Rainer Bonhorst / 24.01.2024 / 11:30 / Foto: RB/Achgut.com / 65 / Seite ausdrucken

Ich wäre gerne mitmarschiert

Schade, ich bin zu den großen Demonstrationen gegen rechts leider zu spät gekommen. Ich wäre so gerne mitmarschiert.

Aber ich war zu langsam. Weil ich vor dem Losmarschieren erst noch überlegen wollte, gegen wen genau da marschiert wird. Mit anderen Worten: Was ist denn das Rechts, gegen das ich marschieren sollte. Ich hätte es mir natürlich leicht machen können mit der klassischen Definition: Rechts ist dort, wo der Daumen links ist. Aber etwas genauer wollte ich es schon wissen. Offiziell sollten sich die Märsche ja „gegen Rechtsextremismus und für Demokratie“ richten. Da bin ich dabei. Für Demokratie sowieso. Gegen Rechtsextremismus ebenso. Ich bin ja auch für das Gute und gegen das Böse.

Das Problem war die Verkürzung. Marsch gegen rechts. Rechts von wem oder was? Rechts von mir? Da ist eine Menge Platz. Aber wenn ich gegen alles, was sich rechts von mir aufhält, marschieren wollte, würde sich gleich die Demokratie-Frage stellen. Rechts von mir darf man ja sein. Der Aiwanger ist zum Beispiel rechts von mir. Aber der darf das. Das ist das Problem mit der Demokratie, dass man ziemlich viel darf. 

Im Ruhrgebiet hatten wir früher die ideale Demokratie-Formel. Sie widmete sich der Frage, was ein Kind darf, und was nicht. Frage: Darf dat dat? Antwort: Dat darf dat. Dat dat dat darf. Ich finde, man kann das demokratische Prinzip kaum besser formulieren.

Aber irgendwo ist dann doch eine Grenze, wenn wir keine Waschlappen-Demokratie sein wollen. Wer die Demokratie abschaffen will, verdient, dass man ihm der Marsch bläst. Rechtsextremisten zum Beispiel. Linksextremisten auch? Da lautet die Antwort wie bei Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Aber wenn Linksextremisten beim Marsch gegen rechts mitmachen, gelten sie während des Marsches als Ehrendemokraten auf Zeit.

Die Märsche sollten sich also gegen erklärte Neonazis und den neonazistischen Flügel der AfD richten. Zum Beispiel gegen Leute, die neulich in der Villa Adlon bei Potsdam angeblich eine Art Wannsee-Konferenz veranstaltet und Deportationspläne geschmiedet haben sollen. Würde das so stimmen, hätte es mir Spaß gemacht. Aber die real existierenden Märsche fanden ja nach dem Schrotflinten-Prinzip statt: eine viel breitere Streuung. Gegen alles, was rechts von irgendjemandem ist. Darum mein langes Überlegen und meine Verspätung. Man will ja keine Kollateralschäden verursachen. 

Im Übrigen kann man Rechtsextremisten auch bewegungsärmer entgegentreten. Was mir sowieso entgegengekommen wäre. Zum Beispiel kann man es juristisch versuchen. Oder gar politisch.

Das juristische Vorgehen unterscheidet sich vom Marschieren dadurch, dass man da ziemlich präzise sein muss. Da kann man nicht so tun, als kämpfe man gegen Rechtsextremisten und rennt in Wahrheit gegen die ganze AfD an. Bei einem Marsch kommt es nicht so sehr auf Details an. Es sei denn, man betrachtet die ganze AfD als rechtsextrem.

Das wiederum würde ein neues Problem erzeugen. Wer gegen einen so breit gestreuten Feind marschiert, sollte wissen, dass die, gegen die marschiert wird, zahlreicher sind als die Marschierenden. Die AfD wird in den Wahlen dieses Jahres wahrscheinlich von mehr Menschen gewählt, als jede einzelne Regierungspartei auf die Beine stellen kann. Alles verfassungswidrige Rechtsextremisten? Also, ich weiß nicht. Wirkt auf mich etwas übertrieben.

