Am Zugang zum Strand von Islita, geschützt durch ein Dach aus Ziegeln und Palmwedeln, stehen sechs rotbraune Mülltonnen. Plastik, Glas, Metall, Kokosnussreste und anderen Abfall soll man da versenken - getrennt natürlich. Erstaunlich, fanden wir. Zumal der Strand nicht etwa in Spanien liegt, wo sie abfallwirtschaftlich stellenweise bis an die Zähne gerüstet sind. Sondern im mittelamerikanischen Kleinstaat Costa Rica, der zwischen Nicaragua und Panama klemmt. Costa Rica galt zur Hochzeit der berüchtigten United Fruit Company als Inbegriff einer Bananenrepublik. Und jetzt dies!
Zusätzlich irritiert waren wir, als wir erfuhren, dass die ganze Pazifikprovinz namens Guanacaste, wo Islita liegt, nicht eine einzige Mülltrennungsanlage besitzt. Geschweige denn eine Möglichkeit, die getrennten „Wertstoffe“ wiederaufzuarbeiten, abgesehen von einzelnen Betrieben, etwa Bananenplantagen, die ihre Schutzfolien aus Plastik wiederverwerten.
Im ganzen Land – etwa so groß wie Niedersachsen - gibt es keine moderne Recyclingfabrik. Wozu man ihm, dem Land, eigentlich nur gratulieren kann. Denn es ist vermutlich besser, den Müll zu sammeln, um ihn hernach hochtemperiert zu verbrennen oder kontrolliert zu beerdigen, als aus dem gesammelten Zeug unter enormem Technik- und Energieeinsatz minderwertiges Granulat oder schlechtes Metall zu generieren, das niemand braucht. Nebenbei, Costa Rica ist das sauberste Land der Las Americas südlich vom Rio Grande, das wollen wir hier mal festhalten.
Warum also die getrennten Müllcontainer?
Sehr einfach. Die Costaricaner - Ticos in eigener Bezeichnung - sind clevere Burschen. Nur ein paar Flugstunden von Nordamerika entfernt, aber auch von Europäern gerne besucht, hat sich die „Reiche Küste“ (wie spanische Eroberer die Region ahnungslos tauften) seit über einem Jahrzehnt erfindungsreich als „grünes“ Urlaubsziel kostümiert. Seine Seen, Strände, Flüsse und Naturschutzgebiete zu erkunden, gilt unter umweltbewussten Westlern, welche die Erde bekanntlich nur von ihren Kindern geliehen haben, als politisch korrekt und daher schwer angesagt.
Apropos leihen: weil viele Straßen in Costa Rica leider eine Katastrophe sind, nimmt man sich füglichst einen Leihwagen mit Allradantrieb, je größer, desto besser. So ein 4WD bläst natürlich jede Menge Sprit durch den Auspuff, aber was tut´s? Die grünen Jungs aus Kalifornien, Neuengland oder Quebec, die mit dem Toyota über abenteuerliche Strecken zu einsamen Stränden schaukeln, Surfbretter auf dem Dach, sie haben einfach das gute Gefühl, ganz im Einklang mit Mother Nature zu stehen. SIE sind jedenfalls keine Umweltsäue, wie die Passagiere auf den luxuriösen Karibikkreuzfahrten ex Miami!
