Kategorie von Untermenschen.”
Im Rückblick wird deutlich, wie realitätsblind solche Überlegungen waren.
Erstens konnte man die Parteinahme für Israel ja nun keineswegs einhellig nennen. Die Sowjetunion und ihre Satrapien etwa standen eisenhart gegen den “israelischen Aggressor”, ferner fast alle radikalen Linken im Westen plus die sogenannten blockfreien Länder. Zweitens verabschiedete die UNO 1973 ihre so berühmte wie widerwärtige Resolution, dass der Zionismus eine Form des Rassismus sei. Drittens breitete sich die Legende von den Arabern als edlen Opfern (der Juden, des westlichen Imperialismus) erst nach 1967 so richtig aus.
Die Vokabel “Islamophobie” freilich kannte Max Frisch noch nicht. Hätte er sie gekannt, er hätte geschrieben, dass sie die neue Form des Antisemitismus sei. So alt sind in Wahrheit die Debatten, die uns heute beschäftigen.