Gastautor / 29.07.2011 / 15:56 / 0 / Seite ausdrucken

Lafo 2005: Deutsche, wehrt Euch!

Manfred Gillner

„Er will die Staatsangehörigkeit all jenen entziehen, die nicht »die deutsche Sprache sprechen, nach ihrer Leistungsfähigkeit Steuern zahlen und den Sozialstaat finanzieren«. Reiche Steuertrickser und türkische Sozialfälle ausbürgern – so sendet [er] Botschaften nach ganz weit links und ganz weit rechts zugleich. Er spricht vom »deutschen Volk« als einer »Schicksalsgemeinschaft« und sorgt sich, »welche kulturelle Identität Europa am Ende dieses Jahrhunderts haben« soll. »Das Einwanderungsland USA«, menetekelt er, »wird bereits in fünfzig Jahren keine weiße Mehrheit mehr haben.« Die »weiße Mehrheit« in Europa sieht er offenbar durch den EU-Beitritt der Türkei gefährdet, der per Referendum verhindert werden müsse. Er warnt, dass »Bush und Kerry ihre Wähler schon auf Spanisch« ansprechen, und fragt, »wann Spitzenpolitiker in Europa bei Wahlkämpfen die Zuwanderer in ihrer Heimatsprache umwerben«“.

So kritisierte die ZEIT im Jahre 2005 einen deutschen Politiker, den sicher niemand als geistigen Brandstifter für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, geschweige denn für daraus abgeleitete Straftaten, bezeichnen würde. Es ging um Oskar Lafontaine, der damals gerade von der SPD zur WASG gewechselt war. Seine Äußerungen zielten auf Wähler von Links- und Rechtsaußen, so die ZEIT. Lafontaine betrachte „es als Staatspflicht, deutsche Familienväter und Frauen davor zu schützen, dass Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“.

Besonders übel nahm sie ihm, dass er den „Nazi-Begriff ‚Fremdarbeiter‘“ verwendet hatte. Dahinter stecke die Frage nach der Zukunft des Populismus in Deutschland. Und dann dieser Schlusssatz: „Oskar Lafontaine hat verstanden, dass der Populismus in Deutschland aus historischen Gründen nur Chancen hat, wenn er sich einen linken Anstrich gibt und doch hemmungslos das ganze Spektrum extremistischer Ansichten bedient.“ Im ganzen Artikel taucht allerdings der Begriff „Linkspopulist“ nicht ein einziges Mal auf. Hätte Wilders solche Äußerungen getätigt, wäre „Rechtspopulist“ in jedem dritten Satz vorgekommen.

Was aber bringt einen gewieften Taktiker wie Lafontaine dazu, sich in das Risiko medialen Sperrfeuers zu begeben? Die Antwort: Er schätzte den Gewinn, der zu erzielen war, höher ein als den Verlust. Außerdem konnte er sich ausrechnen, dass die Medien entweder gar nicht oder jedenfalls nicht lange auf ihm herumhacken würden – schließlich ist er Linker und kein Rechtspopulist. Der angestrebte Gewinn aber lag tatsächlich bei den Wählerstimmen, wo auch sonst.

Nur in einem Punkt irrt die Zeit: Für Wähler vom linken und rechten Rand wäre Lafontaine das Risiko nicht eingegangen. Er hatte damit eine viel größere Wählerschaft im Auge: Die bürgerliche Mitte. Deren Nerv galt es zu treffen. Die ZEIT spricht von extremistischen Ansichten, das Bürgertum würde es wohl eher als ganz normal, legitim und notwendig bezeichnen, dass man sich unter anderem Gedanken darüber macht, wie viel Zuwanderung eine Gesellschaft will und was sozial gerecht und machbar ist.

Nun beklagt sich im Zusammenhang mit dem Massenmord in Norwegen SPD-Chef Sigmar Gabriel über das Bürgertum, das seinem Parteigenossen Thilo Sarrazin applaudiere. „Da gibt es natürlich auch an den Rändern der Gesellschaft Verrückte, die sich letztlich legitimiert fühlen, härtere Maßnahmen anzuwenden.“ Attentäter wie Anders Behring Breivik hätten dann den Eindruck, der schweigenden Mehrheit zum Durchbruch zu verhelfen: „Das ist ja deren Wahnvorstellung.“

Abgesehen davon, dass es schon immer „Verrückte“ gab, die zum Morden (und anderen Straftaten wie zum Beispiel Brandstiftung) eine politische oder – nicht zu vergessen – religiöse Begründung hernahmen, stellen sich Fragen: Was will denn diese schweigende Mehrheit so Verwerfliches und mit welchem Recht will man eigentlich vereiteln, dass sie sich durchsetzt? Zählen Mehrheiten in diesem Lande nicht mehr?

Der Erfolg von Sarrazins Buch ist ein Indiz dafür, was die Bürger umtreibt. Man kann darauf wetten, dass ein guter Teil der 1,5 Millionen Exemplare auch gekauft wurde, um es „denen da oben“ zu zeigen, ein stummer Protest gegen das Nicht-Angehört-Werden. Michael Klonovsky hat es in einem Zitat auf diesen Punkt gebracht: „Wie zuletzt die Sarrazin-Debatte gezeigt hat, besteht die zentrale Mission der meinungsbildenden Medien dieses Landes darin, den Leuten ihre Alltagserfahrungen auszureden.“

Sarrazin, Kelek, Hirsi Ali, Broder, Maron, Giordano, Balci, Toprak, Ates und wie sie alle heißen erhalten Zuspruch aus der Bevölkerung, weil sie der schweigenden – besser: zum Schweigen verurteilten - Mehrheit eine Stimme geben. Was sie fordern, ist nicht mehr und nicht weniger als eine sachliche Auseinandersetzung darüber, ob unsere Freiheit, unsere Rechte und unsere Werte in Gefahr sind. Dieser Diskurs wäre ergebnisoffen. Dass eine Clique von Ideologen, Politikern, Funktionären, Journalisten und Profiteuren des Ist-Zustandes dies gegen den Willen der Mehrheit nicht zulassen will, darin liegt die wirkliche Gefahr für dieses Land.

Mit welcher Souveränität und Größe man mit anderen Meinungen umgehen kann, das zeigt der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg. An der Meinungsfreiheit werde nichts geändert, auch extreme Positionen wie die von Breivik müsse man aushalten. Norwegen werde nun eine „noch offenere und tolerantere Demokratie“ sein als vorher, sagt er. Währenddessen versucht man in Deutschland, politisches Kleingeld aus der Tragödie zu schlagen und Gegner aus dem Weg zu räumen.

Siehe auch:
http://www.zeit.de/2005/26/Spr_9fche

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