Wolfram Weimer / 31.10.2018 / 10:00 / Foto: Christopher Muncy / 62 / Seite ausdrucken

Je isolierter von Merkel, desto besser die Chancen

In der CDU herrscht Tanzstunden-Stimmung. Mit aufgekratzter Neugier blickt man auf den Parteitag wie auf einen Abschlussball, vor dem man eben noch Angst hatte. Man weiß noch nicht recht, von wem man sich künftig über das politische Parkett führen lassen wird. Doch das sofortige Um-die-Hand-Anhalten wichtiger CDU-Spitzenpolitiker bereitet vielen in der Union sichtlich Freude. Schlagartig diskutiert die Partei über ihre Zukunft, ihre Ausrichtung und die Kandidaten in einer neugierigen Offenheit, die die CDU lange Jahre nicht gekannt hat. Der diskurslahme und loyalitätsgequälte Kanzlerwahlverein wirkt plötzlich wie eine lebendige, basisdemokratische Casting-Community.

Was der Philosoph Jürgen Habermas sich einst als herrschaftsfreien Diskurs für die Republik gewünscht hat, die CDU erlebt es nun für sechs Wochen. Damit hat Angela Merkel sich nicht nur mit ihrer Partei versöhnt, neuen Respekt gewonnen und sich den Abgang doch noch in Würde selbst gestaltet. Sie hat auch der Demokratie in Deutschland einen guten Dienst erwiesen. In den kommenden sechs Wochen wird die halbe Republik debattierend Anteil nehmen an einem Wettbewerb von Ideen und Charakteren. Denn in Wahrheit geht es nicht bloß um einen Parteivorsitz: Wer auf dem CDU-Bundesparteitag am 7. und 8. Dezember in Hamburg als neuer Vorsitzender gewählt wird, hat größte Chancen, auch nächster Kanzler Deutschlands zu werden.

Die CDU hat Glück, dass im Moment der Krise gleich mehrere gute Kandidaten offen in die Feldschlacht treten, wenn auch Armin Laschet noch zögert.

Annegret Kramp-Karrenbauer, im CDU-Jargon nur AKK gerufen, geht als Favoritin ins Rennen, sie wirkt als CDU-Generalsekretärin in der Partei perfekt vernetzt, sie ist allseits beliebt, auf ihr Wort ist Verlass, sie gilt als seriös-integer und doch humorfähig, sozialliberal offen und doch kirchengebunden – sie ist die Kandidatin derjenigen, die einen Rechtsruck vermeiden wollen. AKK hat Mut gezeigt, als sie ihren Ministerpräsidentinnenjob für eine unsichere Parteienmission in Berlin freiwillig aufgegeben hat. Und sie hat beweisen, dass sie schwierige Wahlkämpfe gewinnen kann. Dass sie die klare Rückendeckung von Angela Merkel hat, wird sie tunlichst verschweigen, denn das könnte ihr schaden.

Wie ein Brutus, der noch mit blutendem Messer im Raum steht

Jens Spahn hat eher Außenseiterchancen. Er verkörpert einen echten Generationswechsel und die neo-konservative Merkel-Kritik in der CDU. Das machte ihn über Monate hinweg stark, weil sich hinter ihm alle versammelten, die mit Merkel – vor allem in der Migrationsfrage – nicht mehr einverstanden waren. Genau das aber lässt seine Position auch schwierig erscheinen, denn nun, da Merkel wirklich geht, man sich aber mit ihr versöhnt, wirkt er für manche in der Union wie ein Brutus, der noch mit blutendem Messer im Raum steht. Der Umsturz wird begrüßt, der Umstürzler nicht unbedingt. Spahn könnte aber – anders als AKK – bis Dezember seine Kandidatur zurückziehen, ohne Schaden zu nehmen. Er bliebe Minister und wäre jung genug, um noch zwei, drei Legislaturen zu warten und sich jetzt besser in ein strategisches Bündnis zu begeben.

Die greifbare Kandidatur von Friedrich Merz hat die Chancen Spahns deutlich verkleinert. Sollte Merz tatsächlich antreten, käme ein Erneuerer ohne Brutusmesser, aber mit größerer Erfahrung und Format. Merz steht programmatisch nicht so weit links wie AKK, aber auch nicht ruppig rechts. Er ist gesellschaftspolitisch liberal, dezidierter Europäer und Internationalist, Vorsitzender des einflussreichen Netzwerkes Atlantik-Brücke, das wichtige Verbindungen zwischen den USA und Deutschland knüpft.

