Henryk M. Broder / 27.01.2014 / 09:09 / 13 / Seite ausdrucken

Jeder mordet, so gut er kann

Der Holocaust ist auf seine Weise so singulär wie jeder andere Völkermord auch: der an den Hereros in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, an den Armeniern im Osmanischen Reich, an den Tutsis in Ruanda. Die “industrielle Vernichtung”, die immer wieder als Charakteristikum der “Singularität” angeführt wird, taugt nicht als Alleinstellungsmerkmal. Jeder mordet, so gut er kann. Ob die Opfer in eine Gaskammer getrieben werden, wo sie ersticken, oder in die Wüste, wo sie verdursten, macht am Ende keinen Unterschied – weder einen juristischen noch einen moralischen. Wer die eine Methode “grausamer”, beziehungsweise “humaner” als die andere findet, der hat noch nie vor der Wahl gestanden, sich für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden zu müssen. http://www.welt.de/kultur/article124251623/Auschwitz-ist-heute-ein-Disneyland-des-Todes.html

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Helge-Rainer Decke / 29.01.2014

@ Sehr geehrter Herr Adem Dolas. Ich erlaube mir Stellung zu nehmen zu Ihrer Stellung, was unter einem singulären Ereignis zu subsumieren ist, was nicht. Vorab mein Fazit. Nach dem was Broder auflistend ins Verhältnis, besser “Unverhältnis” setzt, gibt es folglich kein singuläres Ereignis. Überspitzt gefolgert, waren die Verbrechen der Verbrecher an den jüdischen Menschen ein Verbrechen unter vielen. Absurd. Und nun meine Einlassungen im Einzelnen: Herr Broder unterlegt seinen Bericht mit der Tatsachenbehauptung, es sei mehrheitliches Denken und Gedenken an Auschwitz als Ort eines Verbrechens, weil es von singulärem Ausmaß mehrheitlich so empfunden würde. Auf diese Tatsachenbehauptung zimmert er Vergleiche des Unvergleichlichen. Singulär hin oder her. Verbrechen bleibt Verbrechen. Darin besteht wohl Konsens. Was will Broder also wirklich? Sein “vergesst Auschwitz”, weil sich doch wiederholt was menschlich unmenschlich ist. Oder wieder und wieder mahnen und gemahnen, erinnern und trauern. So wie er es aus meinem Horizont selber oft sarkastisch, oder überspitzt, verallgemeinernd, oder gezielt, genant, oder ungenant, in vielen Beiträgen zu den Verbrechen der Nazidiktatur und zum Antisemitismus einforderte. Allein es fehlte das wie, das wo, das mit wem, also das Kairos. Somit hält er sich alle Fragen offen. Pardon, das ist für mich nicht der “Weisheit letzter Schluss”. Ich darf von einem kritischen Geist auch Antworten einfordern.

Ben Wilmes / 28.01.2014

Sicher nicht zynisch gedacht und gemeint, sind Ihre Äußerungen, verehrter Herr Broder , leider dazu angetan den Zynikern und Holocaustverharmlosern Nahrung zu geben. An der Singularität der Shoa besteht für mich nicht der allergeringste Zweifel, andere Kommentatoren haben die wichtigsten Punkte schon aufgezählt. Das ändert nichts, aber auch nicht das Geringste daran, dass andere Völkermorde und Verbrechen zutiefst grausam und verabscheuenswert sind. Nein, wenn man von Singularität im Zusammenhang mit Auschwitz spricht, dann ist das keine Verharmlosung anderer Verbrechen. Und das “Nie wieder” bezieht sich auf alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wer von Auschwitz wirklich erschüttert und ergriffen ist, der ist es auch von allen anderen Gräueln. Die Frage ist: Kann ich durch die Aufklärung über die Nazi - Verbrechen echte Erschütterung erzeugen oder nicht. Wer wirklich durch dieses Entsetzen und diese Trauer hindurchgegeangen ist, der ist ein anderer Mensch. Aber das kann man nicht verordnen. Das ist eine individuelle Gewissensfrage.

Helmut Driesel / 28.01.2014

Ja Herr Broder, schreiben Sie doch einmal darüber, was Macht darf. Macht ist immer authentisch und legitimiert sich selbst, d. h. man hat sie entweder oder man hat sie nicht. Ich meine jetzt ohne das ganze christliche Weichspül-Gelaber. Es gibt nämlich keinen kategorischen Imperativ, der als Transparent über der Menschheit hängt. Es gibt keinerlei biologische, religiöse oder weltlich-juristische Konventionen, die nicht Vereinbarungen von Mächtigen sind. Und die ergo in einer späteren Zeit nicht außer Kraft zu setzen wären oder zu ersetzen von solchen Menschen, die später die Macht dazu besitzen. Das ist eine prinzipielle Frage, von der ich vermisse, dass sie diskutiert wird. Gerade auch im Zuge der allgemeinen NS-Aufarbeitungs-Hysterie.

