Ich freue mich schon darauf, demnächst in Amerika wieder ein Chlorhühnchen zu essen. Es ist mal eine Abwechslung. Die deutschen Antibiotikahühnchen sind zwar auch lecker. Aber Gewohnheit erzeugt Langeweile.
Deshalb verstehe ich den deutschen Chlorhühnchenkrieg nicht. Die Hühnchenkrieger sind gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen, weil es den amerikanischen Chlorhühnchen erlaubt, zu uns ins Land der Antibiotikahühnchen zu flattern. Ich sage mir: Lass sie doch. So viel besser sind die Chlorhühnchen auch wieder nicht. Sie werden unser mit Antibiotika aufgemöbeltes Federvieh schon nicht verdrängen. Ich finde es sogar gut, dass ich eines Tages frei entscheiden kann, ob ich lieber ein Huhn esse, das zu Lebzeiten mit verschreibungspflichtigen Medikamenten vollgestopft, oder nach der Schlachtung in übel riechendes Chlor getunkt worden ist.
Schwieriger ist der Fall mit dem Fracking. Wie es heißt, wollen die Amerikaner uns mit ihrem umweltzerstörenden Fracking unterwandern. Dabei haben wir doch mit unserer Braunkohle bisher so gute Erfahrungen gemacht. Die ist doch mindestens genauso umweltunfreundlich wie das Fracking. Und sie ist schließlich unsere eigene Umweltsauerei. Wozu brauchen wir dann noch eine fremde amerikanische! Ohne überheblich zu sein, kann man doch sagen: Die Zerstörung der Umwelt durch Braunkohle hat eine lange, erhabene Geschichte und ist darum kulturphilosophisch höherwertig als das neureiche Fracking der Amerikaner.
Andererseits kann man die Sache auch wie die Hühnchen betrachten. Vielleicht ergänzen sich Fracking und Braunkohle ja aufs Schönste. Man könnte überall dort, wo man mit der Braunkohle keinen Schaden anrichten kann, auf das Fracking zurückgreifen.
Aber das sind Details. Chlorhühnchen hin, Antibiotikahühnchen her, Braunkohle hin, Fracking her - die entscheidende Frage ist: Wer entscheidet das alles? Hier lautet die einfache Antwort: Wir nicht. Das Freihandelsabkommen wird in aller Diskretion verhandelt, damit eventuelle Störenfriede nicht wissen, wo genau und wie sie stören können.
Dieses Verfahren der Störervermeidung hat sich mehrfach bewährt. Schon das Europäische Abkommen mit Kanada ist auf diese diskrete Weise weitgehend unbehindert zustande gekommen. Und nach dieser Methode arbeitet ja auch die Europäische Union. Ein nur wenig kontrollierter Beamtenapparat werkelt von der Öffentlichkeit nahezu ungestört vor sich hin. Und wenn schließlich wir Bürger über die Ergebnisse der Brüsseler Tätigkeit informiert werden, können wir die Energie verschwendenden Glühbirnen nur noch zähneknirschend gegen die giftigen Sparbirnen austauschen.
Es handelt sich hier um die schon länger erfolgreich praktizierte wohlwollende Entdemokratisierung. Der Wahlbürger wird von den Gremien, die wirklich etwas zu sagen haben, zu seinem eigenen Guten ferngehalten, damit er sich nicht in Dinge einmischt, die sein Leben bestimmen. In Brüssel werden inzwischen 80 Prozent aller wichtigen Entscheidungen getroffen, wie uns die somit weitgehend entmündigten Bundes- und Landtagsabgeordneten immer wieder fröhlich lächelnd versichern. Während die halbmündigen Europaabgeordneten fern der Heimat ihre eigenen Kreise ziehen.
Bei den Freihandelsabkommen geht diese von offizieller Einmischung befreite Professionalisierung noch einen Schritt weiter. Spezialisierte Schiedsgerichte entscheiden in Konflikten zwischen Staaten und Konzernen, wer Recht hat und wer zahlen muss. Auch dies ist ein Fortschritt, der lästiges, demokratisch legitimiertes Eingreifen überwindet. Unsere eigentlichen unabhängigen Gerichtsbarkeiten, die von den demokratischen Verfassungen vorgesehen sind, können auf dieser überstaatlichen Ebene nicht mehr mit rechtsstaatlichen Belästigungen dazwischenfunken. Damit sind die wohlmeinenden, Werte schaffenden globalen Eliten frei, ungehindert Gutes zu tun.
Und wir Bürger werden endlich wieder auf den harten Kern der Demokratie zurückgeführt. Wir können frei und mündig wählen, ob wir lieber Chlorhühnchen oder Antibiotikahühnchen auf den Tisch bringen wollen. Und darauf kommt es schließlich an.