Mathematik, sagt man, sei reines Denken, aber vielleicht ist sie sogar noch mehr, denn zwei plus zwei sind immer vier, egal, ob jemand da ist, der das denkt. Daraus ergibt sich die spannende Frage, ob die Mathematik auch, wenn es die Menschheit gar nicht gäbe, existieren würde. Wem das jetzt zu negativ vorkommt, dem sei gesagt: das Denken kann gar nicht negativ genug sein! Denken beruht nämlich auf der Fähigkeit, sich Nichtvorhandenes vorzustellen und Vorhandenes im wahrsten Sinne wegzudenken. Dieses Hin und Her heißt Dialektik und gehört zu den Grundfunktionen unseres Gehirns, die wir gar nicht steuern können. Der Kopf hat schließlich keinen Dialektik-Schalter, mit dem sich diese atemberaubend abgründige Bewegung der Gedanken abstellen ließe.
Wo etwas ist, ist nicht nichts, und das Nichts ist folglich die Abwesenheit von etwas, beziehungsweise allem. Das wußten schon die frühesten Philosophen, die wir kennen, weil sie ihre Theorien schriftlich hinterlassen haben: die Vorsokratiker der griechischen Antike. Über das Nichts wußten sie Bescheid, aber die Null hatten sie nicht – so wurde es uns in der Schule eingetrichtert. Aber vielleicht haben sie die Null bloß nicht hingeschrieben? Der erste, der dem Nichts ein Zeichen gab, war angeblich der mittelalterliche Mathematiker Leonardo Fibonacci. Er machte Rechenoperationen mit dem Nichtseienden und wies ihm eine leere Stelle zu, einen Punkt, einen Kringel, also einen Punkt mit einem Loch darin, weil das Loch, wie Tucholsky in seinen Ausführungen „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“ schrieb, „der ewige Kompagnon des Nicht-Lochs“ ist, denn „Loch allein kommt nicht vor“.
Nun zeigt die Datierung einer alten indischen Handschrift, daß anderswo bereits anderthalb Jahrtausende vor Fibonacci mit der Null gerechnet wurde. Überrascht uns das? Nicht wirklich. Sämtliche Zahlen sind die ewigen Kompagnons der Null. Sie ist im Denken immer präsent, weil sie in ihrer Totalopposition zum Sein das Denken überhaupt aus- und möglich macht, und sie ist in der Realität präsent, weil wir von Nullen umgeben sind.
Wir brauchen doch bloß unsere Mitwelt anzusehen: am Arbeitsplatz, in der Regierung, auf der Straße. Dreimal null ist null bleibt null. Man hat den Eindruck die Nullen waren schon alle da, bevor es überhaupt Menschen gab, und sie werden noch lange nach uns da sein. Die oberste Null wird ewig wiedergewählt; ihr Handzeichen ist nichts anderes eine Null. Und ihr Finanzminister wird uns Jahr für Jahr etwas von einer schwarzen Null erzählen.