Adem Dolas / 28.01.2014

Ich nehme Stellung zu Argumenten pro Singularitätsthese: @ T. M. Eppinger: ,,Niemals zuvor oder danach in der Weltgeschichte hat ein tyrannisches Regime danach gestrebt, alle Mitglieder einer bestimmten rassischen, religiösen, ethnischen oder kulturellen Gruppe zu ermorden, gleich, wo diese leben – bis heute nicht.” Dieser Satz ist nicht zutreffend. Natürlich haben Täter versucht, eine wie auch immer geartete Gruppe im Ganzen zu vernichten, soweit sie konnten. Die Nazis haben nicht versucht, die Juden in Kanada zu ermorden. Wären sie dort einmarschiert, hätten sie dies aber getan. Sie sind nunmal von Rhodos bis Skandinavien einmarschiert und mordeten eben dort, wo sie konnten. Die Türken haben Armenier - Mann und Frau, alt und jung - ermordet. Ich zitiere: ,,Der Schwächere muss verschwinden [...] das Endresultat muss die Ausrottung der armenischen Rasse sein” Sükrü Bey, Chef der Deportationsbehörde in Aleppo. Neodarwinismus ist sicherlich nicht von den Nazis erfunden worden und war bereits bei diesem Völkermord unterschwellig tätig. @ P. Hoffmann: ,,Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wollte man jedes Kind, jede Frau,  jeden Mann alt oder jung eines Volkes von Portugal bis Russland, von Norwegen bis Sizilien vollständig vernichten nur deshalb weil sie geboren wurden.” Auch dies ist nicht zutreffend. Sie sagen, man machte keinen Unterschied bezüglich des Alters, des Geschlechts, des Ortes bei der Ermordung einer Gruppe. Während des armenischen Genozids wurden zuerst die Intellektuellen Konstantinopels ermordet, dann die wehrhaften Männer in Arbeitsbetallionen zusammengefasst und ermordet; später Frauen und Kinder - ob jung oder alt - Greise, auf Todesmärchen in die Wüste getrieben; unabhängig davon ob aus Ostanatolien, Schwares Meer, Kilikien..Alles, was sie als ,,singulär” beschreiben, ist keineswegs singulär. @ M. Lahnstein: ,,Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob jemand kurz und bündig erschlagen wird, oder ob ein Leben - bevor es vernichtet wird - über Jahre hinweg systematisch behindert und vergällt wird. Von “Lebensqualität” will ich garnicht reden. Es muß wie ein Jahre andauerndes, langsames Ersticken gewesen sein. Dies mit allem Geschick für Millionen vollbracht zu haben, ist vielleicht singulär. Man könnte die Millionen, die irgendwie knapp dem Desaster entronnen sind, zu den Millionen der Ermordeten hinzuzählen.” Auch hier ist nichts singulär. Wenn es um eine Phase des Ermordens geht: die Armenier wurden im Osmanischen Reich seit Jahrhunderten Opfer von immer wiederkehrenden Massakern, und der Völkermord von 1915 beginnt bereits mit Vorboten - ähnlich dem Shoah - im ausgehenden 19. Jhr mit Abdul Hamid Massakern, Adana-Massakern von Anfang 20. Jhr, um dann in einer ,,Endlösung” von 1915 zu enden. Und auch hier sind über 1 Million Menschen ums Leben gekommen. Ich habe hier den Genozid an Armeniern als Beispiel genommen. Die Shoah ist nicht singulär. Genozide - ob klein oder groß - hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Aus Respekt vor der Wahrheit sollte man - insbesondere den Opfern zu liebe, die ,,Ihre” Wahrheit noch finden müssen, von Singularitätsthese Abstand nehmen. Sie vermehrt das Leiden, sowohl der Opfer des Holocausts, als auch Opfer anderer Genozide, die ihr Leid ,,reduziert” erleben. Danke.

Richard Belzer / 28.01.2014

Die Singularität des Schoa wird doch nur deshalb ständig beschworen, weil man damit den Deutschen ans Bein pinkeln kann. Es geht nur um die Dämonisierung der Deutschen, dazu benutzen insbesondere die Linksradikalen auch gerne Formulierungen wie aus der TV-Werbung, “das Unvorstellbare” etc.. Durch diesen Schuldkult will man die Deutschen weichklopfen, dann kann man sie besser steuern, wie in der DDR.

Karl Krähling / 28.01.2014

Was wir aus der Darstellung der Geschichte – richtiger aus der uns vermittelten Geschichtspolitik - gelernt haben? Dass die Verbrechen, die die Deutschen begangen haben – Sie haben einige davon wieder erwähnt -, die größten der Welt waren. Alles andere war und sind nur Peanuts. Mit Eifersucht wird darüber gewacht, dass dies so bleibt. Ich freu mich, dass immer mehr Frauen zur Bundeswehr kommen, dass aus einer der stärksten Armeen der Welt genau das wird, was wir in den Nachkriegsjahren gefordert haben: „Nie wieder“. Das „Nie wieder“ bezog sich übrigens nicht auf Auschwitz, das ist eine spätere umfunktionierte Version, sondern auf „nie wieder Krieg“! Ich freu mich auch, dass wir bei der BBC-Rangliste unter den Nationen seit längerem einen vorderen Platz einnehmen und auch, dass gern gesehen würde, dass Deutschland noch „mehr Veran-wortung“ übernähme. In diese Falle sollten deutsche Eliten nicht hineingeraten, auch nicht in die, den Islam zu kritisieren – aber davor schützt die meisten zum Glück ihr Geschichtsbewusstsein.

