Die Theatralisierung von Politik hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Staunend sieht das Publikum, wie aus gewöhnlichem Regierungshandeln eine superlativische Showveranstaltung wird, die in jeder Zeitung große Besprechungen bekommt und in den elektronischen Medien eine Nachhallzeit von anderthalb Tagen. Schon die Bezeichnung „Gipfel“ löst ja Höhepunktgefühle aus: eine Sternstunden-Stimmung, in der die unsägliche Nichtigkeit der Inhalte („Praxisgebühr“, „Betreuungsgeld“) gar nicht mehr auffällt. So weit ist es schon gekommen, daß die ganze Republik in eine Art Erwartungs-Ekstase gerät, wenn sich die gewählten Verantwortlichen mal zu einer Besprechung treffen.
Darin spiegelt sich allerdings genau der generelle Kategorienverlust, die Fusion von Wichtig und Unwichtig, die nicht nur in der Politik stattfindet. Normalität wird als Event inszeniert. Der Alltag bekommt eine willkürliche Interpunktion durch künstliche Knalleffekte, fast so beliebig wie die Interpunktion in den meisten Texten heutzutage.
Und so sieht also das moderne Schau-Regieren aus: Ein paar Minister und Parteichefs, darunter die Kanzlerin, verabreden sich zu einer Konferenz, die laut Koalitionsvertrag sowieso als wöchentliche Routine abgehalten werden soll – was jedoch seit einem Jahr nicht mehr passiert ist. Die Verabredung lautet: Sonntagabend, Open End. Schon dadurch bekommt das Ganze einen dramatischen Touch, wie es ihn an einem Mittwochvormittag um zehn Uhr niemals hätte. So aber: Regieren bei Nacht; Regieren im Ausnahmezustand; Regieren in Showdown-Atmosphäre. Mehr noch: Regieren als körperlicher Konditionstest bis um zwei Uhr früh; Regieren an der Erschöpfungsgrenze, an der Grenze der Unzurechnungsfähigkeit durch Übermüdung.
Es ist alles ein einziges Theater: die Suggestion von Strapaze, die Metaphysik der späten Stunde, das Pokern um den Kompromiß. Zwischen Regieren und Regie führen liegen sprachlich bloß drei Buchstaben, faktisch aber gar nichts mehr.