Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 19.03.2007 / 19:39 / 0 / Seite ausdrucken

Iran braucht die Bombe

Wenn man regelmäßig Kommentare in britischen Zeitungen liest, dann steigt damit unweigerlich die Schmerzgrenze, es tritt nämlich eine Art Gewöhnungseffekt ein. Aber gelegentlich kommt es dann doch vor, dass man Dinge liest, die man so klar ausformuliert dann doch nicht hätte erwarten wollen. So zum Beispiel heute: Da schreibt David Cox auf der Kommentar-Website des Guardian über das iranische Atomwaffenprogramm:

If Iran wants nuclear weapons, it is going to get them. The indications are that it does want them, and with good reason. ... The British government has just announced that it considers nuclear weapons essential to its own security, for reasons far less obvious than those that must occur to any Iranian. British politicians are also in the habit of pointing out that possessing the Bomb guarantees global influence, something which Iran might well covet.

Kleiner Unterschied vielleicht zwischen Iran und Großbritannien: Dort regieren die Mullahs, hier nur New Labour. Aber egal.

Within living memory, Iranians have seen foreign powers invade their country, appropriate their oil resources and impose puppet rulers on them. Fewer than 20 years ago they were fighting an eight-year war on their border that claimed more than a million lives. It is entirely understandable that they should now wish to maximise their security. Any regime in Tehran that neglected to develop nuclear weapons would arguably be failing in its duty.

Es gibt noch eine ganze Reihe von Punkten, an denen man dem Regime in Teheran vorwerfen könnte, dass es seine Pflichten nicht erfüllt. Wie sieht es etwa bei den Menschenrechten aus? Macht aber nichts. Das Wichtigste ist wirklich, dass man sich gegen die bösen Aggressoren USA und Israel schützt, meint Mr Cox.

As long as the “international community” maintains that a nuclear Iran is unthinkable, Israel will be tempted to mount a pre-emptive strike against Iranian facilities, even if the US lacks the stomach to do so itself.

Jetzt wissen wir endlich, wer der wahre Störenfried in der Region ist: Israel, wer sonst? Dort nutzt man die Bedenken der internationalen Gemeinschaft aus, die Mr Cox in Anführungszeichen gesetzt hat, als ob es sie gar nicht gebe.

Currently, Israel’s nuclear status unsettles its neighbours, while Israel itself has to be constantly primed to defend its advantage. A nuclear stand-off might help to stabilise the area, just as it stabilised Cold War Europe.

Klasse Idee. Cox’ Logik zufolge hätten die Alliierten Hitler ein wenig mehr Zeit geben sollen, um seine V2 mit Atomsprengköpfen auszustatten, um daraufhin ein friedliches Gleichgewicht mit Hitler-Deutschland herzustellen.

Aber war da nicht noch etwas mit einer angeblich aggressiven Außenpolitik des iranischen Präsidenten? Nein, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, beruhigt uns Mr Cox:

What, though, about President Ahmadinejad’s infamous threat to wipe Israel of the map? Well, there never was any such threat. What Ahmadinejad actually called for was merely regime change in Jerusalem, and, unlike President Bush in Iraq, he was not proposing to bring it about himself. Demagogues go in for bluster; it is not always to be taken at face value.

Ahmadinejad wollte also nur einen “Regime”-Wechsel in Jerusalem herbeiführen, ihn aber nicht selbst herbeiführen. Komisch nur, dass er immerfort von “Wipe Israel off the map” spricht. Aber das war wohl nur eine rhetorisches Stilmittel, und Demagogen muss man ja auch nicht immer so wörtlich nehmen.

Es gibt aber dann doch noch eine Art Restrisiko im Falle eines nuklear bewaffneten Irans, sagt Mr Cox:

It does of course remain possible that some future leader of a nuclear-armed Iran would indeed abuse his position. Unfortunately, this is a contingency that the world is in any case powerless to eliminate. Vainly trying to do so will create more immediate dangers. Accepting the inevitable now looks like the lesser of the two evils confronting us.

“Some future leader” vielleicht - aber doch nicht der friedliebende Präsident Ahmadinejad, der immer so freundlich lächelt. Und selbst wenn es einmal zu einem kleinen regionalen Atomkrieg kommt: ihn zu verhindern, wäre noch viel gefährlicher, meint Mr Cox.

Vielleicht noch eine Information zu David Cox: Er ist ist kein publizistischer Amateur mit außenpolitischen Halluzinationen, sondern ein durchaus erfolgreicher britischer Journalist und Fernsehproduzent:

David Cox is a writer and television producer. He has contributed to many publications, including the New Statesman, Prospect, the Guardian, the Times, the Independent, the Daily Telegraph, the Observer, the Sunday Times and the Evening Standard, mainly on communications and environmental issues.

He has made programmes for ITV, the BBC and Channel 4, mainly about current affairs and history.

Viel Dummheit und Verblendung ist man gewohnt, aber doch nicht soviel auf einmal. Mir fehlen gerade die Worte.

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