Jeder freut sich über den Frühling: die Sonne, die Blumen, die Vögel, der Garten, das Bier – alles scheint auf unser Wohlgefallen aus zu sein, deswegen ist es höchste Zeit, da ein paar Haare in die Suppe oder Wermutstropfen ins Getränk zu schütten, damit uns die schlechte Laune nicht frühzeitig ausgeht. Apropos frühzeitig: Das Elend beginnt ja schon damit, daß es immer früher beginnt, denn die Tage werden länger, und das heißt: sie fangen eher an. Das hat wiederum zur Folge, daß die Vögel schon in des Morgens allererstem Grauen mit ihrem grauenhaften Getschilpe und Geziepe loslegen, sodaß der erst spät nachts gedankenschwer ins Bett gefallene Glossenschreiber des wohlverdienten Schlafes nicht und nimmer findet.
Unsereiner pflegt mit Schuldzuweisungen an die Umwelt zurückhaltend zu sein; deswegen brachte ich die Empfindung nicht nur überlauten, sondern mit der Zeit auch noch immer lauter gewordenen Vögelgeschreis zunächst mit dem eigenen Verkaterungszustand in Verbindung. (Nur daß dieser Kater nicht in der Lage ist, den gefiederten Chor auf naturübliche Weise zu dezimieren.) Aber jetzt kommt durch den Berliner Verhaltensbiologen Henrik Brumm die ganze Wahrheit an den Tag: er hat nämlich herausgefunden, daß die Piepmätze in unseren Städten tatsächlich lauter zwitschern als ihre Kollegen auf dem Land. Wissenschaftlich ausgedrückt: um 14 Dezibel.
Das liege daran, daß sie gegen die Stadtgeräusche förmlich anschreien müßten, die Armen. An Werktagen, so steht es in der Fachzeitschrift „New Scientist“, hätten die Vögel daher besonders laut gesungen. Dieses „daher“ gefällt mir: nicht nur rauben einem die Biester den Schlaf, jetzt sind wir auch noch selber Schuld. Übrigens legen sie nicht nur ein paar Dezibel drauf, sondern sie verlegen ihre Beschallungsaktionen auch zunehmend in die ruhigeren Randzeiten. So wie die Ladenöffnungszeiten urplötzlich liberalisiert wurden, so haben auch die Vogelzwitscherzeiten eine deutliche Verlängerung erfahren. Rotkehlchen zum Beispiel singen neuerdings nachts, wenn sie tagsüber mit ihrem Pensum nicht mehr durchdringen, und das belastet sie, sagen die Forscher. Bloß was unsereinen belastet, das ist den Vogelkundlern gleichgültig.
Allerdings habe ich seit neuestem auch das Gefühl, daß sich die Erde etwas schneller dreht, und warte jetzt begierig auf die wissenschaftliche Bestätigung in einer der nächsten Ausgaben des „New Scientist“.