Hansjörg Müller / 14.08.2013 / 11:04 / 22 / Seite ausdrucken

Jakob Augstein: Aussen rot und innen braun

In Deutschland gilt der Journalist Jakob Augstein als einer der herausragenden Vertreter der politischen Linken. In der Online-Ausgabe des „Spiegels“ hat der 46-Jährige eine regelmässige Kolumne, in der er im Zustand dauernder Empörung all das beklagt, was ihn und Gleichgesinnte in Rage versetzt: soziale Ungleichheit, von der er glaubt, sie werde immer grösser, die angebliche Herrschaft des Finanzkapitals und die vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Weltpolitik.

Geboren 1967 als leiblicher Sohn des Romanciers Martin Walser, wuchs Augstein als Ziehsohn von „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein auf. Als dessen Erbe hält er zusammen mit seinen Geschwistern bis heute 24 Prozent der Anteile an dem Nachrichtenmagazin. Ein Portfolio, dass es ihm erlaubt, bar materieller Sorgen seinen Leidenschaften nachzugehen: 2008 kaufte er die Zeitung „Der Freitag“, ein serbelndes Wochenblatt aus den letzten Tagen der DDR. Geld verdienen dürfte er damit kaum: Ganze 15.000 Exemplare seines „Meinungsmediums“ bringt der Jungverleger Woche für Woche unters Volk.

Dennoch: Augsteins Einfluss auf den politischen Diskurs in Deutschland ist nicht zu unterschätzen, und das nicht nur seiner viel gelesenen Online-Kolumne wegen. Augstein beschäftigt die Öffentlichkeit wie nur wenige Publizisten – und seine Ansichten fallen auf fruchtbaren Boden. Gerade eben ist ein neues Buch von ihm erschienen, „Sabotage“, in dem er nicht weniger als das Ende der Marktwirtschaft fordert. „Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen“, heisst es im Untertitel dramatisch. 

Nun hat die Weltgeschichte immer wieder gezeigt, dass Demokratie und Marktwirtschaft Voraussetzungen sind, die einander bedingen. Eine Staatsform, in der das eine ohne das andere existierte, hat es bis jetzt nicht gegeben. Ein Einwand, den Augstein, der von Utopien träumt, vermutlich als zynisch zurückweisen würde. Womit die Sache für ihn erledigt wäre. Denn Augstein ist, um es vorsichtig zu sagen, nicht gerade ein Verfechter des Empirismus: Fakten zählen für ihn nicht allzu viel. Und so tritt er seinen Lesern als Mann gegenüber, der mit der Realität auf Kriegsfuss steht. Er selbst bestreitet dies nicht einmal: „Die Tatsachenmenschen“, so schreibt er, „haben abgewirtschaftet: In der Krise wird deutlich, dass Kapitalismus und Neoliberalismus keine Hoffnung bereithalten.“ Warum das aber so ist, begründet er nicht.

Besonders bizarr offenbart er seinen Unwillen, stringent zu argumentieren, in einem Video-Interview, das bis heute auf dem Internetportal Youtube in Umlauf ist. Wie man denn einem Euro-Skeptiker in einer Diskussion entgegentreten könne, wenn der anfange, mit wirtschaftlichen Daten zu argumentieren, fragt dort ein Stichwortgeber den Autor. Für Augstein ganz einfach: „Du mit deinen Zahlen, du bist irgend so’n Spasti, du verstehst aber gar nicht, was los ist“, solle man seinem Gegenüber entgegenhalten. Um dies zu sagen, brauche man allerdings einen gewissen Mut, der den meisten Politikern leider fehle. In der Tat: Man muss wohl schon mit dem Selbstbewusstsein eines Millionenerben ausgestattet sein, um einen Andersdenkenden als „Spasti“ anzupöbeln, ohne selbst ein einziges Argument vorzubringen.