Wohin man in Costa Rica kommt, geht es grün zu. Grüner geht´s nimmer. Jede Lodge erteilt sich das Prädikat „eco“. Vor allem, wenn die Bungalows keine Klimaanlagen haben; erst recht, wenn der Strom nur stundenweise aus dem Generator fließt. „Eco-friendly“ nennt sich auch ernsthaft das Luxushotel „Four Seasons Resort Peninsula Papagayo“. Weil es in den Gästezimmern Mülleimer mit getrennten Abteilungen für Papier, Plastik und organische Abfälle aufstellt – nach der Leerung werden diese hinterm Hotel wiedervereinigt. Als „eco“ verkauft wird jeder Ausflug, jede Angeltour, jede Tauchfahrt, auch wenn röhrende, PS-starke Motoren das Touriboot treiben. Immerhin fährt man ja unter grünen Laubdächern hindurch, erblickt ab und zu ein amerikanisches Krokodil, Pelikane, Schildkröten oder einen Tukan (letzterer idealerweise mit grünem Schnabel). Green ist das populäre Stromschnellen-Rafting, selbst wenn man vom Veranstalter manchmal etliche Kilometer mit dem Pickup flussaufwärts gebracht wird, um dort ins Kajak zu steigen. Green ist natürlich auch Canopy, das in Costa Rica erfunden wurde und mittlerweile an jeder Ecke angeboten wird. Wir fragten uns manchmal, ob das homerische Affengebrüll, das uns auf der Fahrt durch Costa Rica begleitete, eine Art Kommentar zu diesem seltsamen Funsport ist.
Beim Canopy zischt man an Stahlseilen, die in Baumkronenhöhe (very green!) gespannt sind, quer und längs durch die Botanik und erfährt dabei leichte Adrenalinschübe. Selbstredend verzieht sich alles Getier, wenn die Canopy-Ritter durch den Wald rauschen, und zu länglichen Baumbetrachtungen bleibt auch keine Zeit. Aber hübsch sieht das Ganze auf Fotos aus, irgendwie total naturverbunden, und die unserem Planeten wohlgesinnten Menschen aus San Francisco, New York, Vancouver oder Freiburg i.Br. haben ein tolles Gefühl, wenn sie in Costa Rica Ferien machen. So viel zu sehen! Und das nachhaltig.
Wer´s noch einen Tick grüner will, bucht im „03-Institute“ den „Awakening Kick“, gewissermaßen ein Erweckungserlebnis. Aus dem Werbeprospekt: „Erdbeben, Tsunamis, Blizzards, Flutwellen und die Kernschmelze von Fukushima stellen uns vor außergewöhnliche Herausforderungen. Mutter Natur hat den Planeten aufgeweckt, entdecken Sie jetzt unsere natürlichen Schutzmaßnahmen gegen Strahlung und andere schädliche Einflüsse!“ Wie überall, wo Erdenretter verkehren, haben sich zahlreiche Betriebe aus den Branchen Voodoo, Quack und Eso eingenistet. Und selbstverständlich wimmelt es im Tico-Land von Restaurants für die Fans von Grünfutter. Das Schild „Organico“ schmückt jede zweite Beach-Bar, die Bananashakes u.ä. verabreicht.
Symphatisches kleines Land! Das 1949 seine Armee abschaffte und seither nie wieder Krieg geführt hat. Das keine nennenswerten Ölvorkommen oder Bodenschätze besitzt und es trotzdem schafft, seine Bewohner anständig zu kleiden und zu ernähren. Das seine Kinder zur Schule schickt, die Korruption auf erträglichem Niveau und die Kriminalität vergleichsweise niedrig hält, das sogar eine einigermaßen freie Presse erlaubt - Fels in der Brandung des umliegenden Staatenschrotts wie Kuba, Haiti, San Salvador, Nicaragua, Guatemala, Honduras oder Venezuela. Das sich die Schlimmfinger der United Fruit vom Halse schaffte und jetzt gutgläubige Gringos als Besucher ins Land lockt. Leute, deren Prophet Al Gore heißt, ersatzweise Robert Redford.
Du, schlaues Costa Rica, hast verstanden, was betuchte Touris aus den wohlmeinenden Westmilieus wollen – Urlaubsspaß und ein gutes Gewissen dabei. Diese Leute zu verstehen heißt – was? - na klar, sie zu verarschen! Und das machst du ganz prima. Gern verzeihen wir dir, Costa Rica, deshalb deine kleine Schummelei mit dem Müll. Komm bloß nicht auf den Gedanken, dir von irgendwelchen halbschlauen NGOlern den Grünen Punkt aus dem fernen, verrückten Alemania aufschwatzen zu lassen!
Eine solche Geldvernichtungsmaschine braucht ihr Ticos so dringend wie eure wilden Brüllaffen einen Zoo.