Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 23.02.2007:
Jede Epoche hat ihre weihevollen Wörter. Früher einmal benutzte man das Adjektiv „christlich,“ um einem Vorhaben mehr Renommee zu verschaffen, „christliche Seefahrt“ beispielsweise. Später musste alles was Ansehen genießen wollte „kaiserlich“ sein. Wieder etwas später galt „deutsch“ als semantisches Gütesiegel. In der DDR schmückte man Institutionen wie Armee und Polizei mit der Vorsilbe „Volks,“ um sie attraktiver erscheinen zu lassen. Heute kann man „bio“ oder „öko“ an jeden beliebigen Begriff kleben und schon erstrahlt er im Glanze höherer Moral. Gilt ein Produkt oder ein Verfahren als irgendwie „öko“, fragt kein Mensch mehr, ob tatsächlich ein Vorteil für die Umwelt dabei herauskommt. Der Ökologe Josef Reichholf hat eindrucksvoll beschrieben, wie „Renaturierung“ von Kiesgruben seltene Arten vernichtete, die sich dort angesiedelt hatten. Oder wie die extreme Reinigung von Flusswasser der Natur schadet, weil wichtige Nährstoffe plötzlich fehlen. Auch das Recycling von Plastikverpackungen gilt als „öko“, obwohl dabei oft mehr Energie hineingesteckt als gespart wird. Ebenso der Bio-Landbau, der viel mehr Fläche verbraucht als die konventionelle Landwirtschaft.
Was die Pauschal-Etiketten „öko“ oder „bio“ meinen, bleibt oftmals im Nebel der Gefühle. Bei Betrachtung der Fakten werden rasch Zielkonflikte sichtbar: Energie sparen, Natur schützen, Gesundheit fördern, Recyceln, Luft und Wasser rein halten oder Ressourcen schonen: Alles ist irgendwie „öko“, die Maßnahmen können sich aber diametral widersprechen.
Derzeit sind die Bio-Kraftstoffe im Fokus der Öffentlichkeit. Eine breite Koalition aus Bauernverband, Autoindustrie, Energiewirtschaft und sich „grün“ redenden Politikern preist den energieträger Biomasse als Patenrezept gegen die Klimaerwärmung an. Doch das Erstaunliche: Die Diskussion läuft anders als sonst. Trotz der schicken Vorsilbe wird der Sprit vom Acker nicht kritiklos abgenickt, es gibt auch viel Widerspruch. Das Für und Wider wird ohne Moralkeule diskutiert - und das ist gut so. Bei den meisten Umweltthemen der Vergangenheit hat so ein Wettbewerb der Argumente nie stattgefunden. Sie waren vom ersten Tag an moralisch festgezurrt. Wer Kritik vorbrachte galt als Umweltfeind.
Das es diesmal anders läuft, ist wahrscheinlich dem WWF und anderen Naturschutzorganisationen zu verdanken. Denen wurde mulmig, als sie bemerkten, dass für Biokraftstoffe Tropenwälder gerodet werden. In Malaysia und Indonesien muss der Urwald immer neuen Ölpalmplantagen weichen. Geht der Palmöl-Boom weiter, bekundet der WWF, droht das Aus für die einmalige Fauna der südostasiatischen Regenwälder. Vor lauter Klimapanik opfern wir den Lebensraum der Orang-Utans und anderer seltener Tiere. Der alte Werbespruch „Pack den Tiger in den Tank“ könnte Realität werden.
Aber auch im eigenen Land wird der Biosprit-Boom knifflige ökologische Fragen aufwerfen. Denn Holz wird nun wieder - wie in längst vergangene Zeiten - zu einem wichtigen Energieträger. Nun haben die Ökologen und Naturschützer uns mühevoll beigebracht, dass leergefegte Stangenwälder artenarm sind und dass Totholz eine wichtige Funktion im Ökosystem Wald einnimmt. Nicht nur Spechte und Fledermäuse, sondern auch ein Viertel der in Deutschland lebenden Käferarten und die Mehrzahl der Wildbienen sind darauf angewiesen. Wenn also demnächst wieder jeder umgefallene Baum als wertvoller Energieträger aus dem Wald gezogen wird, würde das vielleicht die CO2-Emission drosseln aber gleichzeitig die Artenvielfalt reduzieren.
Was tun? Derzeit konkurrieren mindestens vier unterschiedliche technische Verfahren zur Treibstoff und Energiegewinnung aus Pflanzenmasse. Es ist noch nicht ausgemacht ob es auf Raps, Mais, Zuckerrohr, Holz oder was auch immer hinausläuft. Wir freuen uns über die ungewöhnlich sachliche Diskussion, denn Wettbewerb ist immer vorteilhaft, nicht nur im ökonomischen Sinne, sondern auch im ökologischen.