Kann man Augsteins wirtschaftspolitische Ansichten noch als Kuriosität abtun, so sind seine weltpolitischen Betrachtungen geradezu bizarr. Amerika und Israel sind dabei die einzigen Nationen, die ihn beschäftigen. Deren vermeintliche Missetaten anzuprangern, ist seine Obsession. Keine These ist ihm dabei zu abwegig. „Die militärischen Fähigkeiten der USA haben die Welt offensichtlich nicht zu einem sichereren Ort gemacht“, schreibt er. Warum das „offensichtlich“ so ist, ja, warum es überhaupt so sein soll, vermag er nicht darzulegen. Und so bleibt der Leser verwundert zurück: Bezweifelt Augstein ernsthaft, dass beispielsweise der Sieg der USA im Zweiten Weltkrieg die Welt zu einem sichereren Ort gemacht hat?

Worum es Jakob Augstein wirklich geht, wird in seinen Kolumnen zum Abhörskandal um den US-Geheimdienst NSA deutlich. „Wollen sich die Deutschen dem Joch [der USA] mit stiller Lust beugen, wie Heinrich Manns ‹Untertan› sie empfand (…) oder wollen sie dieser Macht eine Gegenmacht entgegensetzen?“, fragt er rhetorisch. „Im neuen ‹Spiegel›“, so fährt er zustimmend fort, „erklärt der Soziologe Heinz Bude in einem Essay, warum dieses Land endlich seine Rolle als eine der mächtigsten Nationen der Welt annehmen muss.“

Deutschland, das ist Augsteins Leitmotiv, soll 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges endlich wieder auf den Tisch hauen und der Welt sagen, wo es langgeht. Ein Schlussstrich soll gezogen werden: Heute gehe es „nicht um die Geschichte Deutschlands, sondern um die Gegenwart der Welt“. Nein, wer so daherredet, der ist kein Linker. So redet ein Deutschnationaler. Und wie jeder Deutschnationale ist auch Augstein überzeugt, dass es Amerikaner und Juden sind, mit denen das deutsche Volk offene Rechnungen zu begleichen habe. Denn bei seiner Kritik an Israel geht es ihm in keiner Weise um die Sache. Nicht das Schicksal des jüdischen Staates (oder das der Palästinenser) bewegt ihn, sondern vor allem, welche Rolle Deutschland seiner Meinung nach im Nahen Osten spielt. „Wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin dessen Willen“, behauptet er, ganz so, als könne er mithören, wenn Merkel und Netanyahu telefonieren. Der Jud’ befiehlt, der Deutsche spurt, so sieht das aus in Jakob Augsteins Fantasie.

Zu den üblichen Verschwörungstheorien über eine angebliche jüdische Weltherrschaft ist es von da nur noch ein kleiner Schritt – und Jakob Augstein macht auch diesen: Die Regierung Netanyahu, so faselt er, führe „die ganze Welt am Gängelband“. Und so entpuppt sich der angebliche Vordenker der Linken als Rechtspopulist. „Im Zweifel links“ heisst Augsteins Kolumne bei „Spiegel-Online“, doch angesichts dessen, was da steht, sollte sie eher „Im Zweifel rechtsradikal“ heissen, ätzt der Publizist Matthias Küntzel. Aussen rot und innen braun, ist dies das wahre Wesen des Jakob Augstein?

Erschienen in der „Basler Zeitung“ vom 14. August 2013

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Martin Wessner / 14.08.2013

Augsteins Welt ist die der Gefühle. Wer oder was bei ihm das richtige, das gute Gefühl erzeugt, der oder das hat Recht. Wer oder was bei ihm das falsche, das böse Gefühl erzeugt, der oder das hat Unrecht. Logiken, die man eigentlich nur von Wesen kennt, die sich als Kind für rosa Diddl-Mäuse und weiße Einhorns interessierten.

