News-Redaktion / 18.11.2020 / 10:00 / Foto: Török Levente / 45 / Seite ausdrucken

Justizministerin Judith Varga: „Es ist nicht Ungarn, das erpresst“

Die ungarische Justizministerin Judit Varga gilt als eloqente und kompetente Juristin, sie spricht deutsch, ihre Ausbildung führte sie auch an die Fachhochschule im schwäbischen Nürtingen. Aktuell streiten Ungarn und Polen mit der EU um eine Regelung, die die Zahlung von EU-Geldern an an "EU-Grundwerte" und "Rechtsstaatlichkeit" koppeln soll. Doch der Rechtsstaatsmechanismus basiere auf "willkürlichen, politisch motivierten Kriterien", heißt es in den beiden Ost-Ländern, diesen zu respektieren könne zu einer "Legitimierung der Anwendung von doppelten Standards" bei der Behandlung unterschiedlicher EU-Mitglieder führen.

In dieser Woche droht die letztendlich ideologische Auseinandersetzung die EU in eine schwere Krise zu führen, denn Ungarn und Polen wollen ein Veto gegen das sogenannte EU-Finanzpaket für die nächsten 7 Jahre mit 750 Milliarden Euro Corona-Hilfe einlegen. Dies wird in den Nachrichten meist als "Erpressungsversuch Ungarns" kolportiert, die Ungarn sehen den Vorgang allerdings genau umgekehrt. Judit Varga erklärte gestern in der BBC-Sendung "Hard Talk" und auch auf Facebook, die Position Ungarns. Da über diese hierzlande kaum berichtet wird, hier ihr Text, damit sich die Leser von Achgut.com ein eigenes Bild über den Streit machen können:

"Wir sollten einige Dinge in Bezug auf das Verhältnis zwischen Ungarn und der Union klarstellen, jetzt, wo wir uns der endgültigen Entscheidung über den EU-Haushalt nähern, da die EU-Institutionen, einige Mitgliedstaaten und die Opposition im Lande während der langen Verhandlungen viele Fragen zwischen die Zahlen daruntergemischt haben.

