Eran Yardeni
Wenn es darum geht, Integrationsprobleme zu vertuschen, zu verharmlosen und dann zu pulverisieren, so dass man sie nicht einmal mit einer kosmischen Lupe mehr ausfindig machen kann, kennt die Vorstellungskraft des Menschen keine Grenzen.
Neben der Diskriminierung, die manchmal die neurotischen Formen einer akuten oralen Fixierung annimmt, die man sich nicht mehr abgewöhnen kann, und dem Versuch, jede Art von Verallgemeinerung als rassistisch abzustempeln, als könnte der menschliche Diskurs anders funktionieren, gibt es noch eine Alternative, die Umgebung und vor allem sich selbst zu täuschen. Ich nenne das “Leben in einem imaginierten Exil”.
Das Exil als existenzieller Zustand hat einen großen Vorteil: Man kann es problemlos romantisieren, lackieren und dekorieren. Ich kenne keinen Studenten bzw. Studentin für Geisteswissenschaft, die den Sexappeal des Lebens im Exil leugnen kann. Man stellt sich einen Künstler, einen Schriftsteller oder sogar eine ethnische Gruppe vor, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Jetzt müssen sie, wie ein moderner Sisyphus, die Last des neuen Lebens bergauf zu tragen.
Je länger sie im Exil leben, desto stärker wird bei ihnen die Neigung, ihre alte Heimat zu idealisieren. Dann taucht natürlich auch Selbstmitleid auf und die Sehnsucht nach einer Welt, die niemals wirklich existierte. Die Russen vergessen den Gulag und den Kommunismus, die Araber die Armut und den Analphabetismus und die Türken den primitiven Lebensstand in Anatolien. Die Heimat war toll, Deutschland ist Scheiße.
Diese traurige Erfahrung funktioniert auch als künstlerische Triebkraft. Zur lächerlichen Farce wird sie aber, wenn man vergisst, dass das Exil überhaupt nicht erzwungen, sondern freiwillig war und dass die Tore der Aufnahmegesellschaft immer auf bleiben – gefällt es dem Migranten hier nicht, kann er einfach zurück. auch wenn es nicht einfach ist – möglich ist es allemal.
Freilich - die Mehrheit der Menschen ist nicht so dumm ist, wie wir manchmal denken. Zwar sind diese “Romantiker” in ihrer imaginären Exilerfahrung tief versunken, aber immer noch nüchtern genug, um zu wissen, dass es ihnen hier tatsächlich besser geht, dass sie und ihre Kinder hier ein besseres Leben genießen können als in ihrer Heimat, die sie so glorifizieren.
In diesem Moment, in dieser Stunde, in der die Vernunft eine schmale Schleuse findet, geraten die romantisierenden Migranten in eine kognitive Dissonanz. Ihr Traum, ihr erfundenes Exil, droht zusammenzubrechen. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Traum am Leben zu erhalten: Das Exil muss zu einem Härtetest stilisiert werden.
So begeben sich bestimmte Migrantengruppen auf eine surrealistische Reise, um sich selbst zu bestätigen, dass alles hier so schlimm ist, dass die Deutschen kalt und hochnäsig sind, dass die Kultur verdorben ist und dass sie jetzt gezwungen sind, diese Last lebenslang zu tragen. Sie sind aber nicht. Man kann kommen, man kann auch wieder gehen.