Merz verkörpert für viele in der CDU schlichtweg den alten Markenkern der Partei – konsequente Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft, Mittelstandsorientierung und verbindliche Bürgerlichkeit. Der Sauerländer hat maßgeblich die Debatte über eine deutsche Leitkultur geprägt und steht wie kein anderer CDU-Politiker für Wirtschaftskompetenz. Als seine Kandidatur am Montag ventiliert wurde, sprangen an der deutschen Börse die Aktienkurse an, er ist der eindeutige Favorit der Wirtschaft und der Mittelstandsverbände.

Dem Machtsystem Merkel konsequent ferngeblieben

Die Sozialdemokratisierung der Union beurteilt Merz skeptisch, er setzt stattdessen darauf, den Staat vom Bürger her zu denken und nicht umgekehrt – wie einst bei seinem legendären Vorschlag der “Steuer auf einem Bierdeckel”. Er hatte ein Konzept ausgearbeitet, das mit nur drei Stufen das Steuerrecht für die Bürger massiv vereinfachen sollte. Die gesamte Steuererklärung sollte auf einen Bierdeckel passen. Er formuliert zudem präzise Ideen für neue Wege in der Altersvorsorge, der Eigentumsbildung bei Immobilien und der Stärkung von Kapital in Arbeitnehmerhand. Damit hat Merz inhaltlich innovative Elemente auf seiner Seite.

Ein Vorteil ist für ihn zudem, dass er dem Machtsystem Merkel konsequent ferngeblieben ist und dem Regierungshandeln der erschütterten Großen Koalitionen nie angehört hat. So kann er unbelastet Neues fordern und als Reformer frei argumentieren. Und argumentieren kann er gut, er gilt unter den Kandidaten als der rhetorisch beste – was bei einer Kampfkandidatur auf dem Parteitag noch wichtig werden könnte.

Für Merz wäre es eine Genugtuung, Merkel nun abzulösen. 2002 verdrängte sie ihn von der Spitze der Unionsfraktion. Beide rangen jahrelang um die Neuausrichtung der Union, 2009 verließ er den Bundestag, ging – sehr erfolgreich – in die Wirtschaft, hielt sich aber mit Kritik von außen (aus Loyalität zur CDU) bemerkenswert zurück. Das könnte ihm nun nutzen. Manche vergleichen sein mögliches Comeback mit dem von Jupp Heynckes beim FC Bayern München. Der holte hernach das Triple – Merz müsste jetzt erst einmal als Single beim Parteitag überzeugen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

Foto: Christopher Muncy dvidshub , Public Domain, Link">via Wikimedia Commons

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Helmut Inzinger / 31.10.2018

AKK “kann schwierige Wahlkämpfe gewinnen”? Im Saarland gewonnen hat sie eigentlich nur, weil im Zusammenhang mit dem seinerzeit voll in Fahrt befindlichen “Schulz-Zug” ansonsten konkret das Schreckgespenst RotRotGrün als Alternative drohte!

Sabine Heinrich / 31.10.2018

Merz? Er wollte nicht mit dem kritischen Demokraten Tichy auf einer Bühne stehen? Ein Mensch mit einem derartigen Demokratieverständnis taugt nicht für ein hohes politisches Amt! Ob er sich mit dieser in letzter Zeit viel zitierten linksradikalen, menschenverachtenden, aus was für Gründen auch immer nicht zensierten Grölerband vielleicht besser gefühlt hätte? Was die betrifft: Offensichtlich kennt die Mehrheit der Deutschen deren Texte gar nicht - wie kann es sonst sein, dass jüngst hunderte Menschen in Lübeck in die MUK gekommen sind, um der Rede des Sympathisanten und Förderer dieser Hetzer - Buprä Steinmeier -  zu lauschen und wohl auch noch zu applaudieren? (TV, NDR Nachrichten, Schleswig-Holstein). Besonders fein finde ich seine Aufforderung auch an die Migranten (Einwanderer), Mut zu zeigen! Recht hat er! Zeigt Mut! Seid tapfer und traut euch, allein - statt mit 5, 6 und mehr euresgleichen -  Frauen zu überfallen, zu vergewaltigen und Menschen abzustechen. Seid mutig! Auch wenn Frau Merkels Abgang eingeläutet ist - ich sehe keinen Lichtstreif am Horizont; ich sehe nur Pöstchenjäger, Sesselkleber und Leute, denen jedweder Bezug zur Bevölkerung abhandengekommen ist. Vielleicht wird - wie seinerzeit ein Martin Schulz - plötzlich ein Daniel Günther (CDU) hochgejubelt; Aufsteigerqualitäten hat er ja, unvorbelastet - außer der absolutenTreue zu Frau Merkel - ist er auch - also, wer weiß?                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            