Rudolf Gottfried / 27.01.2014

“Die “industrielle Vernichtung”, die immer wieder als Charakteristikum der “Singularität” angeführt wird, taugt nicht als Alleinstellungsmerkmal.” Stimmt, die Singularität ergibt sich nicht aus der Mordmethode, der Anzahl der Opfer oder der Art ihrer Leidensgeschichte. Die unzweifelhafte Singularität der Shoa ergibt sich einzig und allein aus ihrem Wesen. Der beschlossenen und systematischen Vernichtung eines Volkes, mit dem Ziel, es ein für allemal aus dem Gedächtnis der Menschheit zu löschen.  

Markus Weber / 27.01.2014

Sehr geehrter Herr Broder, wahrscheinlich ist es leider (verzeihen Sie diesen ans Zynische grenzenden verniedlichenden Ausdruck) so, wie Sie sagen, dass nämlich der Antisemitismus in der Welt weit verbreitet ist (wenn man mal die 4 Milliarden Asiaten herausrechnet, für die dieser Begriff so gut wie keine Bedeutung hat) und auch die Aufklärung nicht im Aufeinanderteffen mit dem Nichtwissen ihre schlimmsten Waterloos erfährt, sondern in demjenigen mit dem vorgefassten Wissen. Ein im vorgefassten “Wissen” einer Gesellschaft Angeklagter hat, wie er’s auch wenden will, einen schweren Stand. Antisemitismus ist es wie vieles andere, wenn damit Juden in die enge getrieben werden. Einverstanden. Bzw. ja, das ist verbannungswürdig. Sie kämpfen dagegen an, und das ehrt Sie und Ihr Schreiben. Bleibt mir nur die Frage, ob Sie es für möglich halten, dass mittlerweile auch die Welt der Muslime je nach Öffentlichkeit Opfer dieses rätselhaften “Vorwissens” geworden ist und täglich wird. “9/11 war gut für uns / ein Geschenk / die grösste PR-Aktion zu unseren Gunsten…” das haben jedenfalls im Nachgang zu den Anschlägen auf die Twin Towers keine prominenten Muslime gesagt. Und doch wussten einschlägige Stellen innerhalb der ersten paar Stunden, dass “...Bin Laden in Afghanistan sitzt…und die westliche Welt sich jetzt aber mal gegen den Terror zusammenraufen soll…auch wenn es Opfer und Zugeständnisse an die Lebensgewohnheiten kosten sollte…” Hat man im Gefolge dieser “Schnelldenker” und ihrer Medienpräsenz je eine unabhängige Untersuchung der Anschläge in Angriff genommen? Wahr ist doch: Gut zwölf Jahre später kann es eigentlich nur drei Kategorien von Menschen geben, die über diese Unaufgeklärtheit froh sein können: 1) Die wirklichen Attentäter, wenn sie denn nicht doch zufällig richtig erraten wurden, 2) sämtliche Profiteure dessen, was die schnelle Rage gegen die benannten Täter alles ausgelöst hat, und 3) die Fraktion derer, die sich immer schon für Tatsachenwahrnehmung durch Vorwissen stark machen wollten. Ist doch ernüchternd. Oder? Meiner Ansicht nach wäre jedenfalls im November 2001 viel damit geholfen gewesen, wenn Omer Marmari, Oded Ellner und Yaron Shmuel nicht in Yair Lapids Show aufgetreten wären, sondern z.B. bei Jay Leno oder David Lettermann. Und mit Vertretern aller bedeutenderen Firmen der Telekommunikation und des Nachrichtenwesens (wozu auch Verint und Odigo gehören) hätte man einfach mal deren Verhältnis zur NSA klären sollen. Was das gebracht hätte, kann man nicht einfach so vorweg wissen, aber es wäre weniger plump gewesen, als einfach nur zu behaupten, 4000 Juden seien durch Vorwissen dem jähen Tod entronnen. Eine verächtliche Farce, die sogar weiland schon die Maischbergersche zu ihren rhetorischen Gunsten zu nutzen wusste. Oder anders ausgedrückt: Ein Aschehäufchen, das einmal der Körper eines lebenden Menschen war, inmitten eines etwas grösseren Kokelhäufchens, das einmal ein Automobil war, sind klare Indizien für Selbstmord. Das weiss ein guter Polizist schon, wenn er dran her läuft. Die Moral von der Geschicht’: Es muss einer nur tot genug sein, um auch noch die Schuld an seinem Schicksal mit aufgebürdet zu bekommen.

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