Erschwerend kommt hinzu, dass die AfD-Wähler nicht auf die Straße gehen, sondern zur Wahlurne. Das ist natürlich hinterhältig, aber in einer Demokratie erlaubt.

Die dürfen dat. 

Eine Alternative für die Auseinandersetzung mit der AfD wäre beispielsweise die Brechtsche: Die Regierung wählt sich einfach ein neues Volk. Das wäre bei einigen Regierungsmitgliedern sicher der bevorzugte Weg. Er ist aber in der Verfassung nicht vorgesehen. 

Oder die Regierung versucht es tatsächlich mit Politik. Das ist allerdings die lästigste Alternative. Sie bedeutet, dass die Regierung eine Politik macht, die die Leute nicht scharenweise in die Arme der AfD treibt. Aber das ist eine ziemliche Zumutung. Schließlich wissen die Regierenden doch ganz genau, dass sie recht haben. Sie wissen, was gut für uns ist, und sie wissen, dass das Volk zu seinem Glück nun mal gezwungen werden muss. 

Was man auch tut: Es ist eine klassische Lose-Lose-Situation.

Im Zweifel also erst mal marschieren. Mal sehen, was es bringt. Vielleicht wird man dadurch die Problemzone AfD los. Vielleicht laufen die Leute jetzt in Scharen dieser lästigen Partei weg. Und kehren reumütig zurück zu CDU/CSU und zu Rotgrüngelb. 

Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht entsteht stattdessen eine Alternative zur Alternative für Deutschland. Eine AAfD. Wie die Sahra-Wagenknecht-Alternative zur Linken. Vielleicht würde sich die AAfD einfach Werteunion oder WU nennen. Was wäre die dann? Wäre sie dreiviertelrechts, so wie Sahras Bündnis dreiviertellinks ist? Käme so eine Werteunion noch als Ziel von Protestmärschen infrage? Oder wäre sie draußen vor?

Fragen über Fragen. Die habe ich mir alle gestellt und darum den großen Marsch verpasst. Hätten die Veranstalter der Märsche klar gesagt, dass sie gegen das Böse und für das Gute marschieren, wäre ich wahrscheinlich noch rechtzeitig dazugestoßen. Aber so? Es sind immer die Details, die einem dazwischenfunken.  

 

Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.

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Leserpost

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Reinhard Schropp / 24.01.2024

“Den Zustand einer Demokratie erkennt man am Umgang mit der Opposition.” Mir unbekannter Urheber.

W. Renner / 24.01.2024

Ich wäre auch gerne gegen die rechtsextremistische Bundesregierung, welche Terroristen die offiziell die Vernichtung Israels fordern, unterstützt, mit marschiert. Aber ich fürchte, man hätte mich missverstanden.

THReinhardt / 24.01.2024

Spätestens wenn ein Bundeskanzler bei einer Demo mitläuft, müßte doch auch jedem mentalen Leichtgewicht klar werden, daß er auch gerade im FDJ-Hemd und mit einem Winkelement fröhlich an der Tribüne von Erich und Egon vorbeilaufen könnte. Das waren doch keine Demos, das war organisiertes Mitlaufen für Mitläufer, deswegen heißen die auch so. Ich war nicht dabei, weil ich rechts mag, genauso wie links. Manchmal gehe ich beim ALDI immer nur rechtsrum, weil alle linksrum laufen und frage mich, ob das jemandem auffällt.