  • Ungarn hat nie gegen Europa, sondern gerade für Europa und die europäische Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder gekämpft.
  • Ungarn bekennt sich dazu, übereinstimmend mit den Gründungsvätern der Union, dass Europa entweder christlich und humanistisch sein wird, oder es wird nicht mehr sein.
  • Die überwiegende Mehrheit der Ungarn und Europäer ist der festen Überzeugung, dass Europa seine Identität und die Grundwerte, die Europa zum lebenswertesten Kontinent der Welt machen, nicht aufgeben sollte.
  • Bei seinem EU-Beitritt im Jahr 2004 hat Ungarn nicht zu einem föderalistischen Europa, nicht zum Globalismus und insbesondere nicht zu einen Vereinigten Staaten von Europa Ja gesagt, sondern zu einem sich gegenseitig unterstützenden und respektierenden Bündnis, das auf starken Nationalstaaten beruht.
  • Mit unserem Beitritt haben wir den Teil unserer nationalen Souveränität nicht aufgegeben, dass wir entscheiden können, mit wem wir in unserem eigenen Land leben wollen.
  • Wir haben dem EU-Beitritt nicht zugestimmt, damit Brüssel für uns definieren kann, was wir als Familie betrachten, was wir Ehe nennen sollten und wer in Ungarn Kinder adoptieren kann und unter welchen Bedingungen.
  • Es ist nicht wahr, dass Ungarn während der Migrationskrise nicht mit den anderen Mitgliedstaaten solidarisch war, da Ungarn mehrere Hundertmilliarden Forint ausgegeben hat, um die Grenzen Europas zu schützen. Wir versuchen, Menschen in Not vor Ort zu helfen, weil wir glauben, dass man nicht die Probleme nach Europa, sondern die Hilfe zu den Not Leidenden bringen soll.
  • Es war nicht Ungarn, das die anderen Mitgliedstaaten wegen ihrer Migrationspolitik angriff, sondern umgekehrt.
  • Es ist nicht Ungarn, das Brüssel und andere Mitgliedstaaten mit verschiedenen, unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit getarnten Anschuldigungen angreift, sondern umgekehrt.
  • Wir sind nicht diejenigen, die die Mitgliedstaaten, in denen es kein Verfassungsgericht gibt, oder in denen die Regierung die Staatsanwaltschaft direkt kontrolliert, oder in denen Richter von politischen Akteuren ernannt werden, kritisieren, sondern umgekehrt.
  • Es waren nicht wir, die Rechenschaft über die Rechtsstaatlichkeit von den Mitgliedstaaten verlangt haben, in denen es in jüngster Zeit die brutalen Angriffe auf Christen regelmäßig geworden sind und antisemitische Attacken immer häufiger auftreten, sondern diese von uns.
  • Entgegen der Behauptung der ungarischen Opposition sind EU-Subventionen und Geldmittel aus dem Kohäsionsfonds keine Spenden, sondern Zahlungen, auf die Ungarn aufgrund der EU-Verträge Anspruch hat. Als Gegenleistung für diese Ressourcen hat Ungarn zum Zeitpunkt des Beitritts viel unternommen, darunter die Öffnung seiner Märkte, den Verzicht auf Zoll- und andere Einnahmen, die Umsetzung des gesamten EU-Besitzstands, sowie die Geltung des freien Kapitalverkehrs (das uneingeschränkte Investitionen kapitalintensiver westeuropäischer Unternehmen ermöglichte). Ungarn leistet auch erhebliche Beiträge zum gemeinsamen Haushalt der Union.
  • Es ist nicht Ungarn, das Brüssel bei den Verhandlungen über EU-Haushaltsmittel erpresst und unter Druck setzt, sondern umgekehrt.
  • Jeder, der die ungarische Geschichte kennt, weiß genau, dass wenn es um die Zukunft unserer Kinder und Enkel geht, die Ungarn keine Kompromisse eingehen, hieße es ein Unabhängigkeitskrieg oder nur ein einfaches Veto."


„Weil das Wasser wegläuft und nur der Stein übrig bleibt, aber der Stein bleibt.“

Foto: Török Levente CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Herbert Müller / 18.11.2020

Ich muss offen eingestehen, die Ungarn sind vernünftige Leute mit Durchblick. Die Ungarn wollen sich nicht durch die EU gängeln lassen, und recht haben sie.

Nico Schmidt / 18.11.2020

Sehr geehrte Achse, irgendwie kommt das in der Presse ganz anders rüber…..... MfG Nico Schmidt

E. Hofmüller / 18.11.2020

Welch eine gesunde Einstellung zu Europa! Wie wünschte ich mir diese von unser Regierung. Bleibt standhaft, liebe Ungarn!

Albert Pflüger / 18.11.2020

Dieser Stellungnahme ist nichts hinzuzufügen!

Peter Petersen / 18.11.2020

Natürlich könnte man zu Ungarn einiges sagen. An Nationalstolz und historischen Spannungen, z.b. mit den Nachbarn Rumänien und der Slowakei, mangelt es nicht. Aber all das sind keine berechtigten Grundlagen für die oft unappetitlichen Angriffe durch westliche Politiker und Medien auf das Land. Wer weiß wirklich über Ungarn? Und so weiß ich über die Politikdetails von Malta, Portugal, Zypern oder Bulgarien auch fast nichts. Die jährlichen Aufmärsche von SS-Veteranen im Baltikum werden einfach totgeschwiegen. Sanktionsandrohungen? Niemals. Auch das historisch mit Ungarn befreundete Polen steht in der Schußlinie weiter westlich. Kleinigkeiten wie ein Richtergesetz werden in Berlin und Brüssel zur Frage von Sein oder Nichtsein. Es geht natürlich um größere Dinge. Ungarn hat das Pech, daß ein US-Milliardär, der es gern militant möchte, ungarischer Abstammung ist. Wenn man sich so Deutschland oder Frankreich heute anschaut, müßten eigentlich ständig EU-Sanktionen ausgesprochen werden. Aber was Hans darf, darf Hänschen noch lange nicht.