Peter Midasch / 31.10.2018

Das ist für mich der Knallerspruch der Woche, vor allem wegen des Bezugs zu Laschet: “Die CDU hat Glück, dass im Moment der Krise gleich mehrere gute Kandidaten offen in die Feldschlacht treten, wenn auch Armin Laschet noch zögert.”  Lieber Herr Weimer, ist das als Scherz gemeint?

Paul Siemons / 31.10.2018

Mich erinnert so einiges an den Schulz-Hype. Oder einen Fußballclub auf einem Abstiegsplatz, der einen neuen Trainer aus dem Turnbeutel zieht: Man liegt derart am Boden, dass jeder bejubelt wird, der etwas von Erneuerung verlauten lässt. Dass das ausgerechnet jemand sein soll, der von den Vereinigten Staaten von Europa halluziniert und sich in den letzten Jahren gemütlich zurück gelehnt hat, während der Karren unaufhaltsam unter stehenden Ovationen in den Dreck geschoben wurde,  ist ein trauriger Witz. Mehr nicht.

Herbert Exner / 31.10.2018

Um Deutschlands willen, doch nicht den Oettinger. Merz wäre für das Land zurzeit die beste Wahl. Wenn er sich durchsetzt, würde die nächste Umfrage für die AfD um mindestens zwei Prozentpunkte niedriger liegen und die CDU wieder über 30 Prozent. Das Verhältnis von Merz zu den Grünen ist noch undurchsichtig. Wenn er wirklich breitflächig Schaden vom Land abhalten will, dann jegliche Koalition nur nicht mit den Grünen.

Rolf Lindner / 31.10.2018

Wer sich von Roland Tichy distanziert, distanziert sich von der freien Presse generell, also auch von Henryk M. Broder und der Achse des Guten, der wird kaum ein Sebastian Kurz sein oder werden. Die anderen Kandidaten kann man noch mehr vergessen. Es sieht trüb aus für die CDU und Deutschland.

Uta Buhr / 31.10.2018

Lieber Herr Weimer, mit diesem Artikel befinden Sie sich selbst im Tanzstundenmodus. Man wiegt sich selig im Walzertakt und hat sich ganz, ganz doll lieb. Naiver geht’s nimmer. Und der sich wie eine DDR-Staatsratsvorsitzende gebärdenden Merkel prognostizieren Sie sogar noch einen Abgang mit Würde. Ihren würdevollen Ausstieg hat diese Frau aus reiner Machtgier schon lange verpasst. Ich kann nur hoffen, dass der perfekte Merkel-Klon Kramp-Karrenbauer den Parteivorsitzu nicht,gewinnt. Denn das wäre die Garantie für ein weiter so und bloß keine Experimente. Aber genau dies kann Deutschland wirklich nicht mehr verkraften. Ein Neuanfang ist nur möglich mit einer Persönlichkeit, die die alten Zöpfe abschneidet und mutig neue Wege beschreitet. Falls dies nicht geschieht, wird die Union dem Abwärtstrend der SPD folgen und im Nirwana landen. Ich sehe in der CDU keine Persönlichkeit, die diese, hehre Aufgabe zu stemmen vermöchte. Am ehesten würde ich den Mut zum Neubeginn Friedrich Merz zutrauen, obgleich ich auch da meine Zweifel hege. Und dies noch zum Schluss: Friedlich und intrigenfrei wird es bei der Wahl des/der neuen Parteivorsitzenden mit Sicherheit nicht zugehen. Im stillen Kämmerlein werden bestimmt schon die Messer gewetzt. Wie heißt es doch so schön: Feind, Todfeind, Parteifreund. Damit ist wohl alles gesagt.

Marc Hofmann / 31.10.2018

Merz verfolgt jetzt schon seit Jahren seine eigenen Interessen einer globalen Finanz- und Wirtschaftsmafia. Merz wird also die Politik der offenen Grenzen der NGOs Globalisten…der grün-Sozialisten Merkel weiterführen.

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