Burkhard Müller-Ullrich / 06.05.2008 / 15:56 / 0 / Seite ausdrucken

Lauter und länger: Die Vögel in der New Economy

Jeder freut sich über den Frühling: die Sonne, die Blumen, die Vögel, der Garten, das Bier – alles scheint auf unser Wohlgefallen aus zu sein, deswegen ist es höchste Zeit, da ein paar Haare in die Suppe oder Wermutstropfen ins Getränk zu schütten, damit uns die schlechte Laune nicht frühzeitig ausgeht. Apropos frühzeitig: Das Elend beginnt ja schon damit, daß es immer früher beginnt, denn die Tage werden länger, und das heißt: sie fangen eher an. Das hat wiederum zur Folge, daß die Vögel schon in des Morgens allererstem Grauen mit ihrem grauenhaften Getschilpe und Geziepe loslegen, sodaß der erst spät nachts gedankenschwer ins Bett gefallene Glossenschreiber des wohlverdienten Schlafes nicht und nimmer findet.

Unsereiner pflegt mit Schuldzuweisungen an die Umwelt zurückhaltend zu sein; deswegen brachte ich die Empfindung nicht nur überlauten, sondern mit der Zeit auch noch immer lauter gewordenen Vögelgeschreis zunächst mit dem eigenen Verkaterungszustand in Verbindung. (Nur daß dieser Kater nicht in der Lage ist, den gefiederten Chor auf naturübliche Weise zu dezimieren.) Aber jetzt kommt durch den Berliner Verhaltensbiologen Henrik Brumm die ganze Wahrheit an den Tag: er hat nämlich herausgefunden, daß die Piepmätze in unseren Städten tatsächlich lauter zwitschern als ihre Kollegen auf dem Land. Wissenschaftlich ausgedrückt: um 14 Dezibel.

Das liege daran, daß sie gegen die Stadtgeräusche förmlich anschreien müßten, die Armen. An Werktagen, so steht es in der Fachzeitschrift „New Scientist“, hätten die Vögel daher besonders laut gesungen. Dieses „daher“ gefällt mir: nicht nur rauben einem die Biester den Schlaf, jetzt sind wir auch noch selber Schuld. Übrigens legen sie nicht nur ein paar Dezibel drauf, sondern sie verlegen ihre Beschallungsaktionen auch zunehmend in die ruhigeren Randzeiten. So wie die Ladenöffnungszeiten urplötzlich liberalisiert wurden, so haben auch die Vogelzwitscherzeiten eine deutliche Verlängerung erfahren. Rotkehlchen zum Beispiel singen neuerdings nachts, wenn sie tagsüber mit ihrem Pensum nicht mehr durchdringen, und das belastet sie, sagen die Forscher. Bloß was unsereinen belastet, das ist den Vogelkundlern gleichgültig.

Allerdings habe ich seit neuestem auch das Gefühl, daß sich die Erde etwas schneller dreht, und warte jetzt begierig auf die wissenschaftliche Bestätigung in einer der nächsten Ausgaben des „New Scientist“.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Burkhard Müller-Ullrich / 30.12.2019 / 06:24 / 236

Kommunikations-Desaster beim WDR – Der Originaltext im Wortlaut

Die deutsche Rundfunkgeschichte bekommt in diesen Tagen ein neues Kapitel, das man noch lange studieren und diskutieren wird. Wie so oft, kam alles unverhofft. Ein…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 10.11.2019 / 06:14 / 35

Wikikafka und ich – Ein Korrekturversuch

Kürzlich bekam ich eine E-Mail von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales mit folgendem Wortlaut: „Mit Ihren sechs Spenden seit 15. November 2012 haben Sie ermöglicht, dass Wikipedia…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 17.05.2019 / 14:00 / 2

Er ist wieder da. Eine kleine Sozialgeschichte des Heuschnupfens

Krankheiten sind immer demütigend, aber es gibt Unterschiede. Was ist zum Beispiel mit einem Leiden, das so unseriös erscheint wie eine Blütenpollenallergie? Im Gegensatz zu…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 16.12.2018 / 06:15 / 12

Nordmanns Tanne

Weihnachten war bis in die jüngste Zeit eine stachelige Angelegenheit. Wer noch vor einigen Jahren eine Fichte vom Weihnachtsbaum-Verkaufsplatz nach Hause tragen musste, bekam davon…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 20.01.2018 / 13:58 / 0

Gepünzeltes Trüffeldüdelü - Zum Tod von Paul Bocuse

Sein Weg als Weltstar war eigentlich ein Riesen-Missverständnis. Denn Paul Bocuse war nur an einem Ort zuhause: in Collonges-au-Mont-d’Or, einem Stadtteil im Norden von Lyon,…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 20.09.2017 / 12:51 / 3

Nullen gab es schon früher

Mathematik, sagt man, sei reines Denken, aber vielleicht ist sie sogar noch mehr, denn zwei plus zwei sind immer vier, egal, ob jemand da ist,…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 14.09.2017 / 17:13 / 2

Ferienende - jetzt wird’s gemächlicher

Jetzt sind wir von den Ferien sehr erschöpft und müssen uns dringend erholen. Willkommen zurück am Arbeitsplatz. Eigentlich sollte es ja andersherum sein: der Urlaub…/ mehr

Burkhard Müller-Ullrich / 06.09.2017 / 15:05 / 3

Endlich wird die Butter teurer!

Es ist leider nicht alles in Butter mit der Butter. Vielmehr steht dieses edle Nahrungsmittel emblematisch für die Krise unserer Landwirtschaft und die Paradoxien der…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com