Mit Sissy Hewson auf Reisen
Es gibt Diktatoren, die zwanglos geliebt werden. Vor allem, wenn sie als Wirte auftreten und die Gäste gnadenlos erziehen (siehe Friedrich Torberg, „Tante Jolesch“, Stichwort „Zwetschkenröster“). Dort geht man gerne hin, lässt sich für jede Bestellung anschnauzen und freut sich, wenn das Wirtsauge einmal etwas freundlicher auf einem ruht. Der Höhepunkt der Glückseligkeit ist natürlich gekommen, wenn man eines Tages mit Namen angesprochen wird; oder dem vertraulichen „So wie immer?“. Das muss man meist hart erarbeiten, und mancher schafft es nie. Wie Schriftsteller Peter Turrini, der dereinstens, als er noch kein berühmter, bramarbasierender Bühnenautor war, Freunde in eine plüschige Lokalität schleppen wollte, einen „Geheimtipp“, wo, wie er verschwörerisch versicherte, niemand eingelassen wurde, der dem Wirten nicht sympathisch war. Er musste dann draußen bleiben.
Ein wenig diffiziler geht es zwar in dem Haus zu, von dem ich erzählen möchte, aber das Prinzip ist das gleiche: „Wir sind ein Wirtshaus, kein Gasthaus“, so spricht Herr Leeb, der Altchef dieser Hotellegende. „Hier gibt es zwar ein scheinbar unbegrenztes Angebot, aber es gibt auch klare Grenzen. Und die setze ich als Wirt. Die Leute sollen es so mögen, wie wir es haben.“
Und er hat es geschafft. Er hat mit seinem Hotel, fast schon einem kleinen Dorf, den „Idealen Staat“ geschaffen. Mit einem weisen „Herrscher“, dem Besitzer - heute Herrscherin, nämlich seiner Tochter Karin - und der Familie. Mit besonnenen „Wächtern“, dem alles bedenkenden Personal. Und dem meist selig lächelnden „Volk“, den Gästen, die hier oft schon seit Jahrzehnten herkommen, ihre Urlaubsliebe an ihre Kinder und Kindeskinder weitergeben und sich dafür dem Regiment des Luxus-„Wirtshauses“ unterwerfen.
Nun ist es immer verdächtig, wenn man als Reisejournalistin ein Hotel besonders anpreist, und der Leser hegt schnell den Verdacht, da wurde gemauschelt. Ich kann Ihnen versichern, so ist das hier nicht. Und das Anpreisen ist auch ein vorbehaltliches: Es gibt schönere Hotels, besser gelegene, preisgünstigere. Aber es gibt wohl nur wenige (ich kenne keines), die für sich und ihre Gäste eine derartig durchdachte Welt aufgebaut haben. Interessant ist hier der ständige Wille zur Perfektionierung des Gesamtkunstwerkes Hochschober (ich habe daran gedacht, den Namen des Hotels zu verschweigen, aber das wäre doch auch albern). Nochmals: Man muss diesen Stil nicht mögen, aber es wäre wunderbar, wenn möglichst viele Hotelbesitzer einmal hier eine Schnupperwoche verbringen und das Gastgeberprinzip mit nach Hause nehmen würden.
Wie eine Monade liegt das Traditionshotel an einer unspektakulären Passstraße zwischen Kärnten und der Steiermark an einem recht kalten See. Wandern und seit einigen Jahren recht gut Skifahren kann man hier, nichts Spektakuläres. Aber man kann in ein eigenes kleines Reich flüchten, das Gäste nur ungern verlassen. Hier ist man sogar dankbar, wenn Schlechtwetter ist, denn dann „darf“ man drinnen bleiben (immer wieder gehört).
Vor über 80 Jahren als Gasthof mit Fremdenzimmern gebaut, ist hier ständig aus-, um- und angebaut worden. Und alles war immer schon ein bisserl anders. Schon damals fließendes Kalt- und Warmwasser auf dem Zimmer! Und Zentralheizung! Die Konkurrenz schüttelte den Kopf. Und die Gäste kamen, die zahlungskräftigeren.
Nach dem Krieg wurde man mit heute seltsam wirkenden Verlockungen angefüttert: In einem offenen Brief an den Gast von 1945 kann man nachlesen, dass es wichtig ist, pünktlich zu den Mahlzeiten zu erscheinen, denn „...meine Speisen sind derartig fettig, dass sie unmöglich kalt genossen werden können.“
Das alles ist lange her. Doch auch später sorgte das Hotel immer wieder für Kopfschütteln: Sauna! Hallenbad! Und das 1967! Danach Telefon in jedem Zimmer, Sat-TV, Außenwhirlpool! Was denn nicht noch alles? Vielleicht eine Seeheizung? Genau! Die kam 1995, eine Erfindung der Hochschober-Crew, ein 25-m-Becken, nach unten offen, wo man sogar im Winter zwischen Eis und Schnee im 30 Grad warmen Wasser plätschern kann.