S. Marek / 18.11.2020

Bravo Frau Justizministerin Judit Varga. In etwa gleichem Sinne gilt es auch für Polen. Es ist die EU Bürokratie, insbesondere unter Deutschlands Einfluß, d.h. die wo bereits deren eigene Rechtsstaatlichkeit aufgeben und Achtung des Grundgesetzes den Bach heruntergeflossen sind, die das sogenannte EU-Finanzpaket für die nächsten 7 Jahre mit 750 Milliarden Euro Corona-Hilfe mit auf „willkürlichen, politisch motivierten Kriterien“, den EU Haushalt und die Zahlung von EU-Geldern unrechtmäßig gekoppelt haben um die östlichen Nachbarn und EU Mitglieder zu erpressen.

Ulli Funk / 18.11.2020

Für mich weitaus nachvollziehbarer, als die deutsche Politik.

Volker Seitz / 18.11.2020

Ich wünsche diesem Beitrag viele Leser, weil bei uns über Ungarn - auch in den so genannten Qualitätsmedien -meist sehr einseitig berichtet wird.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
News-Redaktion / 16.05.2024 / 13:00 / 0

Umfrage zum Grundgesetz: Menschenwürde wichtig, Asylrecht nicht

Dieses Jahr wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Auch wenn es überwiegend positiv wahrgenommen wird, ist der vielbeschworene Verfassungspatriotismus zu abstrakt, um zu begeistern. Das…/ mehr

News-Redaktion / 16.05.2024 / 11:30 / 0

Niederlande kurz vor neuer Regierung

Nach langen Verhandlungen haben sich vier Parteien auf eine Koalitionsvereinbarung geeinigt. Die Politik der Niederlande dürfte sich deutlich ändern. Nach monatelangen schwierigen Gesprächen haben sich…/ mehr

News-Redaktion / 16.05.2024 / 09:58 / 0

Bundestag hebt Immunität von AfD-Politiker Bystron auf

Der Bundestag hat die Immunität des AfD-Abgeordneten Petr Bystron aufgehoben. In einem kurzfristig aufgerufenen Tagesordnungspunkt stimmten am Donnerstag alle Gruppen und Fraktionen des Parlaments außer…/ mehr

News-Redaktion / 16.05.2024 / 08:44 / 0

Österreichs Regierungspartei will verurteilte Asylbewerber in den Kosovo verlegen

Österreichs Kanzlerpartei ÖVP will künftig straffällig gewordene Asylbewerber in Gefängnisse im Kosovo verlegen. "Dänemark hat ein Abkommen mit der Regierung in Pristina, das erlaubt, Hafteinrichtungen…/ mehr

News-Redaktion / 16.05.2024 / 06:20 / 0

Fico nach Notoperation außer Lebensgefahr

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hat eine Notoperation nach einem Attentat gut überstanden. Sein Stellvertreter Tomas Taraba erklärte, dass die Operation gut verlaufen sei und…/ mehr

News-Redaktion / 16.05.2024 / 06:00 / 0

Opferrente: Dachverband der DDR-Opfer kritisiert Buschmann

Der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Dieter Dombrowski, sprach von einer "großen Enttäuschung". Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland kritisierte er den am Mittwoch…/ mehr

News-Redaktion / 16.05.2024 / 05:54 / 0

Bürgerinitiative will gegen Tesla-Erweiterung in Grünheide klagen

Bürger- und Umweltschutzinitiativen wollen gegen eine Erweiterung des Tesla-Grundstücks in Brandenburg klagen. Das sagte der Sprecher der Bürgerinitiative Grünheide, Steffen Schorcht, dem "Stern". "Wir werden…/ mehr

News-Redaktion / 15.05.2024 / 16:00 / 0

Wirtschaftsweise kappen Konjunkturprognose

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat seine Wachstumsprognose für das laufende Jahr gesenkt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde im laufenden Jahr um 0,2 Prozent…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com