Andreas Schwichtenberg / 14.08.2013

Dazu noch zwei schöne Interviewzitate vor Herrn Augstein über die AfD und deren Vorsitzenden Lucke: „Das sind lauter VWL Professoren, die können Ihnen genau vorrechnen warum der Euro nicht funktioniert, aber die haben halt nicht begriffen […] dass der Euro und überhaupt alle Politik nicht etwas ist, dass man nur ausrechnen kann, sondern was mit Werten zu tun hat, mit Entscheidungen und mit Prioritäten.“ Die Leute wie dieser Lucke [… ] sind Zahlenpopulisten, das sind also Leute, die tun so, als wären Zahlen Wirklichkeit, soweit stimmt das aber nicht, weil Zahlen sind nur ein Aspekt der Wirklichkeit. Das sind Leute, die tun so als könne man Wirklichkeit ausrechnen […] und ein guter Politiker müsste eigentlich diese Zahlenmagie und diese Zahlenillusion wegfegen und sagen: ‘Du mit deinen Zahlen, du bist irgend so ein Spasti, […] du verstehst überhaupt gar nicht was los ist, du begreifst die Welt gar nicht, du konzentrierst dich auf deine Zahlen, aber deine Zahlen lügen’....“ Die Zitate beschreiben recht schön Herrn Augsteins Weltsicht. Als könnte man sich über die Zahlen, und damit letztlich über die Fakten hinwegsetzen, nur weil man etwas für wichtig hält. Ich stell mir da immer eine Diskussion zwischen Pilot (z.B. Lucke) und Passagier (Augstein) vor: Pilot: „Wir können nicht über den Atlantik fliegen, die Berechnungen haben ergeben, dass uns vor Grönland der Sprit ausgeht.“ Passagier: „Sie haben doch gar nicht begriffen, wie wichtig es ist, pünktlich anzukommen, Sie konzentrieren sich alleine auf ihre Zahlen, aber Sie haben doch den Gesamtzusammenhang nicht begriffen.“ Es scheint mir, dass Herr Augstein so über Politik denkt. Eines hat Herr Augstein wohl nicht begriffen: Das Ausrechnen, und nur das Ausrechnen, den möglichen Handlungsraum ergibt, innerhalb dessen sich jede Politik bewegen muss, wenn sie erfolgreich sein soll. Die Zahlen sind nicht der Gegenpol von Werten, sondern das einzige realistische Werkzeug um Werte zu erschaffen, sowohl bei materiellen als auch bei ethischen Werten.

Hans Senn / 14.08.2013

Wäre Augstein nicht Augstein, könnte er seine abstrusen Ansichten wohl nicht regelmäßig auf Spiegel Online verbreiten. Seine Kolumnen gehören zum Dümmsten und Ärgerlichsten, was es in der deutschen Presselandschaft zu lesen gibt. Ich frage mich, ob niemand beim Spiegel diesen Mann stoppen kann, denn das abgrundtiefe intellektuelle Niveau seiner Kolumnen wird für dieses Qualitätsblatt zu einem echten Image-Problem.

Jan Hof / 14.08.2013

Frühneuzeitliche Christen predigten von Teufel und Hölle, die Augsteins dieser Republik von Amerika, Israel und dem Kapitalismus. Das ist mehr Lifestyle als politische Einstellung. Als deutschnational, also als Nationalisten, würde ich ihn nicht bezeichnen. Er rotzt nämlich auch mal gern in die (historisch unschuldige) schwarzrotgoldene Fahne rein. Das ist einfach ein Wichtigtuer.

Hildegard Behrendt / 14.08.2013

Wozu der letzte Fragesatz?? Augstein ist eindeutiger als eindeutig.

Nils von der Heyde / 14.08.2013

Da zu fällt mir ein angeblicher Witz von 1932(!) ein. Prof. Bronstein sitzt im “Romanischen Cafe” zu Berlin, und er liest in einer Zeitung. Herein kommt seine Sekretärin, sieht und grüßt ihn. Er winkt sie zu sich und bestellt ihr ein Glas Tee. Plötzlich schreckt die Dame auf: “Herr Professor, Sie lesen ja den STÜRMER?!” Der lächelt und sagt: “Ach wissen Sie, wenn ich die Ullstein- Presse lese, erfahre ich nur, wie schlecht es uns Juden geht, Progrome etc. Im STÜRMER dagegen lese ich, die Juden herrschten weltweit über Wirtschaft und Kapital, sie hätten berühmte Schriftsteller, Dichter und Komponisten. Das lese ich einfach lieber.”

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