Neue Studie berechnet Folgen eines abrupten Versorgungsstops mit russischem Erdgas.
Ein abrupter Versorgungsstop mit russischem Erdgas – sei es durch ein Embargo von EU- oder russischer Seite – würde die Produktion in Deutschland in den ersten 12 Monaten um 114 bis 286 Milliarden Euro einbrechen lassen, heißt es in einem Bericht des Informationsdiensts Wissenschaft über eine neue Studie von Prof. Dr. Tom Krebs von der Universität Mannheim, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung gefördert habe.
Das entspräche einem Verlust von rund 3 bis 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zusätzlich zu diesen angebotsseitigen Effekten wäre demnach mit einem nachfragebedingten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgrund höherer Energiepreise zu rechnen. Wenn Verbraucher weniger für andere Güter ausgeben könnten und die Unsicherheit zunehme, dürfte das die Wirtschaftsleistung um weitere 2 bis 4 Prozent reduzieren. Damit wäre durch ein kurzfristiges Erdgas-Embargo ein wirtschaftlicher Einbruch auf dem Niveau des Corona-Jahres 2020 oder der Finanzkrise im Jahr 2009 zu erwarten, habe der Professor für Volkswirtschaftslehre geschrieben. Es „könnte jedoch auch zu einer Wirtschaftskrise führen, wie sie (West)Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat“, hätte Krebs gewarnt.
Die sozialen Folgen einer derart zugespitzten Energie-Krise schätze der Ökonom mit hoher Wahrscheinlichkeit gravierender ein als 2009 oder 2020. Denn die deutsche Wirtschaft stehe nach zwei Jahren Corona-Ausnahmezustand durch globale Lieferkettenprobleme unter Druck. Hinzu komme der mit dem Klimawandel begründete Transformationsdruck. Die Handlungsmöglichkeiten der Wirtschafts- und Geldpolitik wären dagegen angesichts der Ausgaben zur Abfederung der Corona-Krise und angesichts der hohen Inflation sehr eingeschränkt. Die Preisschocks bei Energie und Nahrungsmitteln würden zudem „überwiegend die unteren und mittleren Einkommen“ treffen, „so dass soziale Spannungen verschärft werden.“
Ein abruptes Ende von russischen Erdgaslieferungen halte der Mannheimer Ökonom nach seinen Berechnungen für volkswirtschaftlich hoch riskant. Sich in einem überschaubaren Zeitraum bis 2025 aus der Abhängigkeit von russischen Erdgasimporte zu befreien wäre dagegen weitaus leichter. „Wenn es um Erdgas geht, besteht ein erheblicher Unterschied zwischen einem Anpassungszeitraum von maximal einem Jahr und einem dreijährigen Anpassungszeitraum“, wird Krebs vom Informationsdienst Wissenschaft zitiert.