Yehudit de Toledo Gruber / 24.01.2024

Eigentlich wollte ich mir das lesen Ihres Artikels sparen, denn ich las die dazu gehörigen Kommentare zuerst ... Es ist doch ganz simpel, sehr geehrter Herr Bonhorst, wenn Sie hin und hergerissen, zweifelgeplagt oder verunsichert sind, bräuchten Sie doch nur ein wenig mehr Zeit und Interesse zu investiereren und sich einmal unabhängige, sachliche Berichte, Artikel in den Internetforen durchzulesen und vor allem die Bundestagsdebatten verfolgen.  Und sich außerdem mal darüber zu informieren, welche Anträge die “Alternative für Deutschland” im Bundestag stellt, und wer diese mit welchem Grund, in welcher Art und Weise und wie oft abschmettert! Ganz erstaunlich zu lesen und zu begreifen, daß die wirklichen Antidemokraten und Radikalen auf den Regierungsbänken sitzen. Meines Erachtens muß man auch nicht immerzu mit-marschieren und demonstrieren, sondern sich zeitgemäß, seriös und umfassend informieren und dann sein eigenes Gewissen entscheiden lassen, statt Demo-Aufrufern zu folgen.

Julian Schneider / 24.01.2024

Die paar Hansel tatsächliche Rechtsextreme sind zwar unangenehm und unappetitlich. Ich habe selbst einmal einen Nachmittag mit einem wirklichen Rechtsextremen verbracht und selten einen größeren Vollidioten kennengelernt. Aber die Linksextremen und Linken sind Legion. Und sie haben derzeit die Macht. Und sie sind fanatisch, ideologisch, infantil und dumm wie fünf Meter Feldweg. Sie zerstören das Land, das Volk und unseren Wohlstand. Und während für sie jeder Nichtlinke ein Rechter und damit gleich Rechtsextremer ist, ist für mich jeder, der nicht den wirren linken Gedankengängen folgt, nicht rechts, sondern ein Mensch mit Verstand und Vernunft. Mit rechts hat das Nullkommanull zu tun.

H. Nietzsche / 24.01.2024

“Nie wieder Sozialismus!!” Ob braun oder rot. Daran hat sich seit 89 nichts geändert. Da bin ich auch wieder dabei.

Christoph Schriever / 24.01.2024

Ein ehemaliger Chefredakteur einer Zeitung sollte wissen, dass Nazis links waren. NationalSOZIALISTEN. Rechts ist also nicht Nazi und Nazi ist nicht Rechts. „Rechts“ ist bürgerlich im Sinne von fair und gerecht. Das Gegenteil von links, link und verlogen mit Tendenz zu schmuddeligen Verkommenheit. Das Wort „rechtsextrem“ ist eine Erfindung der verlogenen Linken. Es gibt kein „rechtsextrem“. Rechtsextrem ist schlich unmöglich. Entweder jemand ist im Recht oder er ist im Unrecht. Extrem im Recht ist ebenso Quatsch wie extrem schwanger. Das gibt’s auch nicht. Mehr als schwanger geht nicht. Politisch geht mehr als Rechts ebenfalls nicht. Weil es rechtsextrem nicht gibt, gibt es auch linksextrem nicht. Die Linken landen mit der Zeit immer im Extremen. Doch das hat nichts mit Extremismus zu tun sondern einfach nur mit der Zeit, in denen man die Linken links sein läßt ohne sie nach rechts zu korrigieren. Die Linken verkommen mit der Zeit immer mehr, weil sie nicht auf dem rechten Weg sind. Dass das so ist kann man sehen und in tausend Geschichtsbüchern lesen.

Günter H. Probst / 24.01.2024

Seien Sie vorsichtig mit dem Guten. Sie wissen vielleicht, daß im Umkehrschluß vom Faust auch gilt: “Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will, und stets das Schlechte” schafft. Abschaltung von Kernkraftwerken, wegen Strahlung und Resten, galt bei Guten stets als gut. Die Folgen: Steigende Strompreise und Abwanderung stromintensiver Industrien sind eher schlecht. Menschen aus selbstverschuldeter “Seenot” zu retten, ist gut von den Guten. Die Folgelasten den Bösen aufs Auge zu drücken, ist eher schlecht. Usw.

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