Aber es kommt noch „schlimmer“. Ein echtes orientalisches Hamam wird gebaut. Nicht ein Dampfbad mit Hamam-Stimmung, nein, ein echtes Marmor-Hamam mit eigens dafür geschulten Hamam-Meistern. Und dann – der Gipfel der Aufregung rundum - mitten im Wald am Bergsee ein chinesisches Teehaus. Vier Stockwerke hoch, absolut original, vom glasierten Dachziegel bis zum Edelholzfußboden.
Und noch immer sitzen sie zusammen, die Familie Leeb mit jetzigem Schwiegersohn Martin Klein, und überlegen sich: „Es muss im Leben doch mehr als alles geben.“ Man geht durchs Haus, geht ums Haus, und sieht – es ist gut. Alles durchdacht: Die Zimmer (sogar an eine Wärmeflasche wurde gedacht). Die Bar. Der Empfang. Die Rauchsalons. Der Wohlfühlbereich mit Saunen da und anderen Saunen dort, mit Pools innen und Whirlpools außen. Föns, Badeanzugstrockner, erstklassige Körpermilchspender, Kleenexboxen, kleine Anstecker für die verwechselbaren Bademäntel. Die Gäste rekeln sich wohlig im Hamam auf rosa Marmor, genießen die frischen Früchte, Milkshakes, Tees, Nüsse und Knabbereien allüberall; schlendern durch die „Seidenstraße“ voller chinesischer Kostbarkeiten zum „Schönen Teehaus am Berg“, plätschern im gewärmten Bergsee. Man ist fast ständig ausgebucht.
Was also lässt man sich da noch einfallen? Man lässt zum Beispiel jeden Mitarbeiter alles ausprobieren, damit er/sie die Arbeit des anderen zu schätzen lernt: Der Chef geht einmal mit zum Zimmerputzen, das Zimmermädchen verbringt einen Tag an der Seite des Chefs, um zu sehen, was der so macht.
Man schickt die Gäste zu „Lieblingsplätzen“ in der Umgebung, mit begleitenden Getränken noch lieblicher gemacht. Man lässt von berühmten Autoren Vorträge über Glück halten, Gäste ihre schriftlichen Glücksmomente an Pinnwänden sammeln. Man baut ein „Wortreich“ an, eine Bibliothek mit gemütlichen Lesesesseln, Lichtquellen, Decken, Lesepolstern und Blick auf den Wald, wo interessante Persönlichkeiten ihre Lieblingsbücher vorstellen.
Und man erfindet die Räumlichkeiten für Ski- und Wanderausrüstung neu. Sonst der grauslichste Raum im Hotel, meist im Keller, verfliest, nass, muffig, kalt, oft einem blutlosen Schlachthof gleichend – hier ein gemütliches, helles „Basislager“ mit Teeküche, Fruchtsäften, einem offenen Kamin und einer Sitzmulde mit der Wanderkarte als Fußboden. Filzsteine, Baumstammpolster; Sonnencreme und Kleenex an einer Spiegelwand. Es ist unglaublich, was immer man brauchen könnte, es ist schon da. Und dazu immer jemand aus der Hoteliersfamilie, der grüßt, nach dem Befinden fragt, mit den Gästen plaudert.
Aber es ist und bleibt ein „Wirts“haus, kein „Gast“haus: Wenn Gäste sich nach Ansicht der Gastgeber nicht entsprechend benehmen, dann wird gerne auf sie verzichtet. Wie der Gast, der sich beschwerte, weil er sich von der behinderten Tochter anderer Gäste gestört fühlte. „Das ist eine Zumutung“ meinte er. Worauf man diesen Herren selbst als Zumutung bezeichnete und hinauswarf. Man leistet es sich und kann es sich leisten, die Promis, die Politiker, die hierher kommen, genauso zu behandeln wie jeden anderen auch. „Wir wollen kein Promi-Hotel sein. Wir wollen gleiche Aufmerksamkeit für jeden. Und wenn irgendjemand an der Bar ein Glas Wasser bestellt, muss es ihm genauso höflich serviert werden wie jemand anderem der Champagner.“
Eine wunderbare Diktatur. Ein Stückchen „Heile Welt“. Platon hätte sich gefreut.