Von Eran Yardeni
Im Jahr 2013 führte The European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) in acht verschiedenen EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Schweden, Ungarn und dem Vereinigten Königreich eine Umfrage zum Thema Diskriminierung und Hasskriminalität gegen Juden durch. In diesen Staaten leben 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung der EU. Es war die erste EU-Umfrage, die nicht das Ausmaß des Antisemitismus erkunden wollte, sondern dessen Wahrnehmung durch die Betroffenen. Zielgruppe der Umfrage war demnach nicht die Gesamtbevölkerung der oben genannten EU-Mitgliedstaaten (bzw. deren repräsentative Stichprobe), sondern die dort ansässigen Juden. Der Terminus „Jude“ wurde von den Forschern nicht definiert. Befragt wurde demnach Personen, die sich selbst als Juden betrachteten. Die Frage, ob diese Selbstwahrnehmung religiösen, kulturellen, ethnischen oder irgendwelchen anderen Identitätskomponenten entsprang, war in diesem Kontext irrelevant. Befragt wurden insgesamt 5.847 Personen, die älter als 16 Jahre waren.
Mindestens ein Befund ist für die heutige Antisemitismus-Debatte in Deutschland von großer Relevanz, weil er uns Hinweise über die Anzahl von antisemitisch motivierten Vergehen liefert, die in keine Statistik auftauchen.
Den Jüdinnen und Juden, die schon einmal Opfer eines antisemitisch motivierten Vergehens gewesen waren, stellten die FRA-Meinungsforscher die folgende Frage: Haben Sie oder jemand anderes diesen Vorfall bei der Polizei oder bei einer anderen Stelle gemeldet?
Die Dunkelziffer ist recht hoch
64 Prozent derjenigen, die eine antisemitisch motivierte Gewalttat erlebt hatten, erklärten, den Vorfall nicht gemeldet zu haben. In Bezug auf die Kategorie „Belästigung“ steigt die Anzahl auf 76 Prozent. Bei antisemitisch motiviertem Vandalismus wurden 53 Prozent dieser Vorfälle weder der Polizei noch einer anderen Stelle gemeldet. Schlimmer waren die Ergebnisse, wenn es um Diskriminierung ging. Von denjenigen, die sich aus antisemitischen Gründen diskriminiert wurden, haben 82 Prozent den Vorfall nicht gemeldet. Die Dunkelziffer der antisemitisch motivierten Kriminalität scheint somit recht hoch zu sein.
Die Forscher begnügten sich aber nicht damit. Sie wollten wissen, warum die jüdische Bevölkerung auf antisemitische Angriffe jeglicher Couleur mittlerweile resigniert reagiert. Aus diesem Grund gingen sie einen Schritt weiter und stellten den UmfrageteilnehmerInnen, die schon einmal eine antisemitisch motivierte Belästigung erlebt hatten, die Frage, warum sie nichts unternommen haben. 47 Prozent der Befragten antworteten, dass die Meldung der Vorfälle sowieso nichts ändern würde. 27 Prozent erwiderten, dass „es sich nicht lohnt zu melden, weil es sowieso die ganze Zeit passiert“. Angst vor Rache oder Einschüchterung durch die Täter hat das passive Verhalten bei nur 4 Prozent der Befragten erklärt.
Der Mechanismus läuft also wie folgt: Der Rechtsstaat versagt bei dem Schutz der jüdischen Bevölkerung. Der im Stich gelassene Jude begreift früher oder später, dass Meldungen von antisemitisch motivierten Angriffen sinnlos seien. Als Folge zieht er sich zurück und schweigt. So wird die Statistik durch die Handlungsunfähigkeit des Staates bestimmt.
Zu faul zum Denken
Schlimmer als jede gefälschte Statistik ist die kurzsichtige. Sie zaubert ihre Zahlen und Daten nicht aus einem schwarzen Zylinderhut, deswegen werden diese oft als bare Münze genommen. Und tatsächlich verbreitet sie keine reinen Unwahrheiten, sondern lediglich faule Wahrheiten.
Eine solche faule Wahrheit findet man in der berühmten Feststellung der Berliner Polizei, laut deren Statistik aus den 1.453 gegen Juden gerichteten Straftaten im Jahre 2017 nicht weniger als 1.377 auf das Konto rechtsextremer Täter gingen.
Wenn man ein Hakenkreuz oder einen Hitlergruß per se als Zeichen einer rechtsextremistisch motivierten Tat sieht, als würden diese Symbole in der arabischen Presse nicht ständig benutzt, um Israel und Juden zu verteufeln und zu diffamieren, der lügt nicht unbedingt, sondern ist nur zu faul zum Denken.
Das ist aber schlimm genug.